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Denn sie wussten nicht, was sie tun. Experten raten Eltern dazu, der Zigarette die Coolness zu nehmen.

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Zigarettenkonsum bei Kindern und Jugendlichen: Das schlechte Gewissen raucht mit

Kinder, Jugendliche und Eltern greifen heute seltener zur Zigarette - aber immer noch zu oft. Was Erziehungsberechtigte tun können, damit die Jüngeren es ganz lassen.

Gleich fährt der Zug in den Bahnhof. Eine Frau Mitte 40, tätowiert, tiefbraun, tief dekolletiert, lange rot gefärbte Haare, steht an der Tür. Sie kramt in ihrer Tasche, findet ihre Zigaretten, holt zwei aus der Packung – und gibt eine wortlos einem etwa 15-Jährigen Mädchen, das neben ihr steht. „Danke, Mama“, sagt der Teenager. Noch beim Aussteigen zünden sich die beiden fast synchron ihre Zigaretten an. Die Umstehenden gucken betreten.

Dass man Teenager sieht, die zusammen mit ihren Eltern rauchen, passiert heute weit seltener als noch vor einigen Jahrzehnten. Heute ist das eher ein schockierender Einzelfall. Dass früher alles besser war, kann man beim Thema Rauchen wirklich nicht behaupten. Speziell, wenn man auf die Heranwachsenden schaut. Sogar in der jüngsten Vergangenheit hat sich noch viel zum Besseren gewendet: Während im Jahr 2001 noch 28 Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen zur Zigarette griffen, waren es im Jahr 2015 nur noch 7,8 Prozent. Würde Paragraf 10 des Jugendschutzgesetzes durchgängig greifen, müssten es allerdings null Prozent sein. Denn der verbietet nicht allein die Abgabe von Tabakwaren an Menschen unter 18, er untersagt auch ganz klipp und klar, ihnen das Rauchen zu gestatten.

25 Prozent der Kinder wachsen in Raucher-Haushalten auf

Aber: In Berlin wachsen immer noch 25 Prozent der Kinder in Haushalten auf, in denen zumindest ein Elternteil gewohnheitsmäßig raucht, so ist von der Fachstelle für Suchtprävention zu hören. Und Eltern, die selbst rauchen, dürfte es nicht leicht fallen, ihre Kinder davon abzuhalten, zur Zigarette zu greifen. Und auch für andere Familien gilt: Wenn Jugendliche etwas unbedingt ausprobieren wollen, werden sie auch Mittel und Wege dafür finden. Mit lückenloser Überwachung werden Eltern darauf kaum reagieren können und wollen. Schon weil sie sich an die Experimentierphasen in ihrer eigenen Biografie erinnern.

„Sie können sich allerdings klar gegen das Rauchen positionieren und Regeln aufstellen wie zum Beispiel, dass ihre Kinder nicht in der Wohnung rauchen dürfen“, empfiehlt Kerstin Jüngling, Geschäftsführerin bei der Fachstelle für Suchtprävention im Land Berlin. Auch mit in Aussicht gestellten Belohnungen bis hin zu dem Deal, dass der Führerschein von den Eltern bezahlt wird, wenn das Kind nicht raucht, bis es volljährig ist, könne man arbeiten. „Ich habe schon davon gehört, dass solche Deals funktionieren“, sagt Jüngling.

Auch wenn das nur einen Zeitgewinn bringen sollte: Es ist einer für die Gesundheit. Die inhalierten Schadstoffe schädigen den wachsenden Organismus nämlich besonders stark. „Und leider ist die Wahrscheinlichkeit, zum regelmäßigen Raucher zu werden, umso größer, je früher der Einstieg ist“, sagt Jüngling. Dazu kommt, dass die Wahrscheinlichkeit, mit dem Kiffen anzufangen, für Heranwachsende mit Zigarettenerfahrung elffach erhöht ist. Grundschüler sind allerdings heute in den allermeisten Fällen die radikalsten Kritiker und Verächter jeglichen Tabakkonsums in ihrer unmittelbaren Umgebung. Rauchende Tanten und Freunde der Eltern werden erbarmungslos mit dem Faktenwissen aus dem Sachkundeunterricht traktiert. Ehe man, ein paar Jahre und einige Hormonschübe später, doch mit dem Kumpels zusammen selbst zur Zigarette greift – in einer Entwicklungsphase, in der das kognitive System dem limbischen, das Erfahrungen und Emotionen bewertet, weit hinterherhinkt.

