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Berlin: Würstchen für arme Hunde

Futter für Hartz-IV-Haustiere: In Rathenow gegründet, hilft ein Verein heute von Hamburg bis München

Rathenow - Um die Zentrale der Deutschen Tiertafel in Rathenow zu finden, muss man schon wissen, wo sie liegt. Ein rostiges Fabriktor, dahinter der Hof der ehemaligen Optischen Werke. Zerschlagene Scheiben, Schlaglöcher, kein Schild weist den Weg. Dafür ist Hundegebell zu hören. Arbeitslosengeld-II-Empfänger holen sich in einer kleinen Baracke im Hinterhof ihre Wochenrationen an Futter für ihre Haustiere. Gratis. Denn die Tiertafel hilft denen, die ohne die kostenlosen Rationen ihre Haustiere kaum behalten könnten. Denn Geld vom Amt gibt es für Hunde, Katzen oder Vögel nicht. Haustiere gelten als Privatvergnügen.

Doch die meisten Halter hätten sich ihr Tier ja schon Jahre vor der Arbeitslosigkeit angeschafft, sagt Claudia Hollm, die Gründerin und Vorsitzende der Tiertafel. Werden die Leute dann arbeitslos und rutschen in Hartz IV, gehe mit dem finanziellen Abstieg meist auch eine soziale Verarmung einher. Und die Vorstellung, in so einer Situation auch noch die geliebte Katze oder den Hund hergeben zu müssen, sei für die meisten ein echter Albtraum. Für ältere Menschen, die von Kleinstrenten leben müssen, ist das Haustier sogar oft der letzte Ansprechpartner. Um ihnen zu helfen, hat Hollm die Tiertafel 2006 in Rathenow gegründet, nach dem Vorbild etwa der Berliner Tafel, die Essen für Obdachlose und andere Bedürftige sammelt.

„Ein Leben ohne meine Kira? Das möchte ich mir gar nicht vorstellen!“, sagt Hanno Kühne und tätschelt seine Schweizer Sennhündin. Der Mittfünfziger, der seit 2005 von ALG II lebt, ist einer der Stammgäste von Claudia Hollm. „Meine Kira ist meine ganze Familie“, sagt er, „ansonsten lebe ich allein.“ Als es die Tiertafel noch nicht gab, musste er die 30 bis 40 Euro, die das Futter für einen ausgewachsenen Hund im Monat durchschnittlich kostet, selbst bezahlen – eine Menge Geld, wenn man auf jeden Cent schauen muss.

Etwa 40 Menschen sind heute zur Rathenower Tafel gekommen. Am Monatsende, wenn kein Geld mehr da ist, seien es deutlich mehr, sagt Hollm. In kleinen Plastiksäckchen verpackt gibt es Futter für Hunde, Katzen, Kaninchen, Meerschweinchen und Wellensittiche. Gespendet von großen Haustierfutterherstellern, wird es in neutrale Plastiksäckchen umgefüllt. „Sonst finden wir den Whiskas-Multipack später bei Ebay wieder“, erklärt Hollm. Mit Spendengeldern von Privatpersonen bestreitet die Tiertafel die monatlichen Ausgaben für Strom, Heizung, Autofahrten und dergleichen, die sich bundesweit auf rund 1500 Euro belaufen. Wenn etwas übrig bleibt, können noch Impfungen für die Tiere bezahlt werden. „Das wäre bei mir im Budget gar nicht drin!“, sagt ein 22-Jähriger, der lieber anonym bleiben will. „Ich kann schon die Hundesteuer kaum bezahlen.“ Wie viele hier schämt er sich ein wenig, herzukommen. Dabei behandelt Hollm ihre Kunden, wie sie sie nennt, mit vollstem Respekt. „Jeder, der herkommt, soll sich fühlen, als ginge er zu Edeka.“

Neben der Zentrale in Rathenow gibt es bereits sieben Ausgabestellen der Tiertafel, darunter in Großstädten wie Frankfurt/Main oder Hamburg. „Dort steht oft 300 bis 400 Menschen an“, berichtet Hollm, die deutschlandweit von rund 250 ehrenamtlichen Helfern unterstützt wird. Am 23. Januar wurde eine Ausgabestelle in München eröffnet. Schwedt soll Ende Februar folgen, dann noch rund 30 weitere deutsche Städte, darunter auch Potsdam und Berlin. Doch gerade dort fällt die Immobiliensuche besonders schwer. Schließlich sollten die Räume mietfrei sein und über ausreichend Stauraum verfügen.

Ein Angebot aus Treptow hat Hollm bereits. Doch wegen der großen Armut in Berlin will sie sich nicht mit nur einer Ausgabestelle starten. „Die Leute rennen uns sonst regelrecht über den Haufen“, befürchtet sie. „Es müssten schon mindestens drei Stellen sein, damit sich der Ansturm verteilt.“ Für eine Eröffnung in Potsdam reiche eine Ausgabestelle, doch auch hier sei die Suche bisher erfolglos geblieben. Zwar gebe es durchaus einige Immobilienbesitzer mit hohem Leerstand, die für einen karitativen Zweck Räumlichkeiten kostenfrei zur Verfügung stellen würden. Doch die Vorstellung der vielen Bedürftigen, die von ihren Hunden und anderen Tieren begleitet jede Woche auf ihr Grundstück kämen, schrecke viele dann doch ab.

Andrea Keil

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