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Mensch & Zoo: Karneval der Tiere

Der Eisbär boomt: Aber wozu braucht der Mensch den Zoo? Ein paar Antworten aus Kunst und Leben.

Moctezuma II.

„Die Spanier wurden bei der Eroberung von Mexiko durch den Anblick der kaiserlichen Menagerie, einer langen Reihe von Wasserbehältern, Vogelhäusern und Käfigen mit wilden Tieren, überrascht. Besonders ausgezeichnet waren die Schmuckvögel aus allen Teilen des Aztekenreichs, doch fehlte es auch nicht an Schlangen. Den Raubvögeln dienten 500 Truthähne täglich zur Nahrung. 300 Menschen waren mit der Pflege der Wasservögel, welche auf zehn Teichen gehalten wurden, ebensoviel mit der der Raubtiere beschäftigt.“
Meyers Konversationslexikon über die Menagerie des Azteken-Herrschers Moctezuma II. (1465 – 1520)

Freie Bewegung
„Man ist nicht mehr zufrieden, die Muster der Tierwelt eingesperrt in enge Käfige vor sich zu sehen, man will sich an ihren freien Bewegungen erfreuen, man sucht nicht mehr das Grauen vor wilder Unbändigkeit, sondern das Wohlgefallen an schöner Gestalt und an befremdlicher Abweichung vom Gewöhnlichen.“
Martin Hinrich Lichtenstein, Erster Direktor des Berliner Zoos, 1840.

Ne wat sin de deck
"Ene Besuch em Zoo, oh oh oh ooh.
Ne wat es dat schön, ne wat es dat schön.
Ene Besuch em Zoo, oh oh oh ooh. Dat is esu schön, dat es wunderschön.
Wenn de rinküs siehste de
Kamele.
Ne wat sin die groß, ne wat sin die groß.
Un die Puckele op ihrem Rücke,
die sin esu groß, die sin unwahrscheinlich groß.
Wigger durch do sind de
Elefante. Ne wat sin die deck, ne wat sin de deck.
Unm beluur d’r dene ens de Quante, di sin esu deck, su u
unwahrscheinlich deck.
Janz am Änge, do kütt mer bei
de Affe. Ne wat sin dat vell,
ne wat sin dat vell.
Die sieht mer nur d’r janze
Dach eröm höppe."
Kölner Karnevalslied, vorgetragen von Lotti Krekel oder Horst Muys oder, natürlich, von Willy Millowitsch.

Märchenreich
Später stiegen Mutter und Kind in eine der kastenförmigen Straßenbahnen und fuhren hinüber zu einem Stadtpark, der hieß Großer Garten, dort besuchte man dann den Zoo. Eine Kleinbahn führte dahin, betrieben von uniformierten Kindern, die in ihrem Kollektivstolz etwas von Kobolden und klassenbewussten Zwergen hatten; als kleine Schaffner, Lokomotivführer und Kontrolleure bedienten sie die sogenannte Pioniereisenbahn. Sie verband einen in kurvenreicher Fahrt direkt mit jenem Märchenreich, in dessen Innerem die verschiedenen Tiergehege mit ihren Bewohnern den kleinen Jungen und seinen Hund als einen der ihren begrüßten. Dass Antilopen in Stallhäusern leben und Bären in Felsenburgen, erfuhr man erst dort. Da gab es Stelzvogelwiesen, Kanäle mit buntem Wassergeflügel, künstliche Hügel, angelegt für die Bergziegen und Gemsen, und die Stahlkonstruktion einer großen Flugvoliere, in der sich Geier tummelten, allerlei Raubvögel und ein Andenkondor, der alles tat, um nicht mit der Bande abgerissener Kormorane, diesen Proleten auf ihren über und über mit Kot bespritzten Bäumen, verwechselt zu werden. Ein Affenhaus war da, sein Stolz die weltbekannte Orang-Utan-Zucht, und hinter einem ummauerten Graben, eben erst eingetroffen aus Afrika, döste in der sächsischen Sonne ein Paar Breitmaulnashörner. So kam es, dass ein einziger Nachmittag Säugetiere, Reptilien und Vögel von allen fünf Kontinenten versammelte, und dies nur wenige Kilometer entfernt von der eigenen Haustür.
Durs Grünbein, entnommen einem Beitrag im „Spiegel“.

