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Ein Blick in das große Archiv des Balenciaga-Museums.

© Museoa Balenciaga (2)

Ausstellung über Cristóbal Balenciaga: Das Erbe der Eleganz

Noch heute ist das Werk Cristóbal Balenciagas der ultimative Standard in der Haute Couture. Das zeigt ein Museum in seinem Heimatort am Golf von Biskaya.

Gleich zwei Ausstellungen in Paris und London über das Werk des Ausnahme-Couturiers Cristóbal Balenciaga sorgten im vergangenen Jahr für Furore. Anlass war die Gründung seines ersten Salons vor 100 Jahren im baskischen San Sebastián. 25 Kilometer westlich liegt sein Heimatort Getaria, ein kleines Fischerdorf am Golf von Biskaya. In diesem Jahr widmet sich das dortige Balenciaga-Museum mit der Ausstellung „Mode und Erbe“ dem Rückzug des Modeschöpfers aus der Welt der Haute Couture vor 50 Jahren.

Dieser Rückzug geschah zum Entsetzen seiner wohlhabenden, einflussreichen Kundinnen aus Adel, Kunst, Politik und Wirtschaft, zu denen in seiner Schaffenszeit Namen wie Grace Kelly, Marlene Dietrich oder auch Mona von Bismarck zählten. Für Igor Uria, Direktor der Sammlung im baskischen Balenciaga-Museum, markiert das Jahr 1968 noch etwas ganz anderes: „Als das Modehaus Balenciaga schloss, verlor Luxuskleidung als tragbare Kleidung ihren Wert, sie transformierte sich zum Zeugnis der Modegeschichte, die bewahrt und erhalten werden musste.“ Das ist eine Sichtweise. Man könnte auch sagen, dass Balenciaga die Zeichen der Zeit erkannt hatte.

Der Fotograf Henri Cartier Bresson fotografierte Balenciaga bei der Arbeit.
Der Fotograf Henri Cartier Bresson fotografierte Balenciaga bei der Arbeit.

© Henri Cartier Bresson

Fortan gab es keine neuen Kleider und Roben aus der Hand des akribischen Meisters mehr, Teile seiner Haute Couture wurden zur Ausstellungsstücken, die ab 1970 Einzug in den großen Museen der Welt hielten. Mode für wenige Privilegierte, eigentlich ein flüchtiges Phänomen, wurde konserviert, archiviert und zum Stillstand verdammt. Eigentlich ein Widerspruch, doch in Getaria wird in den Archiven und Lagern alles getan, um das Erbe Balenciagas für die Nachwelt zu erhalten, die fragilen Schätze zu schützen. Gedämpftes Licht, schonende Luftfeuchtigkeit in den Glasvitrinen und die begrenzte Ausstellungszeit einzelner Stücke bestimmen die Inszenierung der Haute Couture in dem modernen Bau mit schwarzer Fassade. Er grenzt direkt an den historischen Adlamar-Palast, zu Zeiten des jungen Balenciaga Residenz der Markgrafen von Casa Torre, den Großeltern der spanischstämmigen späteren Königin Fabiola von Belgien.

Die Wahl des Ortes war kein Zufall, denn Balenciagas Mutter war bei der Markgräfin als Näherin tätig und nahm den jungen Cristóbal häufig mit zur Arbeit. Der Legende nach entdeckte er dort seine Liebe zu Nadel und Faden. Tatsächlich erlernte Balenciaga später in San Sebastián das Schneiderhandwerk und eröffnete dort, von der Markgräfin gefördert, 1917 seinen ersten Schneidersalon für Damenmode. Es folgten Häuser in Madrid und Barcelona. Mit Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs verließ Balenciaga 1936 sein Heimatland und ging nach Paris, wo er ein Jahr später im eigenen Salon erstmals seine Haute Couture vor der französischen High Society präsentierte. In den Folgejahren wurde er von seinen Kundinnen als Meister der Haute Couture verehrt. Selbst Mode-Ikonen wie Coco Chanel, Christian Dior und Hubert de Givenchy schätzten ihn, Chanel würdigte ihn gar als den einzigen Couturier, „der ein Kleid ganz alleine entwerfen, zuschneiden, vorbereiten und zusammennähen kann“.

