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Ölförderung und Ölkatastrophe: BP - eine Geschichte voller Risiken

Als George Reynolds 1908 auf Öl stieß, war das der Anfang von BP. Schon damals nahm die Firma Risiken in Kauf. Die wurden in den nächsten 100 Jahren nicht geringer - bis zur Katastrophe im Golf von Mexiko.

Von Andreas Austilat

Gut ein Jahr ist es jetzt her, dass der britische Ölmulti BP seinen 100. Geburtstag feierte. Aus diesem Anlass gab Unternehmens-Chef Tony Hayward der BP-Firmenzeitschrift ein Interview. Und auf die Frage, ob er denn glaube, dass BP noch in 100 Jahren bestehe, antwortete Hayward, er sehe nicht, warum das nicht so sein sollte.

Natürlich konnte Hayward da noch nicht ahnen, dass sein Unternehmen nach der Explosion einer Öl-Förderplattform im Golf von Mexiko eine gigantische Umweltkatastrophe auslösen würde. Seit zwei Monaten schießt dort das Öl aus dem Bohrloch, unkontrolliert, Millionen Liter jeden Tag, die den Ruf des Unternehmens ruinieren, es vielleicht an den Abgrund führen. Zeitweise hatte die Firma ein Drittel ihres Börsenwerts eingebüßt. Allein die Einsatzkosten summieren sich auf bislang über eine Milliarde Dollar, die Folgekosten sind gar nicht absehbar. Doch wer in die Annalen der Firma schaut, wird feststellen, dass BP sich genau dorthin, an den Rand des Abgrunds, schon öfters manövriert hatte. Eigentlich hätte die Geschichte bereits enden können, bevor sie vor 100 Jahren richtig losging.

Am Anfang stand ein ungleiches Paar. Der eine, William Knox D’Arcy, hatte als Rechtsanwalt in Australien ein Millionenvermögen damit gemacht, dass er einer Minengesellschaft dabei half, ihre Ansprüche auf ein Goldfeld durchzusetzen. Leider war Knox D’Arcy nicht nur ein Dandy mit äußerst verschwenderischem Lebensstil. Noch teurer kam ihn sein Hang zu hochriskanten Geschäften. Der andere, George Reynolds, hatte Erdöl-Expeditionen durch den Dschungel von Sumatra begleitet. Nun, mit über 50, sollte er sich in der iranischen Wüste noch einmal auf ein neues Abenteuer einlassen.

William Knox D’Arcy hatte den Iran, oder wie man damals noch sagte: Persien, noch nie betreten – er sollte es in seinem Leben auch nie tun. Trotzdem war er von der Idee besessen, dass es dort Öl gäbe. Das allein war schon spekulativ, noch riskanter war es, so früh auf einen Boom jenes Stoffs zu setzen, der bislang nur in Lampen verfeuert wurde.

Knox D’Arcy aber hatte dem Schah von Persien 1901 eine Konzession abgeschwatzt, die ihm auf einem Territorium so groß wie Kalifornien und Texas zusammen alle Förderrechte in den nächsten 60 Jahren einräumte, für 40 000 Pfund. Vom Nettogewinn, wenn er denn einmal fließen würde, sollte Knox D’Arcy 84 Prozent einstreichen, Persien verblieben 16 Prozent. Nun, mit seinem Verhandlungsgeschick stand Knox D’Arcy nicht allein, der Schah hatte schon ganz andere Rechte verpfändet: Tabak, Eisenbahnbau, Telekommunikation, dabei nicht nur kein Geld, sondern im Gegenteil hohe Schulden angehäuft und sein Volk derart gegen sich aufgebracht, dass er 1906 einer Verfassung und der Einschränkung seiner absoluten Macht zustimmen musste.

