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Berlin: Zionskirche: Andachten dauern wegen der Kälte nur zehn Minuten

Es wirkt schon ein wenig verspielt, was da über die blattlosen Baumkronen auf dem Platz hinausragt: Türmchen flankieren den 67 Meter hohen gotischen Turm der Zionskirche. Ihr Gemäuer ist gestreift, besteht aus gelben Ziegeln und roten Keramikplatten.

Es wirkt schon ein wenig verspielt, was da über die blattlosen Baumkronen auf dem Platz hinausragt: Türmchen flankieren den 67 Meter hohen gotischen Turm der Zionskirche. Ihr Gemäuer ist gestreift, besteht aus gelben Ziegeln und roten Keramikplatten. Unterm Dach verläuft rund um das Gebäude eine kleine Säulengalerie. Im Stil der "lombardischen Spätromanik" wurde die Kirche von dem Architekten August Orth geplant und 1873 fertig gestellt. Dass diese Zierde der Gegend schon bessere Tage gesehen hat, merkt man erst auf den zweiten Blick.

Dabei fällt auf, dass die meisten Parterre-Fenster des Kirchenbaus zugemauert sind: ein Überbleibsel aus der Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Berliner davon abgehalten werden sollten, weitere Kirchenbänke zu verfeuern. Der Sockel ist stellenweise bröckelig, an der Ostseite sind Arbeiter gerade dabei, die Fassade zu reparieren. Wie sehr das Bauwerk in den vergangenen Jahrzehnten gelitten hat, wird vor allem im Inneren deutlich. Die Farbe blättert ab, der letzte Anstrich stammt aus den 60er Jahren. Unter dem Gewölbe haben sich Wasserflecken gebildet. Es ist feucht und kalt. Kein Wunder, dass Andachten im Winter nur zehn Minuten dauern, die Gottesdienste im Gemeindehaus abgehalten werden.

Das soll sich ändern. Ein Förderverein will der Gemeinde helfen, die Kirche herzurichten. Er sammelt Geld für eine Heizung und für den Innenausbau. In den kommenden Wochen sollen die ersten neuen Bleiglasscheiben eingesetzt werden. Die Gemeinde könne die Sanierung allein nicht bezahlen, sagt die neue Pfarrerin Anneli Freund, die aus Moabit nach Mitte übersiedelte. Sechs Millionen Mark hätten allein die Reparatur des Dachs und des baufälligen Kirchturms gekostet. Die Lottostiftung und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hätten geholfen, trotzdem seien die Kassen nun leer. Frau Freund hofft nun, dass sich auch Leute für die Zionskirche einsetzen, denen es nicht in erster Linie um die Religion geht. "Die Interesse daran haben, dass der Platz mit der Kirche als Mittelpunkt des Kiezes wieder lebendig wird." Ein Architekturbüro, eine Werbeagentur und ein Bäcker gehörten bereits zu den Unterstützern.

Auffällig ist, dass in der In-Gegend auch die Zahl der Kirchgänger steigt. Acht Prozent mehr Gemeindemitglieder habe sie im vergangenen Jahr verzeichnet, sagt Frau Freund. Viele davon sind Westdeutsche, die frisch nach Mitte gezogen sind. Der Altersdurchschnitt betrage 35 Jahre. Eltern, die ihr Kind im evangelischen Kindergarten unterbringen wollen, müssten bis zu zwei Jahre warten.

Diejenigen Gemeindemitglieder, die die jüngste Geschichte der Kirche noch miterlebt haben, sind da in der Minderheit. Der couragierte Vorgänger Anneli Freunds, Pfarrer Hans Simon, stellte zu DDR-Zeiten regimekritischen Kreisen Gemeinderäume zur Verfügung. Im Keller gab es die Umweltbibliothek, in der neben Westliteratur auch oppositionelle Zeitschriften zu lesen waren. Von der Regierung schlecht gelittene Künstler durften in der Gemeinde auftreten. Die Stasi hatte ein Auge auf den Unruheherd. Im Jahr 1987 gab es Durchsuchungen und Festnahmen. Bekannt ist die Zionskirche außerdem als frühere Arbeitsstätte des Theologen und von den Nationalsozialisten hingerichteten Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer. Eine Plastik an der Kirche erinnert an ihn.

Sogar Punkkonzerte durften zu DDR-Zeiten unter der schützenden Hand von Pfarrer Simon in der Zionskirchgemeinde stattfinden. Eines wurde, ebenfalls 1987, von Skinheads überfallen. Auch sie sollen von der Stasi geschickt worden sein. Vergangenes Jahr wurde diese Szene für einen Film in dem sakralen Bau nachgestellt. Ohnehin ist die Kirche bei Künstlern beliebt. Ein Theaterprojekt und eine Ausstellung sind dort in den nächsten Monaten geplant. "Außerkirchliches" habe hier Platz, sagt Anneli Freund. So solle es auch bleiben.

Tobias Arbinger

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