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Berlin: www.bankraub.com

Im Urlaub mit EC-Karte einkaufen – plötzlich ist das Konto leer geräumt: „Das fühlt sich an wie ein Wohnungseinbruch.“

Sommerferien nach Globetrotterart. Naja – soweit das geht als Familie mit zwei kleinen Kindern. Zoë und Nina sind sechs und acht, und die Eltern auch nicht mehr in dem Alter, in dem man sich per Anhalter durch die Gegend treiben lässt und an Stränden und Raststättentischen pennt. Campingplatz mit Infrastruktur muss schon sein. Und ab und zu auch eine Nacht im Hotel. Vier Wochen Zusammensein ohne Termine. Im Auto entlang den Mittelmeerküsten von Frankreich und Italien. Durch die Schweiz zurück. Bei Stuttgart hat Matthias Penzel eine Lesung. Er war Musikjournalist, hat selbst gespielt und Konzerte organisiert und ist heute Schriftsteller. Eine JörgFauser-Biographie (zusammen mit Ambros Waibel), ein Roman über eine Rockband, Arbeit am nächsten, aus der Welt der Formel Eins.

Olivia Schofield ist Engländerin und die Frau, in die Matthias „seit mehr als zwanzig Jahren verschossen ist“. Von Beruf Produktionsassistentin beim Fernsehen, zur Zeit ohne Job. In England haben sie über zehn Jahre gelebt, bevor sie 2000 nach Berlin zogen. Sie sind rumgekommen in der Welt, ohne Kinder und mit. Moderne, mobile Menschen des Digitalzeitalters.

Und Frankreich und Italien sind leicht bereisbar – dieselbe Währung, Bankautomaten, die einem für eine deutsche EC-Karte Bargeld geben, Geschäfte, in denen man damit bezahlen kann. „Die vierstellige Glückszahl eingeben“, frozzelt Matthias, „und zack – Zahlung erfolgt.“ Gut, manchmal klappt’s auch nicht. In diesem Supermarkt in Italien, das war schon blöd. Da haben die an der Kasse erst seine Karte durch das Lesegerät gezogen und ihn die PIN eintippen lassen – ohne Erfolg. Dann haben sie dasselbe mit Olivias Zweitkarte gemacht – wieder ohne Erfolg. „Und die reden alle auf Italienisch und bimmeln, und dann kommt ein Manager“, erinnert sich Matthias, „und du hast den Einkaufswagen voll und hinter dir ne Riesenschlange – da zahlst du schnell cash.“

Aber das ist beiden erst viel später wieder eingefallen. Wo es war, wissen sie bis heute nicht – man hat ja keinen Beleg über eine Transaktion, denn es hat keine stattgefunden. Im Urlaub, während der fröhlichen Familienwochen zwischen Campingplätzen und Städten und Stränden mit Delphinen, die vor allem Zoë und Nina in Bann ziehen, da „denkt man sich nichts weiter“. Auch weil beide ihre PIN auswendig wissen und die Karten nie aus den Augen lassen. Sie denken sich auch nichts, als gegen Ende der Italien-Zeit die Geldautomaten nichts rausrücken. „Da stand in schlechtem Deutsch irgendwas mit Toleranz und überschritten“, beschreibt Matthias, und Olivia lacht: „Ich dachte erst, deine Toleranz ist überschritten.“ Wegen der schönen italienischen Schuhe, die sie gekauft hat.

Nein, leer kann das Konto nicht sein. „Aber mit Karte bezahlen ging ja weiter überall.“ Auch an der Tankstelle in der Schweiz. Da decken sie sich noch mit Essen und Trinken ein. „Wir gucken in Deutschland, dass wir Geld abheben.“ Matthias Penzel setzt seine „Mädels“ in Stuttgart in den Zug. Auch die Bahn akzeptiert die EC-Karte problemlos. Die aus allen Taschen zusammengekramten 7,80 Euro gibt er ihnen mit. Auf dem Bahnhof ist ein Automat. Da will er Geld ziehen. Fehlanzeige! Er läuft zur Bank gegenüber. Wieder nichts. Jetzt kommt Unruhe auf.

