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Cocktail-Kult. Einige Berliner Barkeeper schlagen ihre Würfel inzwischen per Hand, andere schwören auf japanische Maschinen.

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Eiswürfel: Das große Klirren

Schön kühl: Eiswürfel werden größer und enthalten schon mal Blumen. Eine erfrischende Recherche.

AMERIKANISCHE SITTEN

Das Eis knistert, es knackt, das Glas beschlägt, man hält es sich ans heiße Gesicht, erst die Stirn und dann die Wangen. Bloß, wo kriegt man all die Würfel her, mit denen man sich und seinen Drink kühlen möchte?

Was das angeht, ist Deutschland noch immer Entwicklungsland. Gut, die Zeiten sind vorbei, als Eis im Winter aus gefrorenen Seen geschlagen und das Jahr über in großen Kellerbassins gehalten wurde, etwa für die Bierproduktion. Doch wer hat in Deutschland schon einen Kühlschrank mit integriertem Eisspender, aus dem es ins Glas klackert? In den USA ist es für die meisten Leute so undenkbar, ohne Eismaschine auszukommen, wie für uns, auf die Heizung zu verzichten. Das Glas bis oben mit Würfeln füllen, dann die Zwischenräume mit Wasser, Cola oder Bier aufgießen, das ist Standard im ganzen Land.

In den Restaurants werden die Getränke auch im Winter ganz selbstverständlich mit Eis serviert. Einer Theorie zufolge liegt diese Sitte in der Tradition des „Refills“ begründet. Während deutsche Gäste bei zu viel Eis sofort Betrug wittern, da das eigentlich Bestellte zu kurz kommt, ist diese Angst in den USA unbegründet. Dort bieten Schnellrestaurants seit Jahrzehnten die Möglichkeit an, ein Getränk nachzufüllen. Und das wollte man dann eben auch zu Hause. Eis ohne Ende.

Wir Deutschen dagegen müssen rechtzeitig daran denken, die kleinen Tabletts zu füllen und zwischen Tiefkühlgemüse und Fertigpizza ins Gefrierfach zu quetschen ohne die Hälfte zu verschütten. Immerhin schlagen wir kein Eis mehr aus Seen. Zu sehen sind Kellerbassins in Berlin aber immer noch: in der alten Bötzowbrauerei in Prenzlauer Berg.

BARKULTUR

Um die richtigen Würfel im Cocktail hat sich in den USA ein regelrechter Kult entwickelt. In New York gibt es nicht wenige Bars, wo das Eis am Tresen aus einem großen Block zurechtgeschnitten wird. Inzwischen beschäftigen sich auch immer mehr Berliner Barkeeper geradezu exzessiv mit dem Thema. Der größte Trend: Eiswürfel werden größer. Das wirkt anfangs etwas befremdlich, wenn ein einzelner Riesen-Würfel im Glas schwimmt, hat aber den Vorteil, dass er nicht so schnell schmilzt wie mehrere kleine. So verwässert der Drink viel langsamer und bleibt länger kühl, erklärt Erich dos Santos vom jüngst eröffneten „Limonadier“ im Bergmannkiez. Minutenlang kann dos Santos über Konsistenz, Beschaffenheit und Kühltemperatur des Eiswürfels referieren. Eine Berufskrankheit, wie er gesteht: „Letztlich sind alle Barkeeper Freaks.“ Das muss man wohl auch sein, wenn man wie er für mehrere tausend Euro eine spezielle Eismaschine aus Japan mit Silikonformen bestellt, da nur diese die gewünschten Ergebnisse liefert: Volleiswürfel ohne Hohlkugel im Innern, fünf mal fünf Zentimeter lang und in der richtigen Härte. Es geht bei Eiswürfeln um die gleichen Merkmale wie bei Diamanten – Größe, Klarheit, Schliff.

Andere Barkeeper legen am liebsten selber Hand an. Oliver Ebert vom „Becketts Kopf“ in Prenzlauer Berg zum Beispiel lässt sich eigens produzierte Eisblöcke anliefern, die er mit einem Messer zu großen Würfeln bearbeitet, an die 200 am Tag, noch größer als im „Limonadier“. Ein einzelner füllt in der Breite schon einmal ein Glas aus. Eine Methode, die er auch für den Privathaushalt empfiehlt: Einfach eine Tupperdose mit Wasser füllen, einfrieren und bei Bedarf mit einem stabilen Messer oder Eispickel lösen.

Noch einfacher für den Hausgebrauch: eine Karaffe mit integriertem Kühlstab, der im Gefrierschrank gelagert wird. Der verwässert den Drink auch nicht.