Reynolds hatte endlich Öl gefunden - nach sieben Jahren in der Wüste

Reynolds setzte derweil mit seinen Bohrungen Unsummen in den Wüstensand. Knox D’Arcy ließ ihn gewähren, kein Preis schien zu hoch, bis er alles verpfändet hatte, sein Haus in London und das auf dem Land, bis D’Arcy pleite war. Und so war eigentlich schon 1908 der Zeitpunkt gekommen, diese Firmengeschichte zu beenden. Arbeit einstellen, einpacken, nach Hause fahren, Geld alle, lautete die Botschaft, die Anfang Mai an Reynolds ging. Vielleicht hat er die sogar erhalten und einfach nicht beachtet, vielleicht war sie einfach nur ziemlich lange unterwegs. Reynolds jedenfalls, der sieben Jahre in der iranischen Wüste verbracht hatte, geplagt von Krankheit und Misserfolgen, bohrte weiter und immer weiter, bis er am 26. Mai 1908 auf Öl stieß, ein Vorkommen so gewaltig, dass 1909 eigens eine Gesellschaft, die Anglo-Persian-Oil-Company, zur Förderung, Verarbeitung und Vermarktung dieses Öls gegründet wurde.

Das war der Beginn von BP. Das heißt, wenn man es ganz genau nimmt, war der schon 1904 in Deutschland. Da wurde unter maßgeblicher Beteiligung der Deutschen Bank die Deutsche Petroleum-Aktiengesellschaft gegründet, die schon bald zur Europäischen Petroleum-Union mutierte und in Kaukasien eigene Förderpläne verfolgte. Zur Wahrnehmung ihrer Interessen in Großbritannien gründete diese Gesellschaft die British Petroleum, kurz BP. Kurz drauf brach allerdings der Erste Weltkrieg aus, alle deutschen Besitzungen in Großbritannien wurden beschlagnahmt, auch die BP, und meistbietend verkauft. So gelangte die Anglo-Persian 1917 in den Besitz der deutschen BP, ein Name, der viel geschmeidiger klang, wie sich später noch zeigen sollte.

Der Schmierstoff des 20. Jahrhunderts

Überhaupt trug dieser Erste Weltkrieg ganz entscheidend zum Erfolg des noch jungen Unternehmens bei. Das war nämlich 1914 schon wieder nahezu pleite. Neues Geld war nötig gewesen, allein um eine Pipeline durch unwegsames Gelände die 210 Kilometer von der Fundstelle zur Küste zu legen. Zwei Jahre dauerte das und immer noch galt, wer braucht schon Öl, mit den paar Autos, die es damals gab, war kein Geschäft zu machen. Das zeichnete sich erst ab, als Winston Churchill, erster Lord der britischen Admiralität und damit Marineminister, sich der Sache annahm. Denn während die Flotte des kaiserlichen Deutschlands noch mit Kohle dampfte, stellte der britische Konkurrent auf Öl um. Das machte britische Kriegsschiffe nicht nur schneller, es vervierfachte auch ihre Reichweite.

Churchill erkannte als einer der ersten, dass Öl der Schmierstoff des 20. Jahrhunderts sein würde, und wenn es Großbritannien nicht gelingen würde, Kontrolle über dieses Öl zu bekommen, würde es als Weltmacht keine Rolle mehr spielen. „Herrschaft ist der Lohn für dieses Unterfangen“: 1914 setzte Churchill im britischen Parlament den Beschluss durch, die Mehrheit der Anglo-Persian zu erwerben. Die Sicherung der Ölfelder wurde zu einer nationalen Angelegenheit. Erst recht, als sich im Ersten Weltkrieg der deutsche Agent Wilhelm Waßmuß anschickte, persische Stämme gegen die Briten aufzustacheln und Anschläge gegen deren Pipeline zu verüben.

Waßmuß’ Taten trugen ihm in den englischen Zeitungen den Beinamen „der Deutsche Lawrence“ ein, analog zum berühmt gewordenen Wüstenhelden Lawrence von Arabien. Den Persern brachten sie vor allem eine Menge Ärger, denn die Briten forderten von ihnen Ersatz für den angerichteten Schaden. England wurde fortan auch in Persien verteidigt, weite Teile wurden 1917 besetzt. In Abadan entstand bis 1930 die größte Raffinerie der Welt, ja, eine ganze Stadt wurde aus dem Boden gestampft.

