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Berlin: Zum Arbeiten ins Ländle

Er ist 40, allein erziehender Vater und hat in den letzten zwei Jahren mehr als 50 Bewerbungen geschrieben – umsonst: Hans S.* findet keinen Job.

Er ist 40, allein erziehender Vater und hat in den letzten zwei Jahren mehr als 50 Bewerbungen geschrieben – umsonst: Hans S.* findet einfach keinen Job. Darum machte er sich gestern auf und ging in das Arbeitsamt Berlin-Ost, im Anzug mit Krawatte, die Bewerbungsmappe in der Hand, bereit zum „Auswandern“. 12 Unternehmen aus Stuttgart und Umgebung haben nämlich ihre Personalentscheider nach Berlin entsandt, weil sie hier Fachkräfte anwerben wollen.

Bei den Schwaben sieht der Arbeitsmarkt vergleichsweise rosig aus: „Wir haben ungefähr sieben Prozent Arbeitslose, und davon sind etwa die Hälfte ungelernte Ausländer, zum Teil ohne Ausbildung, oft auch ohne deutsche Sprachkenntnisse. Uns fehlen Fachkräfte“, sagt Marion Marga-Holder vom Stuttgarter Arbeitsamt. Und weil Arbeitgeber eben auch Kunden des Arbeitsamtes sind, zahlt die Behörde zwölf Unternehmern aus dem Ländle den Flug nach Berlin und zurück. Die stellen zwei Tage lang – gestern in der Gotlindestraße, heute im Arbeitsamt Neukölln in der Sonnenallee – ihre Unternehmen und die freien Stellen vor. Das Angebot kommt an: Um 10 Uhr soll es losgehen, aber schon eine knappe Stunde vorher kommen die ersten Bewerber. Gegen halb elf sind die Räume voll, auf dem Gang stehen elf Leute und warten, und um 13 Uhr haben schon 160 Berliner Bewerbungsgespräche geführt.

Die Jobs sind breit gefächert: Gesucht werden Ingenieure und Stukkateure, Bürokräfte und Eisenbinder, Erzieher und Controller. Controlling, zum Beispiel, würde auch Hans S. gern machen, darum sitzt er jetzt Joachim Schmitt gegenüber, Personalreferent in Untertürkheim bei Daimler-Chrysler. Seinen Lebenslauf kann er gut aufsagen, es wirkt weder auswendig gelernt noch flapsig, aber ob er wirklich ins Unternehmen passt? Er hat viele Fortbildungen und Umschulungen hinter sich, weiß aber nicht, was er am liebsten täte und am besten könnte. Die Ärmel seines Sakkos sind etwas zu kurz, die Brille rutscht auf die Nasenspitze, und es drängt sich der Eindruck auf, dass der schnieke Herr Schmitt mit ihm nicht recht etwas anzufangen weiß. Nach einer langen Viertelstunde erhebt sich Hans S. „Schade, dass das nicht so ganz erfreulich war“, sagt er, aber eigentlich würde er sowieso lieber in Berlin bleiben: Seine 13-jährige Tochter geht noch zur Schule.

Dieses Problem hat Peter G. nicht. Der Trockenbauer müsste bloß seine Frau fragen, ob sie mit umziehen würde: Sie weiß nämlich nicht, dass ihr Mann sich hier bewirbt. Der 30-Jährige sitzt gegenüber von Markus Morlok, Juniorchef im Stukkateursbetrieb Morlok. „Ond des omziege wär für di koi Probläm“, fragt der in breitestem Schwäbisch. Nein, wenn die Ehefrau nichts dagegen hat, nicht. Peter G. hat acht Jahre Berufserfahrung. Nicht schlecht, findet Morlok, und schlägt ihm vier Wochen Praktikum vor – bezahlt, Logis umsonst, zum Kennenlernen. Wenn’s klappt, bekäme er Hilfe bei der Wohnungssuche, und man würde auch gern die Ehefrau bei der Jobsuche unterstützen. Peter G. hinterlässt seine Adresse. Doch was will er 50 Kilometer von Stuttgart entfernt irgendwo auf dem Land? „Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten, haben Kinder, kommen abends nach Hause und Ihre Frau fragt: ,Was ist mit dem Geld?’ und Sie haben keinen Pfennig. Hier wurde ich dreimal hintereinander auf dem Bau betrogen!“ Ulrike Heitmüller

*Alle n von der Redaktion geändert. Heute Arbeitgeber-Börse im Arbeitsamt Neukölln, Sonnenallee 282, 10 bis 15 Uhr.

Ulrike Heitmüller

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