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Berlin: Zielprojekt Selbstbehalt

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Wortschöpfungen sind gut. Bei manchem neuen Thema kommt man ohne neue Begriffe gar nicht aus. Es gibt treffende, originelle Wortschöpfungen, die zum Zuhören anregen. Man merkt sofort, worum es geht. Andere sind untauglich, weil man lange grübeln muss, bevor man den Sinn erfasst. Ganz abgesehen davon, dass sie grauenhaft klingen.

Überall in der Politik tun sich Erfinder hässlicher oder irreführender Wortungetüme hervor. Nehmen wir das Gerede von den Arbeitslosenbeiträgen, das jetzt aus Wahlkampfgründen so oft zu hören ist. Es geht ja hierbei nicht um Beiträge der Arbeitslosen zu irgendetwas. Gemeint sind die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, welche die Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen. Im Wahlprogramm der Union steht, dass diese Beiträge gesenkt werden, sofern Angela Merkel Bundeskanzlerin wird.

Überhaupt wird, als wäre die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik nicht kompliziert genug, auch noch schwer verständlich darüber geredet. Experten der rot-roten Koalition in Berlin haben den „Selbstbehalt“ erfunden. SPD und PDS fordern, dass sich der Senat im Bundesrat für einen „höheren Selbstbehalt bei Hinzuverdienst“ (nämlich zum Arbeitslosengeld II) einsetzt. Die seltsamen Substantive sind samt detaillierten Vorschlägen, die kein Laie versteht, in einem Parlamentsantrag der Koalitionsfraktionen zu lesen. Mit anderen Worten: Von dem Geld, das Arbeitslose hinzuverdienen, soll weniger auf das Arbeitslosengeld II angerechnet werden, damit sie mehr im Portmonee haben. Es gibt auch „Nichtleistungsempfangende“. Sie erhalten kein Arbeitslosengeld II, weil dafür das Einkommen der Lebenspartner zu hoch ist. Ja, was soll man machen, wenn man nicht ansprechend informiert wird? Man hört weg.

„Die Stärkung der Bürgerbeteiligung ist ein gemeinsames Zielprojekt unserer Koalition“, versicherte Peter-Rudolf Zotl (PDS) im Abgeordnetenhaus. Donnerwetter, das klingt großartig, jedenfalls im ersten Moment. Natürlich hat jede Koalition Ziele, die sie auch erreichen will. Aber was ist ein Zielprojekt? Gibt es etwa Projekte ohne Ziele? Das kann man sich kaum vorstellen. Ein Projekt ist ein groß angelegtes Vorhaben. Da redet man doch gar nicht erst von Plänen oder Vorhaben. Projekte müssen es sein, Zielprojekte gar.

Selbst die rot-grüne Koalition ist zumindest im Selbstverständnis der Grünen kein gewöhnliches Regierungsbündnis, sondern das rot-grüne Projekt, sozusagen etwas Besonderes. Schon die kurzlebige rot-grüne Senatskoalition von 1989/90 war ein rot-grünes Projekt. Ach ja, die schönsten Projekte können scheitern, wenn die Bürger sie nicht verstehen, was gewiss nicht nur, aber auch mit Sprachverständnis zu tun hat.

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