Tony Hayward lobte in seinem Jubiläumsinterview den Pioniergeist seiner Firma: „Wir waren die ersten, die in den Mittleren Osten gingen und dort Öl entdeckten.“ Und in der Firmengeschichte rühmt man sich, die Zivilisation in die ärmsten Regionen Persiens gebracht zu haben, einschließlich einer bis dahin unbekannten medizinischen Versorgung.

Die Auseinandersetzung mit Iran erreichte ihren Höhepunkt

Kritischer beurteilten die Iraner das Engagement. „Alles Elend in Iran, die Gesetzlosigkeit und Korruption der letzten 50 Jahre geht auf das Öl zurück“, kommentierte der iranische Rundfunk beim Amtsantritt des neuen iranischen Ministerpräsidenten im Jahre 1951. Die iranische Demokratie war gerade erst wieder belebt worden, Mohammed Mossadegh, der in Paris und in der Schweiz studiert hatte, brachte ein breites nationales Bündnis zusammen, das ihm eine Regierungsmehrheit bescherte. Wichtigster Programmpunkt: Verstaatlichung der Ölindustrie.

Das war der Höhepunkt einer Auseinandersetzung, die sich seit Jahrzehnten hingezogen hatte. Zwar war es dem Iran, wie er inzwischen offiziell hieß, 1932 gelungen, die Konzession neu zu verhandeln und das Fördergebiet der Briten zu verkleinern. Doch mehr Geld sprang trotzdem nicht raus. So kassierte der Iran 1950 gerade mal 37 von 275 Millionen Pfund, die das Öl einbrachte. Und Averell Harriman, Sonderbotschafter des amerikanischen Präsidenten Truman, der im iranisch-britischen Streit schlichten sollte, berichtete seinem Präsidenten, die Unterkünfte der Ölarbeiter in Abadan seien „schockierende Behausungen für die Angestellten einer großen westlichen Ölgesellschaft“, den Briten warf er eine „koloniale Einstellung aus dem 19. Jahrhundert“ vor.

Einlenken mochten die Briten nicht, auch nicht auf die iranische Forderung eingehen, künftig den Gewinn 50 : 50 zu teilen. 70 000 Soldaten wurden mobilisiert, die Britische Marine kreuzte vor Iran, und als der an seinen Verstaatlichungsplänen festhielt, verhängte sie eine Blockade gegen das Land. Jedem Tanker mit iranischem Öl an Bord wurde mit Beschlagnahme gedroht. Erklärtes Ziel der Briten und ihres Premierministers, der seit 1951 wieder Winston Churchill hieß: Mossadegh, den das amerikanische Magazin „Time“ gerade zum Mann des Jahres gekürt hatte, musste weg. Aber allein konnten sie dieses Ziel nicht realisieren.

Erst 1953, als in den USA mit Dwight D. Eisenhower ein neuer Präsident im Weißen Haus regierte, wurden britische Geheimdienstler in Washington angehört. Lohn der Mühe war die „Operation Ajax“. Sie sollte die so genannte Abadan-Krise beenden und den inzwischen geflohenen Schah wieder auf seinen Thron bringen. Vor allem aber wies man auf eine drohende Annäherung des blockierten Iran an die Sowjetunion hin. Eine Million Dollar ließ sich die CIA die Operation kosten, die zur Destabilisierung der Mossadegh-Regierung, schließlich zur Absetzung des Premiers und seiner Verhaftung führte. Ein preiswerter Erfolg, der aber zum Rohrkrepierer wurde.

Zwar machten fortan maßgeblich US-amerikanische Konzerne das Geschäft mit dem in den Iran zurückgekehrten Schah, der bei der Gelegenheit gleich noch die Verfassung außer Kraft setzte und alle verbliebenen Oppositionellen eisenhart verfolgte. Die Ölgesellschaften erhielten eine Konzession auf 25 Jahre. Die aber wurde nie verlängert. 1979 brach im Iran die islamische Revolution aus. Der Ayatollah Khomeini kehrte zurück, der Schah musste fliehen, und die USA haben seitdem einen unversöhnlichen Feind im mittleren Osten.

