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Einsatz für Dialog: Saba-Nur Cheema (r.) und Meron Mendel am 29. Januar 2024 an der Freien Universität.

© Bernd Wannenmacher

Empathie als Brücke: Wie sprechen wir über den Nahostkonflikt?

Ein Vortrag von Saba-Nur Cheema und Meron Mendel an der Freien Universität über die Möglichkeit einer konstruktiven Debatte über Gewalt, Antisemitismus und Rassismus

Von Pepe Egger

Warum emotionalisiert der Nahostkonflikt – schon vor dem 7. Oktober 2023, aber noch mehr seitdem – so viele Menschen in Deutschland? Darunter auch viele, die gar keine persönliche Beziehung in die palästinensischen Gebiete oder nach Israel haben? Darüber sprachen Meron Mendel und Saba-Nur Cheema an der Freien Universität Berlin. Den beiden ausgewiesenen Experten für Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus und Bildungsarbeit zu diesen Themen gelingt es wie nur Wenigen, mehrere Perspektiven nachzuvollziehen: die proisraelische ebenso wie die propalästinensische.

Meron Mendel, in den 1990er Jahren in einem Kibbuz in Israel aufgewachsen, lebt seit 2003 in Frankfurt am Main. Er ist Professor für Soziale Arbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank. Saba-Nur Cheema, in Frankfurt am Main aufgewachsen, Tochter pakistanischer Flüchtlinge, ist Politikwissenschaftlerin an der Goethe-Universität in Frankfurt. Meron und Cheema sind miteinander verheiratet, sie schreiben in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die monatliche Kolumne „Muslimisch-jüdisches Abendbrot“. Die beiden sind wichtige Stimmen in der Debatte, wie mit dem Widerhall des Nahostkonflikts in Deutschland umzugehen sei.

Meron Mendel skizzierte in einem Vortrag am 29. Januar, wie der Nahostkonflikt als Projektionsfläche dient: wie unsere Positionierungen und Reaktionen mehr über uns aussagen als darüber, worauf wir reagieren und wozu wir uns positionieren. Der Nahostkonflikt erfülle „für uns die Funktion, uns in unserer eigenen Position oder unserer Identität zu bestätigen“. Man könnte auch sagen: in der Geschichte, die wir über uns selbst erzählen.

Es prallen dort zwei Meta-Erzählungen aufeinander: einerseits ein Post-Holocaust-Narrativ, das davon handelt, was und wie wir aus der deutschen Geschichte gelernt haben; andererseits eine postkoloniale Erzählung, die Israel als Vorposten des Westens im Nahen Osten wahrnimmt und sich mit den „Schwachen“, den „Unterdrückten“ gegen die von den USA und dem Westen unterstützen Israelis identifiziert.

Empathie statt Terror

Saba-Nur Cheema erläuterte daran anknüpfend, welche Form die beiden Narrative in den vergangenen Monaten angenommen haben: auf der einen Seite die Kritik, dass offenbar für manche das Leben von Jüdinnen und Juden nicht zähle – „Jewish lives don’t matter“ –, etwa wenn das Massaker der Hamas von einigen bejubelt oder von anderen beschwiegen wird. Das gegenläufige Narrativ umschrieb Cheema als Vorwurf des „Silencing von palästinensischen Stimmen“, wenn also etwa Autorinnen oder Künstler ausgeladen werden.

Diese beiden entgegengesetzten Diskurse reichen von einem Teil der sozialen Medien, in denen verkürzte Darstellungen und Falschinformationen des Nahostkonflikts grassieren, bis zu Äußerungen von Politikern, die die Einbürgerung an Bekenntnisse zu Israel knüpfen wollen oder gar die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft von Menschen mit Migrationshintergrund fordern.

Zum Ende ihres Vortrags schlugen Mendel und Cheema Grundsätze für eine konstruktive Debatte vor: die Aufforderung zur universellen Empathie, Mindeststandards wie die Anerkennung des Existenzrechts Israels ebenso wie das palästinensische Recht auf einen eigenen Staat, Ablehnung von Terror, keine NS-Vergleiche. Keine Partei sei allein schuld am Nahostkonflikt .Die anschließende Diskussion war ebenso offen und selbstreflexiv wie der Vortrag: Man fragte nach Vorbildern für eine produktive Diskussionskultur, nach Lösungen, nach einem gelingenden Umgang mit heiklen Fragen.

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