Es gelingt ihm, sich zwanzig Euro zu leihen. Und immer noch denkt er nichts Böses, als er zu Hause sein Konto im Computer aufruft. „Da seh ich so’ne Zeile, 103 Euro abgebucht, in Wien. Hm – vielleicht haben wir Schuhe gekauft, und die wickeln das über Wien ab? Und ich scrolle so runter und sehe, da sind nochmal 103 Euro und nochmal, und dann ein paarmal 203!“ Insgesamt achtmal in 36 Stunden. Teilweise innerhalb von Minuten. Und immer an Geldautomaten von kleineren oder privaten Wiener Banken. Zusammen 1100 Euro plus Gebühren. Danach nichts mehr. Aber halt, davor! 300 Euro plus Gebühr an einem Automaten in – Nizza? In Nizza hatte die Familie sich getroffen, Matthias mit dem Auto aus Berlin und Olivia, Zoë und Nina aus England kommend. Aber als das Geld da gezogen wurde, waren sie längst in Italien. Über 1400 Euro vom Konto geräumt, ohne dass man die leiseste Ahnung hat – „das hat sich angefühlt wie ein Wohnungseinbruch. Das ist so’ne Invasion in deinen eigenen Bereich, auch wenn der so was Abstraktes ist wie ein Konto!“

Allmählich taucht in seinem Kopf das Wort „kriminell“ auf. Jemand räumt ihm irgendwo das Konto leer! In seinem wirklichen Leben. Nicht fiktiv. So wie in seiner Kurzgeschichte von vor vier Jahren. „www.bankraub.com“. Da kriegt der Ich-Erzähler ganze Programme von der Festplatte getilgt und seine Konten ausspioniert. Cyber-Crime. Eine Wachstumsbranche, genau wie Internetsicherheit. Super-Stoff für illusionslose Erzähler. In den USA zum Beispiel betreiben große Firmen ihre Call-Center inzwischen mit Insassen von Zuchthäusern. Auch Banken. Das gibt die tollsten Plots. Weiß man, wie das in Europa ist?

Es ist morgens um acht, zwei Tage nach der Rückkehr. Olivia bringt Zoë und Nina zur Schule. Matthias ruft seine Bank an. Eine Hotline. Für soundsoviel Euro pro Minute und mit einem Menü, das man komplett durchhören muss, bevor man an ein Lebewesen gerät. „Eine Frau, der hab ich entgegengebrüllt: Mein Konto wird ausgeraubt!“ Was die nicht sehr zu beeindrucken schien. „Die klang wirklich so, als ob da jemand bei einem Billigjob zu Hause am Bügelbrett sitzt und nebenbei so’n bisschen Beratung macht! Aber die konnte sofort in mein Konto reingucken!“

Er wird ausgefragt. Hat er seine Karte noch? Ja klar. Ist die Zweitkarte auch noch da? Er glaubt ja, ruft aber lieber mal Olivia an. Die fällt fast um, weil er auch ihr erklärt, er werde gerade ausgeraubt. Sie sieht ihn schon unterm Bett versteckt, in der Wohnung Einbrecher. Ja, doch, sie hat ihre Karte. Dass er Anzeige erstatten muss, sagen ihm Freunde, nicht seine Bank. Die Hotline-Dame empfiehlt nur: Karten sperren. Den Rest holt die Nachforschungsstelle seiner Bank nach, etwa eine Woche später. Per Post.

Inzwischen war er bei der Polizei. Die Anzeige erstattet er auf dem Abschnitt. Als er wissen möchte, ob so was öfter vorkommt und wie das passieren kann, „da hebt der Beamte die Hände wie zur Verteidigung und sagt: „Also, Internet – ist alles viel zu gefährlich. Da guck ich gar nicht rein!“ Zwei Wochen später sitzt er bei der Kripo seiner örtlichen Direktion. Die Kommissarin ist vertrauter mit der digitalen Welt. Sie kennt sich auch mit kopierten Karten aus. Aber die natürliche Neugier eines Geschädigten, etwas genauer zu erfahren, was ihm passiert ist, mag sie auch nicht befriedigen.

Zum Glück gibt es das Internet und auskunfstbereite Fachleute. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat jemand die eine oder beide Karten zum Konto kopiert. Das geht, obwohl Debitkarten – wie sie im Unterschied zu Kreditkarten im Fachjargon heißen – mehrere eingebaute Sicherungen haben: einen Magnetstreifen, auf dem alle Daten gespeichert sind, ein „moduliertes Merkmal“ (MM) und eine persönliche Identifikationsnummer (PIN), die nur der Besitzer kennt.

Der Magnetstreifen lässt sich mit jedem Lesegerät, zum Beispiel an Ladenkassen, lesen. Solche Lesegeräte sind zwar teuer, aber auf dem digitalen Schwarzmarkt leicht zu haben und zu manipulieren. Mit ihnen kann man Kartendubletten herstellen und mit denen wiederum problemlos in Geschäften einkaufen, die Debitkarten nur mit Unterschrift, aber ohne PIN-Eingabe akzeptieren. Das tun immer noch einige Händler, obwohl es ihr Risiko ist. Die Karte-Unterschrift-Zahlung ist praktisch ein Lastschriftverfahren, das der Karteninhaber stornieren kann. Dann muss der Händler sehen, wie er an sein Geld kommt.