Dinge wagen, die andere nicht wagen

Die Briten hatten es sich schon vor 1954 so nachhaltig mit dem Iran verdorben, dass ihre Rolle dort bis heute unvergessen ist. Die Anglo-Iranian-Oil-Company erhielt ihre Anlagen nicht wieder, immerhin, sie wurde entschädigt. Den alten Namen gab sie auf, fortan firmierte sie als als BP. Und andere Ölfelder musste sie sich suchen. Was schnell gelang.

Auch zu diesem Kapitel der Firmengeschichte äußerte sich Tony Hayward im Interview: Die Rolle von Konzernen wie BP habe sich fundamental geändert, seit nationale Ölgesellschaften ihre Ressourcen selbst entwickelten. „Die Aufgabe der internationalen Ölgesellschaften ist es, die wirklich harten Sachen zu machen, die Sachen, die andere nicht können oder wegen des Risikos nicht übernehmen wollen.“ Und das bedeute, dass man sich zu den Grenzen vorwage. So wie Persien seinerzeit eine Grenze gewesen sei, so sei man nach Alaska und in die Nordsee gegangen. Und so werde man auch zu neuen Grenzen vorstoßen, „unter das Eis und immer tiefer in die See“.

Nach der Katastrophe im Golf klingt das Interview von 2009 plötzlich wie eine Drohung. Tatsächlich war BP schon 1964 unter den ersten, die sich in die Nordsee wagten, Bohrungen in 130 Meter Tiefe waren ein technisches Novum damals. Und auch bei der Erschließung von Ölfeldern in Alaska war BP vorn dabei und zahlte einen hohen Preis. 2006 leckte eine Pipeline in Alaskas Prudhoe Bay. Wegen technischer Mängel musste das Feld vorübergehend geschlossen werden.

Schon dieser Unfall nagte am Image des Konzerns, dem nach Exxon und Shell drittgrößten Ölmulti der Welt. BP ist, seit Margaret Thatcher 1987 die letzten Anteile privatisierte, längst kein britisches Staatsunternehmen mehr, und die Marke hat große Anstrengungen unternommen, ihr Kürzel als „Beyond Petroleum“ – „Mehr als Öl“ umzudeuten, sich ein umweltfreundliches Image zu geben. Tatsächlich aber wendete der Konzern nach Recherchen des britischen „Guardian“ 2008 zwar 93 Prozent seiner Investments für die Erschließung von Ölfeldern auf, doch etwa auf die Solarenergie entfielen nur 1,93 Prozent.

Das Leck in der Prudhoe Bay, durch das mindestens 800 000 Liter Öl in den Boden Alaskas sickerten, brachte BP 2007 eine Strafe in Höhe von 20 Millionen Dollar ein. Das war weniger als die Hälfte des Tagesgewinnes. Härter trafen die negativen Schlagzeilen. Zumal BP sich noch einer anderen Untersuchung stellen musste: 2005 war die Raffinerie in Texas City bei Houston explodiert, 15 Arbeiter starben und die Sicherheitsstandards des Unternehmens rückten in den Mittelpunkt der Kritik. Die Untersuchungen zogen sich bis 2007 hin, der neue Chef, Tony Hayward, versprach Besserung und sah zur Hundertjahrfeier wieder Grund zum Optimismus.

Was aber machte ihn da so sicher, dass BP noch einmal 100 Jahre existieren könnte? Haywards Antwort steht gewissermaßen stellvertretend für die gesamte Ölbranche: „Solange wir etwas anbieten, das die Leute haben wollen und für das sie bereit sind zu bezahlen, solange werden wir als Unternehmen Bestand haben.“

Nun, eines ist gewiss: Dieser Preis wird steigen, solange wir nicht bereit sind, unseren Lebensstil zu ändern. Und, das lehrt die Geschichte mit all den Opfern, Intrigen, Katastrophen, dieser Preis wurde noch nie nur an der Tanksäule bezahlt.

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