Balenciaga ließ sich von großen Modeschöpferinnen wie Coco Chanel und MadeleineVionnet beeinflussen

Umgekehrt studierte, analysierte und kopierte der junge Balenciaga die Arbeiten von Chanel und den französischen Modeschöpferinnen Madeleine Vionnet und Jeanne Lanvin. Daher beginnt die in sechs Räumen auf 900 Quadratmetern chronologisch aufgebaute Ausstellung im Balenciaga-Museum mit einem schwarzen Abendkleid aus Seide und Tüll, das er 1928 nach einem Entwurf von Jeanne Lanvin schneiderte. Es steht allein in einer Glasvitrine vor einem unbearbeiteten hellen Holzrahmen, der sich leitmotivisch durch die Ausstellung zieht. An ihm hängen weiße Kleidersäcke, wie sie in Archiven genutzt werden, versehen mit Polaroids der Kleider, die Balenciaga zu dieser Zeit inspiriert haben. Diesen Kniff hat die Kuratorin und Ausstellungsdesignerin Judith Clark, Professorin am Londoner College of Fashion, angewandt, um die wechselseitigen Einflüsse darzustellen und das Fehlen von Exponaten zu kompensieren. „Uns geht es nicht nur darum, die Objekte auszustellen, wir möchten sie in einen Kontext setzen“, sagt Clark.

Das tut sie mit einer zurückhaltenden, aber stringenten Ästhetik, die an der einen oder anderen Stelle etwas mehr Erklärung vertragen würde. In den nächsten Räumen eröffnet sich ein Feuerwerk neuer Formen und radikaler Silhouetten, die die gesamte Bandbreite Balenciagas demonstrieren, zum Beispiel die I-Linie in den 1950er Jahren, fast untailliert und mit geradem Schnitt. Bequem sollte sie sein, ihren Trägerinnen mit weiten Ärmeln Bewegungsfreiheit bieten. Weite, überdimensionierte Capes, in denen Frauen fast verschwanden, stehen neben kunstvoll verzierten Jacken im Bolerostil, einer Reminiszenz an seine spanische Heimat. Dann wieder gibt es Kostüme aus dem Ende der 1950er Jahre, deren Rückenteile luftig, fast sackartig geschnitten waren. Aus den 1960er Jahren stammen voluminöse Abend- und Hochzeitskleider, elegant, mit weicher Linie, mehr Skulptur als Kleidung.

Jetzt leitet das Couturehaus ein Designer, der für seine Streetwear bekannt ist

„Ein Couturier muss ein Architekt für den Schnitt, ein Bildhauer für die Form, ein Maler für die Farben, ein Musiker für die Harmonie und ein Philosoph für den Stil sein“, beschrieb Balenciaga seine Arbeit. „Trotz aller Opulenz ist er ein Purist in seiner Schnitttechnik“, sagt Sammlungsleiter Igor Uria. „Gerade die gerafften Kleider mit ausladenden Volants benötigen zwar viel Stoff, bestehen aber nur aus wenigen aneinandergenähten Stoffbahnen.“ Den Ausstellungsmachern war es wichtig, das zu verdeutlichen. An ausgewählten Exponaten zeigen kurze Animationen, wie aus wenigen Einzelteilen ein Kleidungsstück entsteht. Opulenz durch Reduktion auf das Wesentliche: Design, Material, Handwerkskunst.

„Noch heute ist das Werk Balenciagas der ultimative Standard in der Haute Couture“, beschreibt Judith Clark seinen Einfluss. Darüber, was der 1972 verstorbene Balenciaga, der selten sprach und in seinem Leben nur ein einziges Interview gab, heute über seine Marke denken würde, möchte sie nicht spekulieren. Seit drei Jahren ist Demna Gvasalia, der mit seiner Marke Vetements eine sehr eigene Variante der Sportswear auf den Markt brachte, neuer Designchef von Balenciaga. Das Erbe schien ihn erst einmal nicht wirklich zu interessieren – es blieb der Markenname, gedruckt auf T-Shirts und eingestrickt in Schals wie aus dem Fanshop. Noch sind Hohn und Spott für das doppelte „T-Shirt-Hemd“ in den sozialen Netzwerken gut in Erinnerung. Auf die Front eines simplen T-Shirts war ein eben so simples Oberhemd genäht. Dazu kam ein Shitstorm, der über dem Unternehmen niederging, als ein chinesischer Kunde von einem Balenciaga-Mitarbeiter unsanft aus einem Pariser Laden komplementiert wurde. Wer sich die Bilder der Ende September in Paris gezeigten Kollektion ansieht, könnte auf die Idee kommen, dass das Luxushaus jetzt erst einmal genug von Provokation hat. Die Kollektion für Frühjahr 2019 könnte fast als Hommage von Demna Gvasalia an den großen Couturier verstanden werden: locker fallende gerade Schnitte, das Spiel mit Volumen und Konturen, betonte Schultern, lange taillierte und hüftbetonte Damenblazer und Herrenmäntel.

Die Ausstellung „Fashion and Heritage“ ist bis zum 2. 1. 2019 im Balenciaga-Museum in Getaria zu sehen.

Bettina Hagen

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