Bei Zahlung mit PIN-Eingabe steht das Kreditinstitut der Karte dafür gerade. Alle großen Discountketten arbeiten mit PIN-Verfahren. Aber auch PINs kann man knacken. Durch Ausspähen, durch illegal aus dem Internet gefischte Bankdaten, durch manipulierte Lesegeräte, bei denen der Kunde die PIN eintippt und nur eine Fehlermeldung erhält. Mit einer Dublette plus PIN kann man nicht nur einkaufen auf Kosten des Karteninhabers, man kann auch Bargeld ziehen. Allerdings nicht an deutschen Bankautomaten. Dafür sorgt seit 1979 auf allen deutschen Debitkarten das MM, „eine in den Kartenkörper eingebrachte, geheime maschinenlesbare Substanz“. Mit ihm korrespondiert die „MM-Box“ an allen deutschen Geldautomaten, die Dubletten sofort erkennt und verweigert. Das Penzel’sche Konto war aber in Frankreich und Österreich geplündert worden.

Betrug mit den anderen, den Kreditkarten, macht in Deutschland zwei Drittel der bekannt geworden Internetkriminalität aus, konstatiert eine Studie vom Februar 2005, aus Informationen von Strafverfolgungsbehörden mehrerer europäischer Länder und eigenen Recherchen erstellt von einem der renommiertesten Experten für Internetsicherheit, dem Schweizer Peter Troxler. Auftraggeber war McAfee, der weltweit führende Anbieter von „Internet Security“.

In Berlin hat sich der Betrug mit Karte-PIN-Transaktionen seit 2003 um fast ein Drittel erhöht, das Datenausspähen vervierfacht, sagt die Kriminalstatistik 2004. Das soll bald unmöglich sein. „Sparkassen und Landesbanken haben seit 2003 neue, international kompatible Chips auf den EC-Karten“, erklärt Michaela Roth, die stellvertretende Pressesprecherin des Sparkassen- und Giroverbands. Mehr als zweiundzwanzig Millionen sind seitdem auf dem Markt. „Insgesamt haben wir 47 Millionen ec-Karten. Der Austausch läuft sukzessive weiter.“

Der EMV-Chip ersetzt den Magnetstreifen und ist – bisher zumindest – nicht zu knacken oder zu kopieren. In Frankreich, wo er in den 90er Jahren eingeführt wurde, sind die Missbrauchsraten deutlich zurückgegangen. EMV steht für Europay, Mastercard und Visa, einen Verbund mehrerer weltweit operierender Unternehmen. Aber eben nicht aller. Wenn der EMV-Chip in Europa Standard wird und alle, Bankautomaten wie Händler, EMV-fähige Terminals haben, ist immerhin die Sicherheitslücke geschlossen, die das Penzel’sche Konto ausgedünnt hat. Der Schaden durch solche illegalen Transaktionen mit Karte und PIN muss von der Bank getragen werden.

Nicht, dass die knapp 1500 Euro, die seit Anfang August fehlen, schon auf Penzels Konto wären. Aber kommen werden sie. Ein kleiner Trost in Zeiten neuer, schwer durchschaubarer und noch schwerer nachweisbarer Eigentumskriminalität, bei der „die traditionellen Werkzeuge Gewalt und Einschüchterung getauscht werden gegen die Hightechwaffen des 21. Jahrhunderts“, wie der McAfee-Report warnt. Es ist organisierte Kriminalität, die keine geografischen Barrieren kennt. Und auch wenn es immer noch leichter ist, jemandem das Portemonnaie zu klauen als das Konto zu räumen, weil elektronische Transaktionen immer Spuren hinterlassen – die Schadenssumme bei geglücktem Bankraub ist entschieden höher. Die britische Kriminalpolizei hat jüngst einen Plan vereitelt, 300 Millionen Euro aus einer Bank illegal auf zehn verschiedene internationale Konten zu transferieren. Bonnie und Clyde im Cyberspace.

„Wichtig ist, dass die Hürden möglichst hoch sind und man immer einen Sicherheitsvorsprung hat vor Betrügern“, sagt Michaela Roth. Der ewige Wettlauf zwischen denen, die Lücken entdecken und nutzen, und denen, die sie schnell schließen müssen. Hase und Igel im virtuellen Raum.

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