Schlange vor’m Klo
Schau, die Giraffen,
ihre Hälse sind lang.
Schau, wie sie lächeln,
sie sagen vielen Dank.
Schau, die turnen die Affen,
ihr Kreischen ist schön.
Komm reich mir die Hand,
laß uns in’s Vogelhaus gehen.
Hier sind wir glücklich – ich und du.
Hier sind wir frei – an einem Sonntag
im Zoo.
Und die Papageien,
man versteht sie nicht ganz.
Eine Welt voller Schönheit,
eine Welt voller Glanz.
Und die Käfige offen
und gross das Gehege
und die Tiere voll Freude
und die Luft voller Liebe.
Hier sind wir glücklich – ich und du.
Hier sind wir frei – an einem Sonntag
im Zoo.
Eine Gruppe Japaner,
schau, wie sie sich freuen.
Sie werden den Eintritt
sicher nicht bereuen.
Sie sind freudig erregt,
und sie fotografieren,
sie lachen mit sich
und der Welt und den Tieren.
Und die Kinder schreien fröhlich,
und eine Schlange vor’m Klo.
Und alle sind glücklich
sonntags im Zoo.
Hier sind wir glücklich – ich und du.
Hier sind wir frei – an einem Sonntag
im Zoo.
Siehst du den Wärter,
der mit dem Pinguin spricht,
etwas Schöneres
gibt es für ihn nicht.
Hier sind wir glücklich – ich und du.
Hier sind wir frei ...
Die Toten Hosen

Das Schlimmste
„Zooverbot ...“, sagte der Direktor leise. „Weißt du eigentlich, was das bedeutet? Zooverbot. Das ist etwas sehr sehr Schlimmes. Das ist das Schlimmste,was dir geschehen kann. Deswegen haben sich Menschen das Leben genommen oder sind ins Irrenhaus eingewiesen worden vor Schmerz. Selbstverständlich hast du kein Zooverbot, denn nur ich kann es aussprechen.“
Martin Kluger, „Abwesende Tiere“, DuMont 2002

Hamsters turn on frequently
Someone told me it’s all happening at
the zoo
I do believe it, I do believe it’s true
It’s a light and tumble journey
From the East Side to the park
Just a fine and fancy ramble to the zoo
But you can take the cross town bus
If it’s rainin’ or it’s cold
And the animals will love it if you do
If you do now
Something tells me it’s all happening at
the zoo
I do believe it, I do believe it’s true
The monkeys stand for honesty
Giraffes are insincere
And the elephants are kindly
But they’re dumb
Orangutans are sceptical
Of changes in their cages
Now the zoo keeper is very fond of
rum
Zebras are reactionaries
Antelopes are missionaries
Pigeons plot in secrecy
And hamsters turn on frequently
What a gas! You gotta come and see
At the zoo
At the zoo ...
Simon & Garfunkel

Luxus oder Freiheit?
Die besten Stunden im New Yorker Zoo sind die frühen Morgenstunden und die Zeit nach Sonnenuntergang. Da haben sie ihre Gehege für sich, der eingebildete Löwe Alex, das vorlaute Zebra Marty, die panische Giraffe Melman und die Zebradame Gloria. Dann kommt das gute Essen, herbeigetragen vom Zoo-Personal, man plaudert von Gehege zu Gehege, besucht sich gegenseitig und träumt, angefeuert von den neugierigen Pinguinen, von großer Freiheit. Ein Luxusleben, die Tiere werden umhegt wie Stars, gefeiert Tag für Tag, und sind aufeinander eingespielt wie alte Eheleute. Wäre da nicht der Horror der Mittagszeit: Wenn die Kinderhorden sich lärmend durch die Gänge schieben und vor den Käfigen drängen, um ihre Lieblinge zu sehen. Eis, Zuckerwatte, Ballons und Fotogewitter.
So ungefähr muss sich Knut gefühlt haben.