KREATIVITÄT

Aus Eisblöcken Skulpturen zu kratzen und zu schlagen, Schwäne zum Beispiel, die man dann als Krönung aufs Buffet stellt, das war einmal der letzte Schrei. Der neueste Trend in Sachen Kreativität und Schmuck macht es dem Amateur einfacher: Da werden Früchte, Blumen oder Figürchen im Innern der Eiswürfel eingefroren. Dafür einfach ein wenig Wasser in eine Form füllen, dann beispielsweise eine kleine Erdbeere oder die Blüte einer essbaren Blume dazugeben und den Rest mit Mineralwasser auffüllen – das sorgt für klareres Eis.

„Solche Spielereien haben zugenommen“, sagt Steffen Winkler von Iceblockers. Winkler ist in diesen heißen Tagen schwer beschäftigt. Er betreibt eine von mehreren Firmen in Berlin, die sich nicht nur auf Produktion und Lieferung von Eiswürfeln spezialisiert haben, sondern auch Privatkunden oder Veranstaltungen mit besonderen Gimmicks beliefern. Seien es schwarz-rot-goldene Eiswürfel beim Fußball-Länderspiel oder die Feuersäule beim Promo-Termin, bei der über mehrere Minuten Flammen aus einem Eisblock aufsteigen. Immer häufiger kommen aber auch Kunden, die selber etwas schnitzen wollen: „zu 95 Prozent ein Herz“. Der oder die Beschenkte sollte jedoch darauf verzichten, sich diese Form Liebe durch den Magen zu leiten. In der Regel wird für solche Schnitzereien spezielles Eis verwendet, das nicht zum Verzehr geeignet ist.

GESUNDHEIT

Auf Trinkwasser ist nicht überall Verlass. In tropischen Ländern sollte man vielleicht lieber auf Eis verzichten. Besonderes Aufsehen erregte 2005 ein Fall in Thailand, als über 1000 Menschen an Hepatitis A erkrankten. Eine Eisfabrik hatte mit Darmkeimen versetztes Wasser für die Produktion von Eiswürfeln verwendet. Auch in Deutschland birgt Eis Gefahren. Erst Anfang Juli wurde in Wiesbaden ein bekannter Gastronom tot in seinem Auto aufgefunden. Er hatte eine Ladung Trockeneis transportiert. „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“, erklärte die Polizei, sei er durch das aus den Kisten strömende CO2-Gas erstickt.

Lindernde Wirkung hat Eis hingegen bei Verletzungen: Es mindert Schmerzen und wirkt abschwellend. Wichtig ist, dass es keinen direkten Kontakt mit der Haut hat, am besten ein Tuch auf die verletzte Stelle legen und zerstoßenes Eis in einem Beutel darauflegen. Dafür einfach Eis in ein Geschirrtuch legen und mit einem Hammer oder Nudelholz bearbeiten oder auf einer harten Oberfläche aufschlagen. Der Vorteil: Das für die Verletzung genutzte Eis kann anschließend in einen Mojito oder Caipirinha versenkt werden, klasische Cocktails, für die Crushed Ice verwendet wird.

An heißen Tagen sollte man mit eiskalten Getränken allerdings aufpassen, so verlockend sie sind: Da geht es beim Trinken vor allem darum, den Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Die Erfrischung hält eh nur kurz an, da die Getränke im Körper erwärmt werden. Aber der Magen wird unnötig gereizt. Ein besseres Mittel zur Temperaturregulierung ist leichtes Schwitzen: durch den Genuss warmer (nicht heißer!) Getränke.

ON THE ROCKS

Was beim leichten Sommerwein okay ist, ist beim feinen Tropfen noch lange nicht erlaubt: Da wirft man die Eiswürfel lieber nicht ins Glas, sondern in den Kübel. Nur Ignoranten halten Weinkühler für dekadent. Wer das zu aufwändig findet und trotzdem edel den Sommerabend begehen will, steigt auf guten Whisky um. On the Rocks. Da ist der Eiswürfel essentieller Bestandteil des Getränks.

Der Begriff „on the rocks“ soll übrigens aus der Zeit vor der Industrialisierung stammen, als glatte Steine aus kalten schottischen Flüssen zur Kühlung in den Whisky gegeben wurden. Eine Methode, die leicht nachzuahmen ist. Ob es sich aber empfiehlt, Steine aus dem Landwehrkanal zu fischen und mit teurem Whisky zu übergießen, muss jeder selbst entscheiden.

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