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Berlin: Zweite Flucht in einem Monat - Häftling entkommt aus Gericht

Politiker aller Fraktionen kritisieren mangelnde Sicherheitsvorkehrungen

Erneut ist ein Angeklagter aus dem Berliner Kriminalgericht Moabit entkommen. Einen Monat nachdem ein libanesischer Schwerkrimineller geflohen war, gelang dies gestern einem 44 Jahre alten Angeklagten. Martin R. bedrohte einen Justizangestellten in der Mittagspause mit einer Scherbe, fesselte und knebelte ihn, sperrte ihn in eine Vorführzelle und nahm dessen Schlüsselbund mit. R. entkam unerkannt. Der Gefesselte konnte sich erst nach 45 Minuten befreien und Alarm auslösen. Die Glasscherbe hatte R. vermutlich aus einem Flurfenster, das er mit dem Ellenbogen eingeschlagen haben soll. Bis Redaktionsschluss blieb die Fahndung ohne Erfolg.

Der CDU-Rechtsexperte Michael Braun fordert nun den Rücktritt von Justizsenatorin Karin Schubert. Die SPD-Politikerin ist seit Monaten in der Kritik, weil sich in diesem Jahr die Fluchten von Gefangenen gehäuft hatten – ob aus dem Gefängnis, während Ausgängen oder im Gericht. Senatssprecher Michael Donnermeyer lehnte jeden Kommentar dazu ab.

Michael R. stand seit August 2005 in Moabit wegen schweren Betruges vor Gericht, kannte also das Prozedere im Gericht. Von ursprünglich 15 Angeklagten im Verfahren, darunter der Bruder des Flüchtigen, war zuletzt nur noch der 44-Jährige selbst übrig geblieben. Für die Staatsanwaltschaft ist der wegen Betrugs und Urkundenfälschung vorbestrafte Martin R. der Kopf einer Betrüger-Gruppe. Ihm allein werden 165 Taten angelastet. Die Bande soll 2,8 Millionen Euro mit kriminellen Grundstücksgeschäften und falschen TÜV-Bescheinigungen ergaunert haben.

Nachdem vor einem Monat der Schwerkriminelle Libanese Hassan Ch. entkommen war, hatte die Justiz eine „Expertengruppe“ eingesetzt, die die Sicherheit im Gericht prüfen sollte. Nach Angaben von Michael Braun waren jedoch schon 2005 vom damaligen Generalstaatsanwalt Karge entscheidende Mängel angeprangert worden. Beispiel: ein einzelner Justizangestellter im Vorführbereich und kaum Alarmknöpfe. „Wir brauchen neue Technik und mehr Personal“, fordert Braun. FDP-Rechtspolitiker Christoph Meyer sieht die Flucht als weiteres Beispiel dafür, dass sich Senatorin Schubert „von Ausbruch zu Ausbruch hangelt, ohne etwas zu tun“.

„Jetzt reicht es“, sagte der CDU-Spitzenkandidat Friedbert Pflüger: „Jetzt muss Frau Schubert zurücktreten. Schließlich hat sie erst nach der letzten Flucht vor wenigen Wochen versprochen, das werde nie wieder geschehen. Wir machen uns ja in Deutschland lächerlich.“

Ein „glückliches Händchen bezüglich Strafjustiz“ habe Schubert bisher nicht gezeigt, sagte Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann. Er halte nichts davon, nach diesem Vorfall wieder verstärkte Sicherheitsvorkehrungen zu fordern.

„Die Tage von Frau Schubert sind gezählt“, glaubt Ratzmann. SPD-Rechtsexperte Fritz Felgentreu will Schubert vorerst keinen Vorwurf machen. PDS-Rechtsexperte Klaus Lederer forderte „schnellstmögliche Aufklärung“. Rücktrittsforderungen nennt er „Wahlkampfgetöse“. Vor zwei Wochen hatte Schubert im Parlament behauptet: „Die Sicherheitslage in der Justiz ist ausgezeichnet.“ Ha, K.G., gn, sib, wvb., za

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