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Das metaLAB (at) FU will mit digitalen Lösungen bestehende Wissensstrukturen sichtbar machen, diskutieren und auch kritisieren. 

© metaLAB Visualisierung (Kim Albrecht)

Digitale Zukunft: Freie Universität trifft Harvard

Einzigartig: Im experimentellen Wissens-Design-Labor metaLAB (at) FU untersuchen Forschende und Studierende neue Wege und Wirkungsweisen für die Geisteswissenschaften.

Von Anne Kostrzewa

Man nehme ein gesellschaftlich relevantes Problem. Dazu eine Gruppe von Expertinnen und Experten, unter anderem aus den Geisteswissenschaften und aus kulturellen Einrichtungen, die den Mut haben, gemeinsam neue Methoden zu erproben. Deren Ziel es ist, prototypisch digitale Lösungsansätze zu finden. Mit Mut zum Risiko, indem sie mögliches Scheitern in Kauf nehmen, und der Hoffnung, die Gesellschaft zum Besseren zu verändern, wagen sie ein Experiment. So arbeitet das metaLAB (at) FU, eine Kooperation zwischen der Freien Universität Berlin und der Harvard University in den USA.

„Uns interessiert, wie Wissenschaft grundsätzlich in die Gesellschaft hineinwirkt“, sagt Annette Jael Lehmann. Die Professorin für Visual Culture und Leiterin des Studiengangs Kultur- und Medienmanagement am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität brachte die meta-LAB-Kooperation nach einem Fellowship-Aufenthalt in Harvard im Jahr 2021 nach Berlin. An der amerikanischen Ivy-League-Universität war das metaLAB (at) Harvard, gegründet von Professor Jeffrey Schnapp, bereits 2011 entstanden. „Wir arbeiten gemeinsam radikal experimentell“, sagt Annette Jael Lehmann. „Das bedeutet: Wir entwickeln in transdisziplinären Kooperationen problemorientierte neue Ansätze, die wir immer mit dem Digitalen verknüpfen.“

Doch was heißt das konkret? Da jedes Projekt einzigartig sei, lasse sich das nicht allgemeingültig erläutern, sagt Annette Jael Lehmann. Um das Prinzip zu erklären, wählt die Professorin das im Herbst 2023 abgeschlossene Projekt „B4 Tomorrow“ – in B4, Englisch ausgesprochen, schwingen dabei die Begriffe „before“ (vor) und „be for“ (sei für / stehe für) mit. Bei dem Projekt haben die Forschenden mit Vertreterinnen und Vertretern der Eyak and Sugpiaq zusammengearbeitet, zwei indigenen Volksgruppen Alaskas.

Diese tragen ihre Bräuche und Traditionen vor allem über mündliche, selten schriftlich fixierte Geschichten in die nächste Generation – seit rund 10.000 Jahren; ihre Alltags- und Sakralgegenstände haben einen hohen symbolischen Wert, der kulturell aufschlussreich ist. Das für das Projekt relevante gesellschaftliche Problem: „Viele dieser materiellen Zeugnisse lagern heute als koloniale Aneignungen aus dem 19. Jahrhundert in Berlin, im Archiv des Ethnologischen Museums, Tausende Kilometer entfernt von jenen Menschen, zu deren kulturellem Erbe diese Gegenstände gehören“, sagt Annette Jael Lehmann.

Ziel ist das gemeinsame Forschen

Ziel von „B4 Tomorrow“ sei es gewesen, die Kulturgüter den Eyak und Sugpiaq wieder zugänglich zu machen – und gemeinsam mit ihnen die kulturelle Bedeutung dieser Objekte zu ermitteln, bevor dieses Wissen für immer verlorengeht. „Als kleines mobiles Team des metaLAB haben wir mit dem Ethnologischen Museum/Humboldt Forum Workshops mit Vertreterinnen und Vertretern der indigenen Gruppen durchgeführt und gemeinsam Gegenstände wie etwa Körbe oder Angelhaken neu zu kontextualisieren versucht.“ Um möglichst vielen Beteiligten dieses Wissen zugänglich machen zu können, entwickelte Professor Kim Albrecht, ein Spezialist für Datenvisualisierungen aus dem metaLAB-Team, eine Software-Plattform, die in ihrer Anwendung ein Online-Archiv und ein soziales Medium verbindet: Die Nutzenden können dort digital miteinander diskutieren, die kolonialistischen Aneignungen korrigieren oder zu verändern suchen und die Kulturgüter so mit ihren eigenen Geschichten zusammenbringen. Die Plattform operiert nach den CARE-Prinzipien der Indigenous Data Governance: Sakrale und rituelle Kulturgüter sind dabei nicht öffentlich zugänglich.

