zum Hauptinhalt
Handtasche und Einkaufsbeutel zugleich.

© Pechová

Alternative zur Plastiktüte: Gut vernetzt

Ein Haarnetzfabrikant hatte Absatzschwierigkeiten, eine junge Tschechin eine Geschäftsidee. Aus dem Nichts schaffte es der „Netbag“ auf die It-Listen der Modemagazine.

Um in den Showroom des kleinen Netztaschen-Imperiums zu gelangen, muss die Besucherin eine Klingel drücken. Dann öffnet Karolína Pechová die Tür – und sofort wird ihr Erfolgsgeheimnis sichtbar: Farben. Vor den weißen Wänden im Prager Verkaufsraum stapeln sich rosarote, gelbe oder türkise Knäule, und auch Pechová selbst ist farbenfroh: Mit leuchtend roten Haaren und einem knallbunten T-Shirt lässt sie sich auf einem grellgrünen Sofa nieder. „Meine Idee? Das Geschäft so ähnlich aufzuziehen wie der Erfinder der Netze“, erläutert sie bei einer Tasse Tee. „Auch Vavrin Krcil hatte ja schon verschiedene Modelle im Angebot.“ Der richtige Beutel für jede Gelegenheit: zum Einkaufen der Klassiker, zum Ausgehen eine modische Variante – so habe es auch der Taschenpionier gehalten.

Und Karolína Pechová, 36 Jahre, ist so etwas wie die unternehmerische Erbin des Erfinders, dessen aus der Not geborene Idee in Zeiten des zunehmenden Mehrwegbewusstseins nicht nur in Tschechien eine Renaissance erfährt.

Wie alles anfing? Der Schöpfer der luftigen Einkaufsbeutel leitete in den 1910er Jahren eine Haarnetz-Manufaktur in dem Städtchen Zdar nad Sázavou, das knapp zwei Autostunden von der Hauptstadt Prag entfernt im Zentrum des Landes liegt. „Ein kleines Unternehmen mit gutem Ruf, das auch ins Ausland verkauft hat“, erzählt Karolína Pechová. Vor etwa 100 Jahren sei der Haarnetz-Produzent allerdings in eine Krise geraten: Mit den 20er Jahren wurde der Bubikopf modern – und der Bedarf an Haarnetzen, die lange Haare aus Schönheits- oder Hygienegründen bändigen sollten, nahm ab. Dazu überschwemmten auch japanische Produzenten den Markt, erfährt man im Heimatmuseum der ehemaligen Netzmetropole. Oder mit Karolína Pechovás Worten: „Der Mann hatte einfach kein Business mehr.“

Doch der Erfindergeist ruhte nicht. „Er hat nach einer neuen Idee gesucht, hat einfach mit den Maschen gespielt und Dinge ausprobiert“, vermutet die Designerin. Dabei ist ein Haarnetz mit Tragegriff herausgekommen, die erste Sítovka. So genial die Innovation, so verpeilt Herr Krcil: Seine Erfindung patentieren zu lassen, hat er versäumt. Zu teuer. Bald darauf seien die Einkaufsbeutel dann auch andernorts produziert worden.

Beliebt waren die Taschen nicht nur in Tschechien, sondern später auch in der DDR. So seien beispielsweise Mini-Einkaufsnetze aus der Kunstfaser Dederon „wahre Platzwunder“ gewesen, wie das Haus der Geschichte Wittenberg mitteilt, das sich mit dem Alltagsleben im 20. Jahrhundert beschäftigt. „Es passten bis zu zwölf Flaschen Bier hinein.“

Weg vom Oma-Image

Ob man die dehnbaren Dinger nun mit Bierflaschen füllt oder nicht: Sie sind wieder da – spätestens, seit die „Vogue“ das Geflecht zum „It-Bag“ erklärte. Das Zürcher Label Vetements bietet gar Modelle für mehrere Tausend Euro an. Günstiger wird es, wenn man selbst kreativ wird – Anleitungen zum Häkeln gibt es auf Youtube genug. Verpasst bekommen die Netze dabei Vintage-Männernamen wie „Manfred“ oder „Kurt“ – in Kombination mit dem Zusatz „the Bag“.

Karolína Pechová hat vor 15 Jahren das erste Mal eine Sítovka in ihren Händen gehalten. Bekommen hat sie die natürlich  von ihrer Oma, die sie zum Einkaufen schickte. Und die Oma sagte: „Früher war das Netz wirklich populär. Deine Mutter wird sich erinnern – aber ihre Generation mochte die Netze nicht sonderlich.“

Die Enkelin lässt die Tasche nicht mehr los. Könnte das vielleicht eine Geschäftsidee sein? Sie recherchiert, ob die Sítovka noch produziert wird. Und stellt fest: Es gibt einige Konkurrenten. „Die hatten aber alle keine Vision“, meint Pechová. „Sie haben die Netze so günstig wie möglich produziert, um sie dann mit einer geringen Gewinnspanne zu verkaufen.“ Pechová dagegen sah in den Taschen Lokalkolorit, „ein tschechisches Erbe“. Der aktuelle Zeitgeist passt dazu: Die Einkaufsnetze sind ein nachhaltiges Produkt, ein wiederverwertbares Gegenmodell zur umweltschädlichen Plastiktüte.

