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ZWEI EXPERTEN – ZWEI POSITIONEN: Rekonstruktion – Sünde oder Segen?

Die geplante Wiederbelebung des alten Viertels Cölln, einer der beiden Keimzellen Berlins, wirft die Frage nach Sinn oder Unsinn der Rekonstruktion alter Gebäude und Stadtgrundrisse auf. Unsere beiden Experten vertreten dazu sehr gegensätzliche Positionen.

SÜNDE!

Das Statement hält sich hartnäckig: Rekonstruktion hats immer schon gegeben, also warum nörgeln, wenn sich Bürger für die Wiederherstellung schöner alter Bauten einsetzen? Die Behauptung ist Unsinn und die Frage falsch gestellt. Natürlich: seit Menschen bauen, haben sie ihre Bauten auch ausgebessert, erneuert, und nach Beschädigungen wiederaufgebaut. Diese heute ausdefinierten Kategorien architektonischer Reparatur, denkmalpflegerischer Sanierung und des Wiederaufbaus aus Ruinen stehen auch selten zur Debatte. Worüber heute gestritten wird ist die bildgenaue Vollrekonstruktion eines oftmals sogar über längere Perioden hinweg komplett verschwundenen Bauwerks. So werden geschichtliche Kontinuitäten simuliert, die politisch wie baulich nachgewachsene Zwischenzustände beseitigen, deren ansteigende Stratigraphie wir erkenntnisreiche ‚Ge-Schichte‘ nennen. Es geht also um „Denkmalpflege statt Attrappenkult“, wie man in gleichnamiger Publikation nachlesen kann.

Fehlt unserer Zeit das Selbstbewußtsein, ein eigenes Stadtbild und gute Architektur zu erzeugen? Nein, das Problem liegt wo anders. Die Architektur der Stadt ist ein langsamer Vorgang, der soziale und kulturelle Zustände der Gesellschaft materialisiert, ‚Bilder‘ hingegen entstehen heute überall um uns herum auf Bildschirmen und Werbeflächen. Wir sind gewohnt je nach Lust und Laune durch die Programme zu ‚zappen‘, gute Architektur hingegen braucht Reflexion und Zeit; das klassizistische oder nachkriegsmoderne Berlin ist nicht über Nacht entstanden und auch ‚Berlin-post-1989‘ ist noch lange nicht fertig. Was uns fehlt ist nicht ein Stadtbild, sondern Geduld und Diskussionskultur.

Was Berlin so spannend macht ist gerade seine einzigartige ‚Viel-Schichtigkeit‘: auf der Spreeinsel konnte man Welt- und Architekturgeschichte baulich nachlesen. Leider hatte sich die Politik nach 1990 viel zu früh auf eine Komplettentsorgung der DDR-Bauten festgelegt ohne architektonischer Kreativität erst einmal freien Lauf zu lassen. Wer weiß heute noch, daß für dieses Areal 1993 der weltweit größte städtebauliche Wettbewerb stattfand, mit über 1000 Beiträgen aus fast 50 Ländern. Die spannendsten Ideen wollten auch DDR-Geschichte kreativ weiter-, um- und gegenbauen zu einem neuen demokratischen Ganzen. Gewonnen hat auf Druck der Politik eine neu-alte Schloß-Kiste, an deren Belanglosigkeit wir heute noch leiden. Und der bösartige Abriß des Ahornblattes, einer Ikone der Nachkriegsmoderne, hat uns heute an selber Stelle nichtssagende und leerstehende Bürobauten beschert. Für Hans Stimmann war das damals Rekonstruktion des Stadtgrundrisses. Auch die geplante Fassaden-Rekonstruktion des Stadtschlosses ist eine kreative wie inhaltliche Abwärtsspirale, die nie aufhören wird. Wir sollten vorsorglich schon mal die ‚Bürgerinitiative für die Rekonstruktion des Palastes der Republik nach dem Abriß des rekonstruierten Stadtschlosses‘ gründen.

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Michael Falser

Der Autor gehört zum Chair of Global Art History der Universität Heidelberg. Sein neuestes Buch: „Kulturerbe und Denkmalpflege transkulturell“.

SEGEN!

Die Rekonstruktion des historischen Stadtgrundrisses ist seit 1999 erklärte Senatsmaxime. Das gilt bislang aber nicht für die Rekonstruktion herausragender Bauwerke. Denn Berliner und deutsche Denkmalpflege werden noch immer von einer Rekonstruktionsphobie beherrscht. In den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg war der Verlust der (Innen-)Städte sogar moralisiert worden: Das deutsche Volk habe sie „nicht mehr verdient“ (Walter Dirks).

Ein Meilenstein auf dem Weg zur Anerkennung der Rekonstruktion als sinnvolle kulturelle Praxis war die Rekonstruktionsausstellung des Münchener Architekturmuseums anno 2010. Gegenwärtig stellt sich nicht mehr die lange diskutierte Frage, ob, sondern wie herausragende Bauwerke rekonstruiert werden. Selbst das Fazit des obersten Berliner Denkmalschützers Jörg Haspel lautet: Rekonstruktion verlorener Baudenkmale schade den im Umfeld noch vorhandenen Denkmalen nicht.

Berliner (Teil-)Rekonstruktionen gibt es zahlreich: Wiedergewonnen wurden das Rote Rathaus, das Brandenburger Tor, das Ephraim-Palais, das Forum Fridericianum, Zeughaus, Oberbaumbrücke und viele andere. Die größte und wichtigste Rekonstruktion aber ist das Berliner Schloss: Drei Fassadenseiten und die Treppenhäuser werden getreu in Maß, Form und Material wiedererrichtet; im Inneren werden nur einige wenige historische Raumfolgen nicht verbaut. Ostflügel, Hofflügel, Eosanderhof werden in neuen Formen einer schöpferischen Denkmalpflege realisiert.

In Zukunft, in der es auch um weitere, bislang nicht geprüfte Bausteine der Schlossrekonstruktion wie etwa den Wiederaufbau des Renaissanceflügels gehen kann, sollte ein Beispiel den Berlinern Mut machen: Die Warschauer Altstadt und später auch das Königsschloss wurden seit 1950 über fast drei Jahrzehnte weitgehend originalgetreu wieder aufgebaut, schon 1980 wurden sie Unesco-Weltkulturerbe! Wenn Berlin seine historische Mitte entschlossen als Ausdruck unserer Zeit rekonstruiert – und das bedeutet auch, viele DDR-Bauwerke ins Stadtbild zu integrieren –, dann könnte auch sie Weltkulturerbe werden.Im gegenwärtigen Zustand ist diese Auszeichnung notwendigerweise auf die Museumsinsel beschränkt.

Benedikt Goebel

Der Autor ist Sprecher des Bürgerforums Historische Mitte Berlin, der Planungsgruppe Stadtkern und des Netzwerks Nucleus.

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