zum Hauptinhalt

Berlin: „Wowereit ist ein Glücksfall“

Peter Strieder lobt den Regierenden Bürgermeister, SPD-Chef will er aber selber bleiben

Herr Strieder, Sie kandidieren 2004 wieder für den SPDLandesvorsitz?

Personaldebatten soll man nicht zur Unzeit führen. Aber wenn die Partei will, stehe ich selbstverständlich und gerne zur Verfügung.

Es hätte ja sein können, dass der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit die Parteiführung übernehmen will.

Die Arbeitsteilung zwischen Klaus Wowereit und mir klappt sehr gut. Ich glaube nicht, dass der Regierende Bürgermeister Interesse hat, daran etwas zu ändern.

Mit beiden Ämtern in einer Hand könnte Wowereit seine Politik reibungsloser umsetzen.

Es ist doch ein großer Vorteil, wenn sich der Regierungschef nicht dem Alltagsgeschäft eines SPD-Landesvorsitzenden aussetzen muss. Er hat durch sein Regierungsamt ohnehin einen bestimmenden Einfluss auf die Landespartei.

Ist der alltägliche Ärger eines SPD-Landeschefs auch der Grund für Gerüchte, Sie wollten in die private Wirtschaft flüchten?

Sie sagen ja selbst, das sind Gerüchte. Und an diesen Gerüchten ist nichts dran.

Im Klartext: Sie gehen nicht von der Fahne und bleiben bis 2006 Senator.

Ich und von der Fahne gehen – das hat mir noch niemand unterstellt.

Macht es Spaß, in einer bundesweit schlecht gelaunten Partei Landesvorsitzender zu sein?

Wir machen Politik in einer Zeit großer Umbrüche. Sich den Herausforderungen zu stellen, sich nicht wegzuducken, das ist doch die Aufgabe von Politik heute. Das erwarten die Menschen von der Politik, und die SPD stellt sich dieser Aufgabe. Unsere sozialdemokratischen Grundwerte bleiben unverändert, das müssen wir unseren Mitgliedern und Wählern immer wieder deutlich machen. Wir müssen die Flamme der sozialdemokratischen Sache am Brennen halten. Aber die Art und Weise, wie diese Werte in Tagespolitik umzusetzen sind, ändert sich dramatisch.

Das ist offenbar schwer zu vermitteln. Die SPD hat die Gunst der Wähler verloren.

Für Berlin stimmt das nicht. Die Landes-SPD hat von Anfang an klar gemacht, dass wir um die Haushaltskonsolidierung nicht herumkommen. Wir haben uns mit der Abgeordnetenhauswahl 2001 ein Mandat für diesen Kurswechsel geholt. Nach zwei Jahren harter, unpopulärer Einschnitte kann die Berliner SPD das letzte Wahlergebnis, etwa 29 Prozent, in allen Umfragen behaupten. Normalerweise sind Regierungsparteien zur Mitte der Legislaturperiode auf dem Tiefpunkt ihres Ansehens. Es gibt also keinen Grund, unzufrieden zu sein; zumal die Beliebtheitswerte des Regierenden Bürgermeisters Wowereit grandios sind.

Aber auf Bundesebene…

… hat die SPD es versäumt, die Wähler rechtzeitig auf schmerzhafte Herausforderungen einzustimmen. Das war ein Fehler. Stattdessen ist nach der gewonnen Bundestagswahl nach der Methode „Versuch und Irrtum“ verfahren worden. Jeder machte jeden Tag einen neuen Vorschlag, der am nächsten Tag wieder eingesammelt wurde. So hat die Bundespartei den Eindruck vermittelt: Die können es nicht.

In Berlin ist aber auch nicht alles Gold. Am Sonntag wird auf dem SPD-Landesparteitag ein heftiger Streit um die teilweise drastische Erhöhung der Kita-Gebühren ausbrechen.

Das Senatskonzept wird auf dem Parteitag eine Mehrheit finden. Da bin ich mir sicher, weil es dem Modell einer solidarischen Gesellschaft folgt. Die hohe Qualität des Betreuungsangebots bleibt erhalten; die einkommensschwachen und bildungsfernen Schichten müssen keine höheren Gebühren fürchten, und nur eine kleine, wohlhabende Minderheit muss deutlich mehr zahlen.

Auch die Berliner SPD sorgt sich um die sozialdemokratischen Grundwerte. In mehreren Parteitagsanträgen wird gefordert, den Begriff „demokratischer Sozialismus“ nicht aus dem Parteiprogramm zu streichen.

