zum Hauptinhalt
Der Sänger und sein Vorbild: William Fitzsimmons neues Album hat den Titel „Lions“.

©  Thilo Rückeis

Folksänger William Fitzsimmons: Höhlenkind

In seinem Elternhaus hingen keine Bilder an der Wand, das Licht blieb aus: Vater und Mutter waren blind. In der Musik fand die Familie zusammen. William Fitzsimmons ist heute ein bekannter Folksänger. Eine Begegnung.

William ist sieben Jahre alt, als er schmerzhaft begreifen muss, dass seine Eltern die Welt mit anderen Augen sehen. Die Tür ist an jenem Tag verschlossen, als er und sein älterer Bruder Patrick von der Schule nach Hause kommen. Der Vater ist ohnehin in der Arbeit. Die Mutter aber ist verschwunden und nicht einmal die Nachbarn wissen, wohin sie gegangen ist. Die Brüder warten: Minuten, Stunden. Sie fürchten sich. Dann beginnen sie, die Mutter zu suchen.

In seiner Kindheit hatte sich William Fitzsimmons zunächst nicht groß über die Reizarmut gewundert, die im Haus der Eltern im Norden der rostenden Stahlmetropole Pittsburgh herrschte. Da hingen keine Bilder und Kinderzeichnungen an den Wänden. Auch Familienfotos, die einem Heim sonst ein Gefühl von Geborgenheit verleihen, fehlten im Regal. Stolperfallen am Boden waren aus dem Weg geräumt, die Familie nie mit dem Auto unterwegs, wodurch sie sich die Fahrzeit auch nicht mit dem Ratespiel schlechthin vertreiben konnte: Ich sehe was, was du nicht siehst. Ein Kind muss das noch nicht verstehen.

Dass seine beiden Eltern, Virginia und Douglas, kurz nach ihrer Geburt das Augenlicht verloren hatten, das freilich wusste der kleine William. Er dachte, seine Art der Verständigung mit den Eltern sei etwas ganz Normales. Die Kleiderkontrolle vor dem Schulweg, das Anfassen von Händen und Gesicht nach dem Essen – alles keine große Sache.

Bis zu jenem einschneidenden Tag, an dem die Brüder die aufgelöste Mutter schließlich am anderen Ende der Vorstadt auffinden. Sie hatte völlig die Orientierung verloren, was danach nicht mehr oft vorkommen sollte, wie William Fitzsimmons erzählt. Ihm ist in diesem Moment klar geworden: „Damals habe ich verstanden, dass sich meine Eltern zwar immer um mich kümmern werden, ich aber auch nach ihnen sehen muss.“

Wenn William Fitzsimmons an seine Kindheit mit blinden Eltern zurückdenkt, wird er keineswegs schwermütig. Der mittlerweile 35-jährige Songwriter, dessen fünftes Album „Lions“ (Groenland) am vergangenen Freitag erschienen ist, muss bei dem Treffen in Berlin schmunzeln, etwa über den oftmals leicht zerzausten Zustand der vierköpfigen Familie.

Wenn die Eltern mal wieder vergaßen, das Licht einzuschalten, hielt sich der kleine Wiliam sein Buch einfach so nahe vors Gesicht, bis er die Schrift entziffern konnte. Wie Höhlenmenschen saßen sie dann oft im Dunkeln des kargen Hauses zusammen, sagt Fitzsimmons.

Virginia und Douglas Fitzsimmons gehörten zu den etwa 10 000, um das Jahr 1950 geborenen amerikanischen Babys – unter ihnen auch Stevie Wonder –, die als Frühgeborene erblindeten. Sie waren seinerzeit in ihren Brutkästen mit einer zu hohen Konzentration an Sauerstoff im Gehirn versorgt worden.

Der Washingtoner Kinderarzt Leroy Hoeck fand 1952 heraus, dass sich deshalb die Netzhaut von den Augen der Babys irreparabel ablöste. Heute ist die Frühgeborenen-Retinopathie heilbar. William Fitzsimmons Eltern versuchten trotz ihrer schicksalshaften Sehbehinderung ein möglichst unabhängiges Leben zu führen. „Für mich waren sie eine große Inspiration“, sagt William, „sie waren nicht ängstlich und wollten sich nie auf andere Menschen verlassen. Sie wurden so erzogen, dass sie das Gleiche schaffen können wie Menschen mit Augenlicht, wenn sie sich doppelt so sehr anstrengen.“

Der Vater arbeitete als Computerspezialist und reparierte eigenhändig die Steckdosen oder den Kühlschrank, obwohl er sich dabei wiederholt Stromschläge einfing. Die Mutter war blind sogar Fahrrad gefahren und hatte sich von ihrem waghalsigen Vorhaben auch nicht abbringen lassen, nachdem sie sich bei einem Sturz den Arm gebrochen hatte.