Das Projekt „B4 Tomorrow“, sagt Annette Jael Lehmann, sei in seinem spezifischen Kontext eine große Herausforderung gewesen, um eine geeignete digitale Lösung für das prototypische Pro­blem anzubieten. Allgemein übertragbar auf alle Museumsarchive sei es trotzdem nur bedingt, dafür seien das Problem sowie das Programm viel zu komplex und individuell. „Wir verstehen uns als Wissensdesign-Labor, das als mobiles Team punktuell ansetzt, Probleme analysiert und dann individuelle Lösungen baut, um Informationen zu visualisieren“, sagt sie. „Wir wagen transdisziplinäre Experimente, die neue, maßgeschneiderte Lösungsansätze ermöglichen und einer größeren, auch außerakademischen Öffentlichkeit zugänglich machen.“

Es entsteht ein starkes Netzwerk

So haben Berlin und Harvard im metaLAB bereits zahlreiche Projekte und Ausstellungen in internationalen Museen und Kultureinrichtungen verwirklicht, darunter eine Visualisierung digitaler Datenströme in Städten, ein Video-Projekt über die Weitergabe von kulturellem Wissen in Südostasien und eine europäische Wanderausstellung zur historischen Aufarbeitung künstlerischer Praktiken in den 1970er Jahren am California Institute of the Arts, einer renommierten Kunsthochschule in Kalifornien. Mit seinem experimentellen Ansatz, an dessen Projekten Forschende und Studierende beider Universitäten beteiligt sind, nimmt das metaLAB eine besondere Stellung in der Forschungslandschaft in Deutschland und den USA ein und möchte nicht weniger als ein neues Selbstverständnis auf den Weg bringen. „Wissenschaft sollte sich in Zukunft noch viel stärker an der Allgemeinheit orientieren und zur Lösung drängender gesellschaftlicher Probleme beitragen“, sagt Annette Jael Lehmann.

Trotz großer Erfolge ist das metaLAB immer wieder mit Herausforderungen konfrontiert. Denn die experimentelle und gleichermaßen anwendungsbezogene Wissensproduktion und -kultur ist keineswegs selbstverständlich. „Glücklicherweise haben wir durch unseren Kooperationspartner Harvard gerade in dieser Hinsicht großen Rückhalt und können zudem auf ein starkes Netzwerk von Expertinnen und Experten zurückgreifen“, sagt Annette Jael Lehmann. „Dass wir an der Freien Universität daran anknüpfen können, ist ein Privileg und hebt uns deutschlandweit heraus.“ Noch, muss man wohl ergänzen. Denn der Erfolg des experimentellen „Pop-up-Labs“ spricht sich europaweit herum, immer mehr Universitäten melden Lehmann zufolge Interesse an Kooperationen an.

An der Freien Universität wird die innovative Zusammenarbeit des metaLAB zudem durch die Kooperation mit dem Exzellenzcluster „Temporal Communities“ gestärkt. Darüber hinaus gilt das metaLAB für ausgewählte Projekte im Rahmen der europäischen Hochschulallianz Una Europa, zu der neben der Freien Universität zehn weitere exzellente, forschungsintensive Universitäten gehören, als wegweisend.

„Dass wir unsere Projekte in kleinen, transdisziplinären, jedes Mal neu zusammengestellten Teams bearbeiten, zeichnet uns aus“, betont Annette Jael Lehmann. Das metaLAB sei ein einzigartiger Experimentierraum für die sich wandelnde Rolle und Relevanz der Wissenschaft im digitalen Zeitalter.

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