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Berlin: Wolfgang Mellwig (Geb. 1936)

Er gestaltete Gärten, Uferpromenaden und sein eigenes Glück

Von Julia Prosinger

Blümchen steht vor einem Haufen frisch gesiebter Erde, im Flanellhemd und langer Arbeitshose, bei größter Hitze in Socken, festen Schuhen. Die Erde ist gut geworden, fett, wie die Gärtner sagen, nicht sandig, sondern humos, dunkelbraun. Viele Regenwürmer haben den Kompost bearbeitet. Mit dem Handrücken drückt Blümchen Mulden in die Beete, legt Bohnen hinein, immer fünf, angeordnet wie beim Würfel. Nimmt einen Schluck Kaffee und bückt sich erneut über seine Erde im Tegeler Schrebergarten.

Der Name Blümchen ist geblieben aus Pfadfinderzeiten, als Wolfgang Mellwig pflanzenbesessen durch Berlins Wälder streifte. Gärtner, das war der richtige Beruf für diesen Jungen, der nicht stillsitzen konnte. Oft blamierte er die Eltern mit seinen frechen Sprüchen: „Die ist ja dick!“, rief er als Dreijähriger laut in der Kirche und zeigte auf die hochschwangere Braut. Er bekam viele Ohrfeigen.

Heute hätte ihm ein Kinderarzt wohl Ritalin verschrieben, Wolfgang Mellwig, aufgewachsen in der Nachkriegszeit, verordnete sich selbst das Gestalten.

Die Beete im Schrebergarten, die Gärten anderer, schließlich die ganze Großstadt: Er goss Waschbetonkübel für Blumen, die noch heute vor dem Weddinger Rathaus stehen, und gestaltete später, da war er im Rathaus Reinickendorf angestellt, die Greenwichpromenade am Tegeler See. Wenn er bei seinen Rundgängen Umweltverschmutzer traf, trat er auf, als gehöre ihm das Schilf. 1,70 Meter war er nur groß, aber man hörte auf ihn. Fällgenehmigungen für Bäume erteilte er widerwillig. Selbst seiner Tochter, einer Gartenbaulehrerin, verriet er nie, wo er seltene Pflanzen gefunden hatte. Niemand sollte sie der Natur entwenden.

Bei der Meisterausbildung in Düsseldorf lernte Wolfgang Rosa kennen. Würde die Dame mit den gepflegten Nägeln seine Blumen mögen? Röschen und Blümchen? Ohne sie ging er 1963 zurück nach Berlin, weil er sich erst sicher sein wollte, dass er sie ernähren konnte. Er belegte einen Tanzkurs, um ihr noch etwas mehr zu bieten, ließ Röschen einfliegen, holte sie im hart ersparten, knatternden Lloyd ab, steckte ihr eine Orchidee an. Es war sein Geburtstag, es war Abschlussball, am Ende des Abends zog er die Verlobungsringe aus der Tasche. Wolfgang Mellwig gestaltete sein Glück.

Er traf die alten Freunde jetzt seltener, ging nicht mehr nackt baden in der Krummen Lanke, nicht mehr trinken im Old Vienna am Ku’damm. Die Freunde gingen 1968 auf die Straße, wohnten in WGs. Blümchen mochte das Chaos nicht.

Er trat der SPD bei, später wurde er Vorsteher bei der Bezirksverordnetenversammlung Wedding. Röschen und Blümchen bekamen zwei Kinder, er wurde Mitglied beim Städtepartnerschaftsverein, ehrenamtlicher Patientenfürsprecher, er saß nicht still.

Vielleicht war es gar nicht ADHS, vielleicht war es die Kindheit unter den Nazis, die Wolfgang Mellwigs Tatendrang erklärt. Er konnte immer nur spät einschlafen, sah sich nachts Kriegsaufnahmen an, fürchtete, die Kinder könnten hungern. Als der Irak 1991 Israel bombardierte, flog er nach Tel Aviv und setzte sich solidarisch in einen Luftschutzbunker.

Im Nazikindergarten durfte er den Puppenwagen nicht schieben, ein arischer Jüngling, auch einer, der Pastellfarben mag und feines Porzellan, machte so etwas nicht. Aufs Land verschickt, tunkte er die kalten Füße in frische Kuhfladen und beobachtete ausgehungerte KZ-Häftlinge. In den letzten Tagen des Krieges sah Blümchen in Berlin, wie ein jüdisches Nachbarspaar deportiert wurde. „Warum“, fragte er, „darf der alte Mann seinen Stock nicht mitnehmen?“ Er wachte im Bombenhagel, würgte Steckrübensuppe hinunter. Nach dem Krieg schenkten die Amerikaner den Kindern Lebkuchenhäuser. Die waren aus Pappe.

Später kaufte Wolfgang Mellwig Schmuckkisten voll Nürnberger Lebkuchen. Auf Weihnachten freute er sich wochenlang. Bunter Baum, nicht so streng weiß-silbern wie einst im Elternhaus, festlicher Anzug, Erzgebirgsdekoration, Glöckchenläuten. Wolfgang Mellwig gestaltete Kinderweihnachten, auch als die Enkel schon größer waren.

Schließlich, als er in Rente ging, als die schwache Lunge und ein Asthmaspray ihn trieselig machten, gestaltete er immer öfter Schaukästen voll Zinnfiguren, Dioramen. Die Tochter erhielt Einkaufszettel mit technischen Zeichnungen, Breite und Dicke der Bretter, auf denen Wolfgang Mellwig sich eine Welt erklebte: Nürnberger Christkindlmarkt, Potsdamer Stadttor, Gartengesellschaft in der Biedermeierzeit. Am liebsten mochte er flache Figuren, die er auf Messen kaufte, weiß grundierte, tagelang trocknen ließ, Pupillen mit der Lupe aufmalte. „Das beruhigt mich.“ Er las unermüdlich, die Biografie von Clausewitz, parallel ein Büchlein über die Königin Luise, immer wieder Fontane. Er las sorgsam, das Buch nie ganz aufgeklappt, damit es nicht zu Schaden kommt.

Bevor er starb, kündigte Wolfgang Mellwig seine Mitgliedschaften. Bei der SPD, bei den Vereinen, verschenkte seine Anzüge. Fürs Weihnachtsfest hatte er bereits alle Geschenke gekauft. Julia Prosinger

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