„Unser wichtigstes Kommunikationsorgan war aber das Ohr“, erzählt Fitzsimmons. In der Musik fand die gehandicapte Familie so etwas wie einen gemeinsamen Augenblick, der aber nicht ewig verweilen sollte. Der Vater war Hobbyorganist, baute zu Hause gar eine Pfeifenorgel. Die Mutter spielte den Kindern die Lieder von Joni Mitchell, James Taylor und Paul Simon auf der Gitarre vor. Doch als William zwölf Jahre alt ist, geht der Vater mit seinem Blindenhund einfach davon. Die blinden Eltern, die sich nach der Vorstellung eines Sehenden doch umso fester stützen müssten, trennen sich abrupt. Es ist bereits das zweite kindliche Trauma des William Fitzsimmons.

In der vagen Hoffnung, sich selbst therapieren zu können, nimmt er Jahre später ein Psychologestudium auf. In Camden, New Jersey arbeitet Fitzsimmons nach seinem Studienabschluss vier Jahre in der psychiatrischen Einrichtung einer Klinik mit schizophrenen, depressiven und drogenabhängigen Patienten, bis er selbst immer häufiger auf die Psychologen-Couch muss.

Ein zweites Ventil für seinen eigenen biografischen Ballast findet er als Endzwanziger in der Musik. Auf seinem zweiten Album „Goodnight“ aus dem Jahr 2006 umkreist er die schmerzhafte Trennung der Eltern und den Suizid seiner Großmutter. Der Nachfolger „The Sparrow and the Crow“ wird zum Abschiedsbrief an seine erste Frau, die sich nach zehn Jahren Ehe von ihm scheiden lässt. Im Song „After Afterall“ bannt er die ganze Widersprüchlichkeit einer Liebe in zwei Zeilen: „Please don’t keep me, please don’t leave me.“

Im Internet sind viele Fans seinerzeit auf die niederschmetternden und zugleich tröstlichen Songs von Fitzsimmons gestoßen. Sie schätzen vor allem die emotionale Wucht und die Aufrichtigkeit, die im weichen Bariton des Songwriters aus Pennsylvania mitschwingen. Fitzsimmons wird damit Teil der Speerspitze einer weißen Folk-Bewegung aus den amerikanischen Vorstädten, die mit einer neuen Nachdenklichkeit auf die große Bühne drängt.

Weil Bands wie Bon Iver, die Fleet Foxes, Band Of Horses oder auch Iron & Wine zudem ein modisches Statement in urwüchsigen Vollbärten und einer möglichst zerschlissenen Holzfällermontur finden, wird auch gleich ein neues, weicheres Männerbild ausgerufen. William Fitzsimmons selbst trägt in Berlin ein fast schon baptistisches Bühnenoutfit: eine blaue Latzhose unter dem schwarzroten Flanellhemd. Sein Bart ist von Album zu Album länger geworden. Mittlerweile reicht er bis zur Mitte des Brustbeins. Besichtigt man mit ihm im Berliner Naturkundemuseum den Löwen, die Metapher seines neuen Albums, so ist eine gewisse Artverwandschaft nicht zu leugnen. Am Löwen habe ihn nur der Gegensatz aus Schönheit und Grausamkeit fasziniert, der im Grunde aber in allen Lebewesen liege, sagt Fitzsimmons, der von einem allzu großen Deutungsrahmen innerhalb seines Werks nichts wissen will. „Ich bin nicht Goethe oder James Joyce, sondern nur ein ganz passabler Songwriter.“

Doch da ist ja auch noch die Geschichte seiner Tochter. Seit zwei Jahren ist William Fitzsimmons Vater. Seine zweite Ehefrau Erin und er haben ein Mädchen adoptiert: Josie, deren Namen sich Fitzsimmons nicht nur auf den rechten Unterarm neben einen Anker tätowieren ließ, sondern der er auch einen Song auf dem Album gewidmet hat. Nach der Adoption war Fitzsimmons unheimlich glücklich gewesen. Gleichzeitig hatte er das emotionale Ringen der leiblichen Mutter miterlebt: „Sie hat eine Entscheidung getroffen, mit der sie ein Leben lang leben muss. Sie ist für mich eine Löwin.“

William Fitzsimmons wohnt mittlerweile in Springfield, Illinois. Rund um das Grundstück mit seinen Bäumen und Sträuchern erstrecken sich bis zum Horizont weite Getreidefelder. In seinem Garten hat er die wunderbar lichtdurchfluteten Folk-Songs von „Lions“ in aller Ruhe geschrieben, abgelenkt nur vom Zwitschern der Vögel und dem Rascheln der Hasen und Eichhörnchen. Hier hat William Fitzsimmons, Kind blinder Eltern, sein Zuhause gefunden. „Und das kann man auch sehen.“

Konzert am 24.2. im Postbahnhof,

Straße der Pariser Kommune 8

Christoph Dorner

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false