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Der Kurzschnabeligel.

© Public Domain

Berliner Schnauzen (6): Der Kurzschnabeligel

Er säugt seine Kinder, hat aber keine Zitzen. Er legt Eier, ist aber weder Reptil noch Vogel.

Von Julia Prosinger

Er trägt sein Baby vor dem Bauch, aber ein Beuteltier ist der Kurzschnabeligel nicht. Und ein Igel schon gar nicht. Er ist, wie Schnabeltier und Langschnabeligel, ein Kloakentier, ein Zwischenschritt der Evolution.

Aber gekommen, um zu bleiben. Ausrotten ließe er sich schwer. Mit seinen namensgebenden Stacheln zuckend wehrt er Feinde ab, nicht einmal der Mensch kann ihn greifen, wenn er sich sekundenschnell in australischen, tasmanischen, neu-guineaschen Böden eingräbt und kraftvoll festkrallt. In Australien ist der Kurzschnabeligel daher das am weitesten verbreitete Säugetier, er ist sogar als Ikone auf der Fünf-Cent-Münze des Landes abgebildet.

Dass er sich nicht längst zur Plage entwickelt hat, liegt an seiner gemächlichen Fortpflanzungsrate. Allein das Vorspiel dauert Wochen. Wie eine Rattenfängerin versammelt das Weibchen eine Kolonne an Männchen hinter sich, den sogenannten „Echidna train“ (Echidna ist der englische Name). Der Zug trottet ihr nach, Nase an Hinterteil, über Äste, Rinde, Moos, die Männchen essen kaum, verlieren ein Viertel ihres Körpergewichts. Bleibt die Igelfrau endlich stehen, beginnen die Freier ihre Verehrte zu umkreisen, rempeln sich dabei aus dem Ring, der zu einem Graben wird, immer tiefer, bis einer übrig bleibt. Für die anderen war die beschwerliche Reise vergeblich.

Kloake an Kloake liegt das erschöpfte Paar da. Der Mann fährt seinen Penis aus, zwei von vier Spitzen dieses Gebildes passen in die beiden Vaginaleingänge der Frau. Schließlich verabschiedet er sich, die übrigen beiden Spitzen benutzt er bei der nächsten Dame. Schnabeligel sind Einzelgänger.

Zur Geburt legt sich die Igelmutter auf den stacheligen Rücken, lässt ein pergamentartiges, daumennagelkleines Ei aus der Kloake gleiten und manövriert es in eine eigens fürs Kind angespannte Bauchfalte – ein Beutel nach Bedarf. Dort brütet das Ei zehn Tage lang, bis sich das Baby mit einem einzelnen Zahn, den es gleich darauf wieder verliert, frei hackt. Zwei Monate wärmt es sich in der Bauchfalte, schleckt Milch, die von den Haaren der Mutter perlt, Zitzen gibt es schließlich keine. Sobald die Stacheln sprießen, legt die Mutter das pieksende Kind allein in einer Höhle ab. Alle paar Tage kommt sie vorbei, um es an ihren Milchdrüsenfeldern trinken zu lassen.

Gleich ist Futterzeit, 15 Uhr, im Tierpark-Kurzschnabeligelgehege vor dem Raubtierhaus. Einer der drei Igel sucht schon nach dem Mittagessen, vor seinem gierigen Schnabel hat sich eine Speichelblase gebildet. Mit Elektrorezeptoren spüren die Igel in freier Wildbahn Ameisen- und Termitenhügel auf, knacken sie mit ihren Grabschaufeln, saugen sie an ihrer langen, klebrigen Zunge ein und zerquetschen sie mit Hornplatten statt Zähnen am Gaumen. Der Tierpark ersetzt diese Nahrung mit einem Brei aus Eiern, gequirltem Hundefutter und etwas Birne für den Geschmack.

Den Schnabeligeln soll es gut gehen, denn natürlich will man das irre Zwischentier im Tierpark selbst züchten. Das ist bisher nur wenigen Zoos gelungen. Und bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

KURZSCHNABELIGEL IM TIERPARK

Lebenserwartung:  Bis 50 Jahre

Exklusivität:  Nur vier deutsche Zoos halten die Igel.

Interessanter Nachbar: Panzernashorn

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