Diese Alternativen könnten in Deutschland zukünftig noch wichtiger werden. Im November hat das Bundeskabinett für ein Verbot von Einweg-Plastiktüten ab 2020 gestimmt, ausgenommen die ganz dünnen und die besonders starken. Bislang hatte die Regierung auf Freiwilligkeit gesetzt, um den Plastiktüten-Konsum der Deutschen zu reduzieren. Seit 2016 besteht eine Vereinbarung mit dem Handel, der die Tragetaschen nur noch gegen Bezahlung von einigen Cent herausgibt. Seither sei der Verbrauch bereits um 64 Prozent zurückgegangen, so das Bundesumweltministerium.

„Mit einem Verbot kommen wir jetzt auf Null“, prognostiziert Umweltministerin Svenja Schulze. Schließlich hätten die Erfahrungen der vergangenen Jahre gezeigt: „Es geht auch ohne Plastiktüte beim Einkauf. Immer mehr Menschen gewöhnen sich daran, Mehrwegbeutel dabei zu haben.“ Wie beispielsweise Einkaufsnetze, die es übrigens auch mit Einlegebeutel gibt, damit keine Lauchstangen herausragen oder Joghurtbecher durch die gedehnten Maschen kullern.

Mit knalligen Farben verjüngt Karolína Pechová das alte Netz.
Mit knalligen Farben verjüngt Karolína Pechová das alte Netz.

© Pechová

Als Karolína Pechová ihr Unternehmen Ceská Sítovka vor sieben Jahren gegründet hatte, kamen die Taschen allerdings noch nicht so gut an. „Die ersten drei Jahre waren echt start-up-mäßig“, erinnert sich die Unternehmerin und lacht. „Dann hatte ich eine weitere Idee – und habe die Netze zu Werbemitteln gemacht.“ Sie bot Unternehmen an, ihre Logos auf die Beutel zu drucken oder Netze in der Firmenfarbe zu gestalten.

Trotzdem war Pechová enttäuscht. „Es war ein Nostalgie-Produkt.“ Junge Leute wollten Geschenke für ihre Großmütter besorgen. „Ich habe meine Kunden immer gefragt: Willst du nicht auch ein Netz für dich kaufen? Dann meinten sie, vielleicht nächstes Jahr.“

Schließlich haftete den Taschen immer noch der Muff des Kommunismus und damit auch der Planwirtschaft, dem Schlangestehen und des Mangels an. Also nahm sich Pechová vor, aus den Beuteln ein Accessoire zu machen, das „bunt, nett, irgendwie witzig“ ist. Sie erweiterte ihre Farbpalette, nahm knalligere Töne ins Programm. „Die Leute sollten sich ja nicht schämen, mit den Taschen herumzulaufen.“ Ihr Plan hat Wirkung gezeigt.

Neue Kunden will die Unternehmerin auch mit Luxus-Versionen der Taschen locken. Sie kooperiert mit zwei Jungdesignerinnen. Im Showroom sind die Modelle, die dabei entstanden sind, bereits zu sehen: Ein Silbertäschchen, an welches das Netz drangeclipt werden kann sowie ein Einkaufsnetz mit Lederbesatz. Für die beiden Produkte will Pechová eine neue Marke schaffen. „Diese Taschen werden teurer. Viel teurer“, sagt sie hoffnungsfroh.

Die perfekte Strandtasche

Die Produktion der Stücke sei allerdings auch aufwendiger – jene der Basisversionen recht einfach. Die junge Unternehmerin arbeitet dafür mit Behindertenwerkstätten und Rentnerinnen zusammen, welche die Taschen zusammennähen. Um die 40 Leute wären damit beschäftigt. Das Netz selbst wird maschinell hergestellt.

Doch auch diese einfachen Modelle sollen nicht als Massenwaren über die Theken gehen, findet die junge Unternehmerin. Das würde die Marke kaputt machen. Und vermutlich auch den Preis: Zwar sind die schlichten Taschen schon für rund fünf Euro zu haben – eine abgerundete Version kostet dagegen schon 13, eine mit blickdichtem Einsatz um die 20 Euro.

Ab dem Frühjahr 2020 soll es dann einen mehrsprachigen Onlineshop geben, damit die Bestellung für Kunden im Ausland einfacher wird. Bislang gibt es eine englische Version unter dem Namen „Czech Netbag“.

Für die Zukunft hat sich Pechová vorgenommen, die Einkaufsnetze in Küstenregionen anzupreisen. „Ich denke, sie sind die perfekten Strandtaschen. Schließlich rieselt der ganze Sand ja durch.“

Und auch der Staub der Geschichte.

Claudia Wiggenbröker

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false