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Biochemie und Virenforschung: Anziehen, einwickeln, erdolchen

Forschende um Ievgen Donskyi entwickeln auf Basis von Phosphor eine verblüffende Methode, um Viren den Garaus zu machen.

Von Catarina Pietschmann

Alles fing an mit seiner Masterarbeit in Polymerwissenschaften an der Freien Universität. Der ukrainische Forscher Ievgen Donskyi hatte vor zehn Jahren bereits einen Master in Biologie und ein Diplom in Betriebswirtschaftslehre in der Tasche – beide von der Universität Sankt Petersburg –, als er begann, mit synthetischen Nanopartikeln zu arbeiten. In der Arbeitsgruppe von Professor Rainer Haag am Institut für Chemie und Biochemie forschte er daran, kleine zweidimensionale Schichten aus Kohlenstoff mit Heparansulfatgruppen auszustatten. Diese funktionellen Gruppen bestehen aus Polysacchariden, die auch auf Zelloberflächen sitzen und mit Krankheitserregern über elektro­statische Kräfte wechselwirken können. Sie tragen negativ geladene Sulfatgruppen, mit denen Viren über ihre vorrangig positiv geladenen Membranhüllen in Erstkontakt treten.

„Der Gedanke war, über diese Wechselwirkungen die Viren einfach zu umhüllen – so wie einen Kieselstein mit einem Blatt Papier“, so Donskyi. Umhüllen ist schon einmal gut – abtöten aber das eigentliche Ziel. Und dies sollte nun durch einen zweiten Prozess erreicht werden – hydrophobe Wechselwirkungen. Dazu pfropfte man zusätzlich längere Ketten aus Kohlenwasserstoffen auf die Partikel. Einmal eingefangen durch die Ladungswechselwirkungen, sollten sich diese Ketten nun wie kleine Dolche in die Viren bohren. Ihre Lipidmembran würde so mechanisch zerstört, und das Virus könnte sich nicht mehr vermehren. Wären Viren Lebewesen, könnte man sagen, sie werden regelrecht erdolcht – und sind somit tot.

Das Projekt „PathoBlock“ wird für fünf Jahre gefördert

Es funktioniert tatsächlich. Die Ergebnisse publizierte das Team 2021 als neues Wirkprinzip gegen das Coronavirus. Für die Entwicklung eines Medikaments ist eine Graphen-Basis allerdings ungeeignet, denn Graphen ist nur langsam biologisch abbaubar und würde sich im Körper anreichern. Es klappt aber ebenso gut mit schwarzem Phosphor, einer natürlichen Modifikation des häufigen Elements, die im Labor leicht aus rotem Phosphor hergestellt werden kann. Die Methode der kombinierten Wechselwirkungen ist im wahrsten Sinne des Wortes so bestechend, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung das Projekt „PathoBlock“ nun für fünf Jahre mit rund zwei Millionen Euro fördert.

Ievgen Donskyi, inzwischen promoviert, leitet seit Jahresanfang eine eigene Nachwuchsgruppe im neuen Forschungsbau SupraFab (Supramolekulare funktionale Architekturen an Biogrenzflächen) der Freien Universität. Warum fiel die Wahl auf Phosphor? „Schwarzer Phospor wird im Körper zu natürlichen Derivaten abgebaut. Das Element macht ohnehin etwa ein Prozent unserer Körpermasse aus, steckt unter anderem in Knochen und Zähnen. Neben Kalzium ist Phosphor der häufigste Mineralstoff im Körper“, sagt Donskyi. „Frühere Forschungen haben zudem gezeigt, dass die Abbauprodukte biokompatibel und nicht toxisch sind.“

Ähnlich wie Graphen bildet schwarzer Phosphor feinste Schichten. Aufgrund der Elektronenstruktur des Elements liegen die Atome – anders als bei Graphen – nicht alle in einer Ebene, sondern die Nanopartikel sind in feinstem Zickzack gefaltet. Das ist makroskopisch nicht sichtbar und spielt auch für den Aufbau der Phosphor-Derivate keine Rolle. Die Partikelgröße lässt sich steuern. „Wir planen, 100 bis 200 Nanometer große Partikel zu verwenden. Das entspricht in etwa der Virengröße und zeigt nach ersten Tests auch die beste Virenhemmung“, erklärt Donskyi.

Möglich wäre ein Nasenspray gegen Viren oder Hautlotion gegen Bakterien

Was die „Dolche“ angeht, also die Kohlenstoffketten, hängt die Wirkung von deren Länge ab. „Benutzen wir die Ketten bei Viren, wie SARS-CoV-2, mit der Summenformel C9H19, passiert praktisch nichts“, so der Forscher. „Ist die Kette nur ein oder zwei Kohlenstoffatome länger – C10H21 oder C11H23 – werden fast alle Viren zerstört. Das konnten wir bereits beim Graphen zeigen.“ Im Biolabor des SupraFab wird das Wirkkonzept an entschärften Corona- und Herpesviren getestet. Sind die besten „Kandidaten“ gefunden, werden am Fachbereich Veterinärmedizin auf sie echte Coronaviren losgelassen.

Ievgen Donskyi vermutet, dass sich das Konzept auch gegen Bakterien einsetzen ließe. „Viren lassen sich zwar leichter zerstören, weil ihre Membran dünner ist, aber der Mechanismus könnte der gleiche sein.“ Die Ladungen müssten allerdings umgekehrt werden: Bakterien sind auf der Oberfläche negativ geladen. Die elektrostatischen „Fänger“ brauchen also eine positive Ladung. Auch Partikelgröße und „Dolchlänge“ müssten angepasst werden, weil Bakterien deutlich größer sind als Viren.

Die an sich sehr grundlegende Forschung soll bis zu realistischen Demonstratoren vorangetrieben werden. Im Fall der Viren denkt Donskyi an ein antivirales Nasenspray. Bei den Bakterien an eine antibakterielle Lotion gegen Hautinfektionen. Der Charme des Projektes liegt darin, dass es völlig unabhängig vom Typ des Virus oder Bakteriums ist, weil – anders als bei herkömmlichen Medikamenten – keine spezifischen Bindungsdomänen der Erreger adressiert werden. Am Ende stehen Breitspektrum-Inhibitoren, die es gleich mit einer ganzen Gruppe von Erregern aufnehmen können – etwa allen Coronaviren. Echte Alternativen also zu herkömmlichen Virostatika und Antibiotika.

Für den Inhalt dieses Beitrags ist die Freie Universität Berlin verantwortlich.

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