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Berlin: Zerrissen und vereint: Die American Church kämpft mit dem Krieg

SONNTAGS UM ZEHN Draußen wacht ein Polizeiauto, drinnen das Gefühl zusammenzugehören. Dass ein ungebetener Gast in den Kirchenraum schleicht, ist kaum denkbar.

SONNTAGS UM ZEHN

Draußen wacht ein Polizeiauto, drinnen das Gefühl zusammenzugehören. Dass ein ungebetener Gast in den Kirchenraum schleicht, ist kaum denkbar. Denn hier, im Gottesdienst der American Church in der Schöneberger Lutherkirche kennen sich alle. Wer zum ersten Mal hier ist, stellt sich zu Beginn des Gottesdienstes vor oder wird vorgestellt. 275 Mitglieder hat die American Church in Berlin, und es werden immer mehr. Rund 130 Gläubige sind an diesem Sonntagmorgen gekommen.

Er habe sich lange überlegt, was er heute predigen soll, sagt Reverend Ben Coltvet. Die Gemeinde sei eine große Familie, zu der Menschen mit sehr unterschiedlichen Meinungen gehörten. Darunter sind Diplomaten wie der amerikanische Botschafter Dan Coats, der an diesem Sonntag mit seiner Frau und Freunden links in der Mitte der Kirche sitzt. Sein Amtsvorgänger John Kornblum, der vorne rechts sitzt, gehört ebenso zur Familie wie Geschäftsleute, Asylbewerber und Künstler, Schwarze und Weiße, Katholiken und Protestanten. Nach dem Gottesdienst wird Coltvet sagen, dass er niemanden ausschließen will und dass Bischof Huber es da sehr viel leichter habe, wenn er sich eindeutig politisch positioniere. Der evangelische Oberhirte weiß, dass die meisten Zuhörer seine kriegskritische Meinung unterstützen.

Und so hat Reverend Coltvet in seiner Predigt die Vogelperspektive auf den Krieg gewählt. Das Wort „Krieg“ oder „Irak“ kommt ihm dabei nicht über die Lippen. Aber auch so weiß jeder, worum es geht. „Wir haben sehr viele unterschiedliche Meinungen gehört“, sagt Coltvet , „Meinungen, die sich auf Fakten gründen und solche, die auf Gefühlen basieren, solche, die sich auf verlässliche Quellen stützen und auf zweifelhafte, vertreten von Demonstranten für und dagegen.“ Das zeige, dass wir in einer zerrissenen und brüchigen Welt leben. Das sei nichts Neues, die Welt sei schon immer brüchig gewesen. Aber genauso sei Gott schon immer die Rettung gewesen, die letzte Zuflucht. Er beschütze uns, auch wenn die Erde bebe.

Coltvet zitiert aus dem Lukas-Evangelium: Du sollst Deine Feinde lieben und die preisen, die Dich verachten, den Schlag nicht mit einem Schlag vergelten, sondern auch die andere Wange hinhalten. Zu welchem Entschluss jeder einzelne auch kommen möge, Gott lasse niemanden mit seiner Entscheidung allein, Gott leite jeden, der sich ihm anvertraut.

Am Ende des Gottesdienstes beten alle gemeinsam: „Herr, lass uns zum Werkzeug Deines Friedens werden, wo Hass ist, lass uns Liebe säen. Herr, sorge dafür, dass wir nicht so sehr danach suchen, verstanden zu werden, sondern zu verstehen, denn indem wir geben, nehmen wir, indem wir verzeihen, wird uns verziehen und indem wir sterben, wird uns ewiges Leben gegeben.“ Nachher trinkt man zusammen Kaffee, isst Kuchen.

Es werde sehr viel in der Gemeinde über den Krieg diskutiert, sagt ein Arzt aus Spandau. Dabei zeige sich, dass jeder in seiner Welt lebe und deshalb eine andere Meinung habe. Er denke zuerst an die Verwundeten, Dan Coats an die Weltpolitik. Das sei doch ganz natürlich. Und deshalb kann er verstehen, dass Reverend Coltvet nicht politisch Stellung bezieht, sondern über die inneren Spannungen in jedem einzelnen spreche. Außerdem sei das nicht die erste Krise, die die Gemeinde zu bewältigen habe, sagt seine Frau.

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