Zu Recht. Dieser Begriff gehört zur Geschichte der Sozialdemokratie, und Geschichte kann man nicht entsorgen. Der „demokratische Sozialismus“ drückt das – vielleicht utopische – Verlangen nach einer gänzlich gerechten Gesellschaft aus. Die SPD sollte dieses Ziel bewahren und die Debatte über Gerechtigkeit offensiv führen. Nicht nur um Verteilungsgerechtigkeit, denn wir haben für große Teile der Gesellschaft erreicht, dass die Menschen gut leben können. Aber wir haben immer noch eine riesige Gerechtigkeitslücke beim Zugang zur Bildung. Da hat sich wenig zum Positiven verändert seit der Regierungszeit von Willy Brandt. Auch die Geschlechter- und Generationengerechtigkeit ist längst nicht vollständig erreicht. Und die Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd ist fast in Vergessenheit geraten.

Die Diskussion um Gerechtigkeit in allen Ehren. Aber wann mischt sich die Berliner SPD in die Diskussion um die Rolle Berlins als Hauptstadt ein, die mit der Gründung einer Nationalstiftung wieder aufgeflackert ist?

Ich möchte niemandem zu nahe treten, aber ich habe von den jüngsten Diskussionsbeiträgen nichts Neues gelernt. Ja, wir müssen deutlich machen, für welches Deutschland Berlin eigentlich steht. Aber ich halte nichts von seltsam geschichtslosen Debatten. Berlin ist schließlich erst seit fünf Jahren die wirkliche Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands; davor war es die Stadt 50 Jahre nicht. Viele tun trotzdem so, als sei Berlin vergleichbar mit London oder Paris, die über Jahrhunderte eine ungebrochene Hauptstadtgeschichte haben. Wenn dann Senatsmitglieder ins Ausland fahren, um dort zu zeigen, dass Berlin wieder im Reigen der Metropolen mitspielt, kommen die Provinzler aus der Opposition und stellen die internationale Präsentation Berlins in Frage.

Was ist Berlin für Sie?

Die Hauptstadt des größten, bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich stärksten Landes der Europäischen Union, die in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen wird. Da stellt sich die Frage: Sind wir trotz unseres föderalen Systems in der Lage, stolz zu sein auf diese junge, lebendige Hauptstadt der Deutschen? Ich bin ganz sicher, dass die meisten Menschen es sind; mehr als die meisten Politiker.

Ist Berlin wirklich schon Weltstadt?

Von außen betrachtet ist Berlin die faszinierendste Stadt Europas. Eine ausgesprochen junge, spannende Stadt. Eine Stadt der Kreativen. Viele Menschen aus den richtig großen Städten dieser Welt empfinden es als Privileg, in Berlin wohnen und arbeiten zu können. Wir sind der „Showroom“ Deutschlands, auch in kultureller Hinsicht.

Verstehen wir Sie richtig: Berlin als Hauptstadt muss nicht neu definiert werden; die Stadt wächst von allein in diese Rolle hinein?

Berlin ist gut dabei. Der Bürgermeister von Barcelona, der Präsident von „Metropolis“ – einem Netzwerk von 81 Millionenstädten der Welt – ist, sagte mir: In fünf Jahren seid ihr die „European Capital“. Denn London, Paris, Wien usw. haben schon lange ihre feste Rolle. Die einzige Stadt mit Bedeutungszuwachs für ganz Europa ist Berlin. Da hat er Recht. Wir spielen schon nach fünf Jahren Hauptstadt in der Liga der Metropolen ganz vorn mit. Junge, gute Anwälte und Unternehmensberater gehen inzwischen nicht mehr nach München, sondern nach Berlin. Hier passiert was, hier gibt es Brüche und Konflikte und Erlebnisse. Hier sind die Entscheider, hier ist die Politik, und hier finden die wichtigen gesellschaftlichen Ereignisse statt.

Und die Landes-SPD steht für dieses neue, großartige Berlin?

Einer, der im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Ereignisse steht, ist Gott sei Dank unser Regierender Bürgermeister. Klaus Wowereit repräsentiert das Lebensgefühl dieser Stadt. Einer, der auf die Menschen zugeht. Er ist ein Glücksfall. Super.

Manche halten Wowereit für vergnügungssüchtig und werfen ihm vor, seine Regierungsaufgaben zu vernachlässigen.

Er ist der beste Repräsentant dieser Stadt, den Berlin sich wünschen kann, weil er neue Leute an die Stadt bindet, die hier leben und investieren wollen.

Das Gespräch führten Gerd Nowakowski und Ulrich Zawatka-Gerlach.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false