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Berlin: Wolfgang Ackermann, geb. 1955

Er wollte Bauingenieur werden, weil ein Bauingenieur die Früchte seiner Arbeit ansehen und anfassen kann. Doch als er studierte, in den Jahren um 1980, geriet der künftige Konstrukteur in die Rolle des Blockierers: Wolfgang Ackermann stoppte mit einer Schar Gleichgesinnter ein monströses Straßenprojekt.

Er wollte Bauingenieur werden, weil ein Bauingenieur die Früchte seiner Arbeit ansehen und anfassen kann. Doch als er studierte, in den Jahren um 1980, geriet der künftige Konstrukteur in die Rolle des Blockierers: Wolfgang Ackermann stoppte mit einer Schar Gleichgesinnter ein monströses Straßenprojekt. Zehn Jahre später erwies sich, wie konstruktiv das war: Sie hatten die wichtigsten Bauplätze für das neue Berlin freigehalten - für das Potsdamer-Platz-Quartier, fürs Parlamentsviertel, das Kanzleramt und den Lehrter Bahnhof.

Geplant war dort die Stadtautobahn "Westtangente" - ein uraltes Projekt, erfunden schon vor Ackermanns Geburt. Nach Ideen aus den fünfziger Jahren sollte sie die Autobahnen in Schöneberg und in Wedding miteinander verknüpfen und: am Brandenburger Tor entlangrauschen. Nach dem Mauerbau plante die halbierte Inselstadt die Straße weiter. An der Potsdamer Straße war die Staatsbibliothek als Schallschutzwand fürs Kulturforum gedacht - daher die kahle Rückfront und ihre leichte Krümmung, die einer Kurve der künftigen Autobahn angepasst war.

Als die Planungen konkreter wurden, erwachte gerade das Umweltbewusstsein in der Bundesrepublik. Dem Berliner Wolfgang Ackermann ging es aber nicht um Atomkraft oder Bio-Landbau, sondern um seine Stadt. Ihn grauste bei der Vorstellung von zehn Kilometern Schnellstraße durch Wohnviertel und Parks, vorbei an Schulen, Krankenhäusern und Sportplätzen. Er sagte: "Die DDR kann die Mauer am Potsdamer Platz abreißen, wenn die Westtangente erst fertig ist. Über so eine Straße kann auch keiner flüchten."

An der Technischen Universität lernte er, mit welchen Argumenten man gegen eine Schnellstraße protestiert: Grundwasserverlust im Tiergarten, monströse Schallschutzwände in Schöneberg und Erschütterungen in der Philharmonie, die selbst Herbert von Karajan zum Protest bewogen.

Mit Ingenieurs-Argumenten war die Sache jedoch nicht getan. Ackermanns trocken-ironischer Art entsprach vielmehr eine spielerische, gewitzte Opposition: Bei einem Planungs-Symposium über den "Zentralen Bereich" entlang der Mauer war er zugegen. Nach endlosen, oft staubtrockenen Referaten spazierte er aufs Podium, unterm Arm einen riesigen Pappkarton. Aus dem griff er einen Luftballon, auf dem die Miene eines Bausenators der fünfziger Jahre aufgemalt war. Er ließ ihn am Band schweben und verlas dazu Worte des Politikers zur Autobahnplanung.

Einen Ballon nach dem anderen mit den Gesichtszügen der nachfolgenden Senatoren kramte er aus der Kiste. Dazu zitierte er die immer neuen Begründungen, die sie für den alten Plan hatten. Der eine wollte den Autoverkehr verflüssigen, der zweite mit der Schnellstraße Wohngebiete beruhigen, der dritte vor allem Bundesgeld nach Berlin holen und der Vierte Bauarbeiterjobs sichern.

Ackermann verlas das mit fast regloser Miene und nüchterner Stimme, während über ihm die Ballons schwebten. Stadtplaner, Wissenschaftler und Journalisten im Publikum kicherten und klatschten. Senatsvertreter blickten pikiert - und taten sich fortan schwer, immer neue Etiketten auf den immer gleichen, alten Plan zu kleben.

1981 regierte in West-Berlin für vier Monate der aus Bonn geholte Hans-Jochen Vogel. Er suchte nach Symboltaten, die ihn als Neuerer auswiesen - und blies das in Verruf geratene Westtangenten-Projekt ab.

Fortan konzentrierte sich Ackermann auf Alternativprojekte zur autobeherrschten Stadt. Er setzte sich für das Zusammenwachsen der "acht Tiergärtchen" ein, in die der Park nach seinen Worten durch die Straßen zerteilt war. Akribisch bis zur letzten Bushaltestelle erarbeitete er ein Konzept zur Verkehrsberuhigung. "Unter autofahrenden Nord-Süd-Pendlern dürfte es wohl wenig Verständnis finden", kommentierte damals der Tagesspiegel. Ackermanns Kernidee, die Schließung der nach dem Mauerbau durch den Park geschlagenen Entlastungsstraße, wird heute mit dem Tiergartentunnel realisiert.

Der einstige Senatsgegner landete schließlich selbst beim Senat. Genau so engagiert, wie er einst die Autobahn bekämpft hatte, plante er jetzt Straßenbahntrassen. Einige Jahre half ihm die Liebe zur Arbeit im Kampf gegen den Krebs. Selbst im Krankenhaus arbeitete er zäh weiter. Ackermanns letztes Projekt war die Straßenbahn über die Invalidenstraße zum künftigen Lehrter Bahnhof. Auch über dessen Gelände sollte einst die Westtangente führen. Kurz vor seinem Tod sagte Ackermann: "Vielleicht hätte die Rennstrecke vor dem Reichstag zehn Abgeordnete mehr von Berlin abgeschreckt. Dann säßen heute noch alle in Bonn."

Roland Stimpel

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