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Berlin: Wohnen und gruseln in fast leerer Platte

Von Thomas Loy Der Letzte hat das Licht ausgemacht. Das war so Ende Januar.

Von Thomas Loy

Der Letzte hat das Licht ausgemacht. Das war so Ende Januar. Dann wurden der Strom abgeschaltet und das Wasser abgedreht. Dann kamen die Bauleute und haben alle Ein- und Ausgänge mit Wellblech verschraubt. Und dann wurde es ganz still in den 21 Stockwerken – nur ein bisschen Mäuse-Kruscheln und das Gurren der Tauben. Der Plattenbau-Koloss in der Marchwitzastraße 1 und 3 in Marzahn gehört nun den Tieren und den Geistern. Drumherum kriecht Löwenzahn durch alle Ritzen.

Das Haus steht zum Abriss bereit, doch sowas muss wie alles in Deutschland erst genehmigt werden. Es wäre das erste Mal, dass in Berlin ein Plattenbau-Wohnhaus abgerissen wird. Die Behörden tun sich schwer, weil sie einen moralischen Dammbruch befürchten, ein Menetekel für das Erbe sozialistischer Baubrigaden.

In den Plattentürmen Andreasstraße 20 und 22 in Friedrichshain leben noch Menschen. Es sind vielleicht 100, die hier ausharren, während die Häuser unter ihnen langsam wegrotten. Hinein passen mindestens 500. Drei Viertel der Wohnungen stehen leer. Die beiden 18-Geschosser leiden schwer unter grassierender Randalitis. Zwischendecken sind herausgerissen, Fenster eingeschlagen, Müllcontainer abgefackelt, Wände bekritzelt, Klinken abgerissen, Türen eingetreten, Briefkästen aufgestemmt. Ein älteres Ehepaar – er Sozialarbeiter, sie Ärztin – steht im Flur von Haus 20 und will unbedingt reden: Er: „Es ist eine Katastrophe. Wir wohnen seit 1972 hier, waren die ersten Mieter. Morgen ziehen wir weg - nach Bernau.“

Sie: „Es ist eklig hier, absolut eklig.“

Er: „In den leeren Wohnungen wird eingebrochen. Dann feiern die wilde Feten.“

Sie: „Man kann keine Gäste mehr zu sich nach Hause einladen.“

Er: „Jahrelang warten wir auf die angekündigte Sanierung. Wir haben die Schnauze voll.“ Dann steigen sie in den schmutzigen Fahrstuhl und sind weg. Der Fahrstuhl gegenüber ist stillgelegt.

Katja Seidel und Sven Gildemeister wohnen in Nummer 20 in der 17. Etage. Die haben sie seit November ganz für sich allein. Hat ja auch Vorteile: Nebenan, die Polen, haben immer Fußball gespielt und sind Rollerskates gefahren. Nun ist es ruhig. Die anderen Wohnungstüren sind verschlossen oder mit einer Sperrholzplatte verrammelt. Im Flur funzelt gelbes Neonlicht, öfters funzelt gar nichts mehr. Im Juli hat es in der Wohnung unter ihnen gebrannt. Frau Seidel und Herr Gildemeister saßen in der Stube und wunderten sich, dass die Luft langsam blau anlief und grässlich stank. Sie stürmten auf den Balkon und hörten, wie die Feuerwehrleute ringsum die Türen eintraten. Da wurde ihnen etwas mulmig, so ganz allein in der 17. Etage.

Dabei kann man von hier oben bis zu den Müggelbergen sehen und gegenüber bis zum Alex. Frau Seidel wohnt schon seit 13 Jahren hier und will auf keinen Fall raus, wegen der tollen Aussicht, der günstigen Miete und dem DDR-Mietvertrag, der noch gilt. Das Wohnen hier ist reine Nervensache. Frau Seidel zählt mal auf: Kakerlaken in der Küche, Tauben auf dem Balkon, kaltes Wasser aus dem Hahn für heißes, dafür heißes Wasser in der Toilette, Obdachlose, die in Flur und Treppenhaus übernachten, der Fahrstuhl öfters defekt, der Müllschlucker stillgelegt. Nachts, wenn sie von der Spätschicht nach Hause kommt, ist es schon gruselig.

Früher, in den 90er Jahren, habe man mit den Nachbarn viel zusammen gemacht, Feste gefeiert, gegenseitig eingekauft und so. Ein gutes Klima, gar nicht anonym, sagt Frau Seidel. Dann verfiel das Haus, wurde verkauft, und die Leute mit den schwächeren Nerven zogen als erste aus. „Die Wohnungsbaugesellschaft hat das Haus total aufgegeben. Das ist das Schlimmste“, sagt Herr Gildemeister. Das Haus soll „leergezogen“ werden, so heißt das im Fachjargon, doch Frau Seidel hat schon eine lange Liste mit Forderungen aufgestellt und den Mieterverein eingeschaltet. So schnell gibt sie ihre Traumwohnung über den Dächern Berlins nicht auf.

Drüben, im Haus 22, holt Ex-Zivi Marian Meier gerade seine Post aus dem demolierten Briefkasten. Er wohnt in der 16. Etage. Wegen der schönen Aussicht sei er noch hier, Kontakte im Haus habe er nicht, ansonsten fällt sein Urteil so aus: nahezu menschenunwürdig. Er grinst. Dafür gibt es jetzt keinen Ärger mehr bei lauten Partys.

100 000 Wohnungen stehen angeblich leer in Berlin. Für ihre Sanierung fehlt den Wohnungsbaugesellschaften das Geld, also verkaufen sie ihre Plattenbauten. In der Marchwitzastraße 1/3 wollte niemand kaufen. Eine Sanierung hätte sich nicht gelohnt, sagt die Sprecherin der Wohnungsbaugesellschaft Marzahn, Erika Kröber. So wurde das Haus „leergezogen“, der Abriss beantragt. Das sei aber ein Einzelfall. Weitere Abrisspläne gebe es nicht.

Die Kollegen von der Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF) weisen das Wort Abriss von sich. Das sei im Fall Andreasstraße noch nicht mal diskutiert worden, versichert Martina Kubisch. Beide Häuser wurden 1999 an die Hamburger Firma Kreye & Kreye verkauft. Das Unternehmen kündigte eine Luxussanierung mit Granitplatten an der Fassade und Parkett in den Wohnungen an. Die Mieter protestierten, die Sanierung wurde auf Eis gelegt. Kreye & Kreye konnte den Kaufpreis nicht zahlen, der Kaufvertrag wurde rückabgewickelt. Jetzt sei wieder die WBF zuständig. Man wolle das Haus schnellstmöglich verkaufen und zwischendurch nur das Nötigste reparieren. Und die Mieter? Die sollen umziehen, „weil ein leergezogenes Haus sich leichter verkauft.“ Was dann der Käufer damit anstellt, ist seine Sache: Luxussanieren oder abreißen.

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