Eltern sollen dem Glimmstängel die Coolness nehmen

Dass in jedem Jahr in Deutschland 140 000 Menschen viel zu früh an den Folgen des Rauchens sterben, dass Rauchen Krebs verursachen und zu anderen gefährlichen Lungenkrankheiten führen kann, dass starke Raucher oft schlimm husten und ihre Haut frühzeitig altert: All das weiß man zu diesem Zeitpunkt längst. In Berlin macht es der Verein Karuna für Schulklassen mit einem Erlebnisparcours mit Aging-Station anschaulich. Dazu kommen bundesweite Wettbewerbe wie „Be smart – don’t start“, in denen Schulklassen Preise gewinnen können, wenn alle Nichtraucher bleiben.

Bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die einen eigenen Ratgeber zu dieser Frage herausgegeben hat, rät man davon ab, zu Hause gleich das ganz große Geschütz Lungenkrebs aufzufahren. Denn das kann zu Angst um Angehörige führen, die nicht von der Zigarette lassen können.

Auch Kerstin Jüngling hält mehr von Argumenten, die dem Glimmstängel die Coolness nehmen. Die stinkenden Klamotten und der schlechte Atem zum Beispiel. „Eltern sollten mit ihren Kindern aber auch über Aspekte wie Kinderarbeit und Ausbeutung in den Tabakanbauländern sprechen und damit dem Image des Rauchens entgegenwirken.“

Dass die Zahlen zum Thema Rauchen dort höher ausfallen, wo Budget und Bildungsabschlüsse niedriger sind, zeigen immer wieder Studien. „Da besonders bildungsferne Schichten und Menschen mit Migrationshintergrund hohe Raucherquoten haben, haben wir Präventionsmaterialien in einfacher Sprache und mit Symbolen entwickelt“, sagt Jüngling.

Eltern sind Vorbilder, so oder so. Wenn sie von der Gewohnheit nicht lassen können, sollten sie es auf jeden Fall mit der zweitbesten Lösung versuchen und sich die Zigarette in Gegenwart der Kinder möglichst verkneifen. Mütter und Väter, die wirklich nur ab und zu und aus Genuss rauchen, können das ohnehin leicht auf kinderfreie Auszeiten beschränken. (Und werden dann nicht wissen, welchen Anteil an der Entspannung die Zigarette wirklich hat.) Wer das nicht schafft, sollte seinen Kindern ehrlich sagen: Ich hätte nicht angefangen, wenn ich gewusst hätte, wie schwer das Aufhören wird. Und sie sollten ihnen durchaus auch signalisieren: Du sollst es einmal besser haben.

Das Ungeborene raucht über die Plazenta „aktiv“ mit

Zunächst haben es Kinder rauchender Eltern aber eindeutig schlechter: Zwölf Prozent der ungeborenen Kinder in Deutschland sind den schädlichen Wirkungen von Tabak ausgesetzt. Das Ungeborene raucht dann über die Plazenta „aktiv“ mit, wiegt bei der Geburt weniger, kann sogar Fehlbildungen bekommen und leidet später häufiger unter Asthma. Noch dazu bildet sein Gehirn eine hohe Anzahl von „Antennen“ für Nikotin aus, was es später anfälliger dafür macht. Beim Stillen bekommt es nach der Geburt weiter Nikotin ab, das fettlöslich ist und deshalb in die Muttermilch übergeht. Kleinkinder rauchender Mütter haben später nachweislich häufiger eine Mittelohrentzündung.

Mit Plakaten und Infopaketen für die Praxen von Frauen- und Kinderärzten und einer Schwangerschaftsdrehscheibe, die über Hebammen und Gynäkologen verteilt wird, sollen die Zielgruppen in Berlin „niedrigschwellig“ erreicht werden. Dass man in Schwangerschaft und Stillzeit nicht einfach mit dem Rauchen aufhören soll, ist übrigens ein Ammenmärchen: „Der Entzug beim werdenden Kind ist nicht relevant gegenüber den Schäden“, sagt Jüngling.

Eines ist der Geschäftsführerin der Fachstelle für Suchtprävention bei all diesen Aktivitäten aber ganz besonders wichtig: Dass Ärzte, Familienhebammen und andere Berater eine empathische Grundhaltung haben. „Eltern, insbesondere die Mütter, haben sowieso ein schlechtes Gewissen, wenn sie rauchen.“

Mitarbeit: Daniela Martens

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