zum Hauptinhalt

Berlin: Wolfram Klemp (Geb. 1939)

Nicht übertreiben, nur keinen Ärger, mach mal

Von Julia Prosinger

Wer? Wolfram Klemp? Ach, Lemmi, sagen die Freunde. Kennen seinen richtigen Namen gar nicht. Aus Klemp wurde Klempi, wurde Klemmi, wurde Lemmi. Irgendwann mal, Ende der Fünfziger im Berliner Westend.

Lemmi, Blue Jeans, weißes Hemd, Lederjacke, Lederslippers mit Geldstück unter der Schnalle, ist der Mittelpunkt der Clique zwischen Steuben- und Theodor-Heuss-Platz. Lemmi an der Klarinette. Lemmi, the King. Wie das „Duke“ von Ellington.

Die Jungs von der Waldoberschule nennen sich die Papen, oder die anderen nennen sie so, warum, weiß keiner mehr. Viele von ihnen haben ihre Väter im Krieg verloren. Es gibt wenig zu tun auf Berlins Straßen in dieser Zeit.

Außer Jazz. Instrumente lernen die Papen im Kirchenorchester, Bandmitglieder rekrutieren sie von der Straße weg. Schau mal, der hat schöne dunkle Haare, der kann das Kornett spielen. Wenn nicht, soll er es eben lernen. Sie gründen die „Oakstreet Jazzmen“, Oakstreet wie Eichenallee.

Abends spielen sie im Schmargendorfer Rathauskeller Standards wie „Basin Street Blues“ oder „At the Jazzband Ball“ und alles von Louis Armstrong und den Hot Seven. Unter der Woche treffen sie sich in der Dahlemer „Eierschale“, Kartoffelsäcke an den Wänden dämmen den Schall. Am Wochenende geht’s ins „New Orleans“ in der Motzstraße oder ins „Riverboat“, das war ein Dachclub am Fehrbelliner Platz. Rolf Eden betreibt seine ersten Clubs, spielt im „Saloon“ selbst Klavier.

Lemmi, wegen seiner Streiche immer kurz davor, von der Schule zu fliegen, ist der Beste unter den Amateuren. Etwas draus machen will er nicht. Nur nicht übertreiben. Lieber braust er nachts auf seiner alten Lambretta in den Osten rüber, die Mauer ist noch nicht gebaut.

Manchmal landen sie auf Privatpartys in den Türmen der Stalinallee, Volkspolizisten bewachen das Haus der privilegierteren DDRler. Einmal bombardieren die Gäste die Polizisten mit Würstchen, ein anderes Mal schießen sie mit einem Luftgewehr auf einen von der Decke baumelnden Schinken. Manfred Krug ist an solchen Abenden dabei, Wolf Biermann, Jurek Becker. Lemmi hat sie irgendwo kennengelernt, die Cliquen von Brecht und Stefan Heym, ist mit den Schauspielern des Berliner Ensembles befreundet. Später spielt er mit den „Jazz Optimisten“ Dixieland.

Lemmi ist dann der Einzige aus dem Westen. Nicht schwer, ihn gern zu haben. Nach ein, zwei Bier spielt er Sketche von Karl Valentin, imitiert Dialekte, parodiert Feinde. Walter Ulbricht beherrscht er ziemlich gut. Braucht kein schlüpfriges Wort, um den ganzen Tresen zum Lachen zu bringen. Mit seinem dicken Schnurrbart, dem schwarzen Haar, furchterregend grinsend, die Klarinette wie einen Dolch umgeschnallt. Einmal sagt Stefan Heym zu ihm: „Du siehst aus wie’n Palästinenser.“

Die Freunde wandern aus, nach Irland, in die Karibik, nach Australien, weit weg aus Berlin. Lemmi bleibt. Nur nicht übertreiben. 1963 heiratet er, ’65 bekommt er eine Tochter.

Er hat jetzt Familie, die Welt hat Rock ’n’ Roll. Lemmi lässt die Klarinette stehen. Er wird Jurist, promoviert, steigt schließlich auf bis zum Regierungsdirektor im Bundeskartellamt. Verdient viel, arbeitet in Maßen. Nur nicht übertreiben. Lemmi, dem King, fällt alles leicht. Er muss sich nicht anstrengen. Abends sitzt er in der Westend Klause, trinkt ein paar Schultheiss, isst Buletten mit Kartoffelsalat.

Er hätte Schauspieler werden können, mit seinem Talent. Liest Gogol, rezitiert Ringelnatz. Er mag Kunst, hätte schreiben können. Er liebt Donald Duck. Sammelt die deutschen Erstausgaben. Am Ende füllen sie ein ganzes Zimmer. Mit seiner Tochter spricht er in Zitaten: „Gustav Gans, ja ja, der kann’s, doch unser Schwein ist auch nicht klein!“

Nach der ersten Scheidung treffen sich die Freunde wieder. Lemmi lebt jetzt allein mit seiner Tochter, dem „Kind“. Sie feiern ihre Freiheit. Reisen nach Südamerika. Er verbietet ihr nichts. „Mach du mal“, sagt Lemmi immer. Auch wenn sie tätowierte Freunde mitbringt. Auch wenn sie schlechte Noten und Zukunftsängste hat. Kurz vor dem Abitur schmeißt Natascha hin, will nach Italien, die Mutter tobt. Lemmi gibt ihr den ADAC-Schutzbrief, wünscht gute Reise. Nach drei Wochen kehrt sie reumütig zurück.

Nicht übertreiben, nur keinen Ärger, mach mal, sagte Lemmi. Und dass er sowieso gerade gehen wollte. Immer, wenn die Diskussion unangenehm wird. In seiner letzten Stammkneipe, der Aue, wo er bis vor ein paar Jahren jeden Abend sein Bier trank. Dann nahm er pünktlich den Bus nach Hause.

Es wäre gut gewesen, weniger zu trinken, gesünder zu essen, mal Sport zu machen. Es wäre schön gewesen, noch mal eine Frau zu finden. Vielleicht hätte er gegen den Krebs kämpfen können. Alles nichts für Lemmi, den King.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false