Madagascar, Zeichentrickfilm, Dreamworks, 2005.

Apokalypse Now
1941, der erste Luftangriff der Deutschen auf Belgrad: Die Stadt brennt, die Menschen flüchten. Und die Tiere im Zoo brüllen vor Angst. Immer näher rückten die Flammen, immer größer die Hitze, kein Wärter mehr zu sehen. Tierwächter Ivan und sein Bruder Marko gehen als Partisanen in den Untergrund, doch vorher öffnen sie die Gitter und entlassen die Tiere in die Freiheit. Apokalyptische Szenen in der Hölle des Kriegs: Löwen und Affen sterben im Bombardement, Elefanten und Kamele laufen panisch durch die Stadt. Der Film von 1995 ist ein Spiegelbild der Realität: 1992 verhungerten während der Belagerung von Sarajewo im Zoo die Tiere. Die Kadaver der Löwen, Antilopen, Giraffen in den Käfigen: schlimmer als jede Filmszene.
Emir Kusturica, Underground, Jugoslawien/Frankreich 1995.

Der Panther
Im Jardin des Plantes, Paris
Sein Blick ist vom Vorübergehn der
Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr
hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker
Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine
Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang
der Pupille sich lautlos auf –.
Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte
Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.
Rainer Maria Rilke, 6. 11. 1902.

Giraffen im Zoo
Wenn sich die Giraffen recken,
Hochlaub sucht die spitze Zunge,
Das ihnen so schmeckt, wie junge
Frühkartoffeln mit Butter mir
schmecken.
Hohe Hälse. Ihre Flecken
Sehen aus wie schön gerostet.
Ihre langsame und weiche
Rührend warme Schnauze kostet
Von dem Heu, das ich nun reiche.
Lauscht ihr Ohr nach allen Seiten,
Sucht nach wild vertrauten Tönen.
Da sie von uns weiter schreiten,
Träumt in ihren stillen, schönen
Augen etwas, was erschüttert,
Hoheit. So, als ob sie wüßten,
Daß nicht Menschen, sondern daß ein
Schicksal sie jetzt anders füttert.
Joachim Ringelnatz, 1929.

Faschingsscherz
Wer die Ohren spitzt, versteht, dass sich der französische Komponist für dieses Stück zeitlebens geschämt hat: brüllende Löwen gleich in der Introduktion, Gazellen und Zebras, die über die Klaviatur der beiden Flügel jagen, Schildkröten, die einen Can-Can von Jacques Offenbach entschleunigen, ein Elefant, der auf Hector Berlioz herumtrampelt, laute „I-aahs!“ der Geigen, das Xylophon fürs Klappern fossiler Knöchlein – und ein wahrhaft zoologisch-kakophonisches Finale. Das Werk dient heute dazu, Kinder, die gerade aus dem Zoo kommen, an klassische Musik heranzuführen.
Camille Saint-Saens, Le carnaval des animaux, 1886.

Steptanz
„Ich wette, die Tiere da sind besonders glücklich“, sage ich, als wir uns einen Eisbär ansehen, der sich mit vom Chlor blau geflecktem Fell auf einen Tümpel mit einem künstlichen Eisberg zuschleppt. „Ach was“, widerspricht Bruce. „Klar sind die glücklich.“ „Davon sehe ich aber nichts“, sage ich. „Was erwartest du denn von ihnen? Wunderkerzen? Steptanz? Komplimente über deine schicke Bluse?“
Bret Easton Ellis, „Die Informanten“, Kiepenheuer & Witsch, 1995.

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