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Elon Musk, Eigentümer von Twitter, Tesla und SpaceX, auf der Vivatech-Messe im Juni 2023.

© dpa/Michel Euler

Hetze und Lügen beim Twitter-Nachfolger X: „Elon Musk unterstützt Hass und Rassismus“

Twitter-Nachfolger X verklagt die Organisation CCDH, die Hass und Falschinformationen dokumentiert. Ein Interview mit deren Gründer über toxische Plattformen, Gegenmittel – und Kanye West.

Der Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter, hat kürzlich eine Klage gegen die britisch-amerikanische Organisation CCDH (Center for Countering Digital Hate) eingereicht, die sich gegen Hass und Falschinformation engagiert und deren Umfang dokumentiert. X-Chef Elon Musk wirft dem CCDH vor, dem Geschäft seiner Social-Media-Plattform geschadet zu haben. Das wurde am Dienstag dieser Woche bekannt.

Im Tagesspiegel-Interview schildert der Gründer des Zentrums gegen digitalen Hass, Imran Ahmed, wie stark Verunglimpfungen, Rassismus und Lügen bei Twitter unter Musk zugenommen haben, was die Rückkehr des umstrittenen Musikers Ye/Kanye West auf die Plattform bedeutet und wieso andere Dienste wie Instagram besser mit dem Thema umgehen. Und er erklärt, wieso er davon überzeugt ist, dass Musk ihn und andere Kritiker nicht zum Schweigen bringen wird.

Herr Ahmed, Ihre Untersuchungen und Veröffentlichungen haben gezeigt, dass die Menge an Hassreden und Desinformationen zugenommen hat, seitdem Elon Musk im Oktober 2022 Twitter übernommen hat, welches kürzlich in X umbenannt wurde. Wie würden Sie Ihre wichtigsten Erkenntnisse zusammenfassen?
Die Berichterstattung des CCDH hat gezeigt, dass der Umfang der Tweets, die Verunglimpfungen enthalten, seitdem um bis zu 202 Prozent gestiegen ist. Tweets, die LGBTQ+-Personen mit „Grooming“ in Verbindung bringen, also der Anbahnung sexueller Kontakte mit Minderjährigen, haben sich mehr als verdoppelt. Inhalte und Accounts, die den Klimawandel leugnen, haben stark zugenommen. Und bei Twitter-Blue-Abonnenten wird nicht gegen den Hass vorgegangen.

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Ende 2022 hat Musk ja auch den Vertrauens- und Sicherheitsrat von Twitter aufgelöst, in dem externe Fachleute das Unternehmen zu Themen wie Online-Sicherheit, Menschenrechten und dem Umgang mit sensiblen Themen beraten hatten…
Das hat zu einer raschen Vergiftung der Plattform geführt. In ihrer Rücktrittserklärung haben ehemalige Mitglieder des Rates Ergebnisse unserer Arbeit zitiert.

Wir alle wissen, dass Elon Musk seit der Übernahme der Plattform Neonazis, weiße Rassisten und bekannte Verbreiter von Desinformationen mit offenen Armen bei X willkommen heißt.

Imran Ahmed

Seitdem Musk Twitter leitet, schränkt er den Zugang zu den Daten für externe Forscher ein, wodurch es immer schwieriger wird, das Ausmaß von Hassreden und damit zusammenhängenden Vorfällen nachzuweisen. Welche Art von Daten standen Ihnen zur Verfügung, um zu Ihren Schlussfolgerungen zu gelangen?
Unter der Führung von Musk hat X Schritte unternommen, um Forschern den freien Zugang zu seiner Anwendungsprogrammierschnittstelle zu verwehren, die Forscher zur Datenerfassung nutzen. Am Dienstag haben drei Politiker der US-Demokraten, Lori Trahan, Adam Schiff und Sean Casten, einen Brief an Musk geschrieben, in dem sie die „feindselige Haltung“ von X gegenüber unabhängigen Forschungsbemühungen anprangerten und die Transparenzpolitik des Unternehmens in Bezug auf die Einschränkung des Datenzugangs infrage stellten.

Während dies die zweite derartige Anfrage dieser Gesetzgeber an X war, da ihr Brief vom März unbeantwortet blieb, war das CCDH auf der anderen Seite unglaublich transparent, wenn es um die Methodik hinter unserer faktenbasierten Forschung ging. Wir werden auch weiterhin Social-Media-Unternehmen, die Hass und Desinformation in der Öffentlichkeit verbreiten, zur Rechenschaft ziehen.

Elon Musk behauptet, dass kritische Berichte wie die Ihrer Organisation Werbekunden abschrecken. Wie stark ist die Werbung auf Twitter zurückgegangen, seitdem er die Leitung übernommen hat?
Herr Musk selbst hat bekannt gegeben, dass die Werbeeinnahmen der Plattform seit seiner Übernahme um 50 Prozent zurückgegangen sind.

Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptgründe dafür?
Die Werbetreibenden fliehen aus einem klaren Grund aus seiner Plattform: Herr Musk hat die Verbreitung von Hass und Rassismus auf der Plattform unterstützt und er kümmert sich nicht darum, dies zu stoppen. Umfassende Änderungen an der Plattform und die Eskalation toxischer Aktivitäten, die durch die Arbeit von CCDH und anderen Gruppen aufgezeigt wurden, haben die Sorge der Werbetreibenden um die Auswirkungen auf die Markensicherheit geweckt.

Einfach ausgedrückt: Werbetreibende haben das Recht zu entscheiden, nicht mit etwas assoziiert zu werden, von dem sie wissen, dass es schädlich und giftig ist.

In einem Meinungsbeitrag für den US-Nachrichtensender MSNBC zu diesem Fall verweisen Sie auf die von Musk initiierte Rückkehr des zuletzt durch wiederholte antisemitische und rassistische Aussagen aufgefallenen Musikers Ye alias Kanye West zu X/Twitter. Inwieweit ist dieser Fall symptomatisch für das, was derzeit auf X/Twitter passiert?
Es ist die letzte in einer Reihe von Entscheidungen von Herrn Musk, die zu einer Ausbreitung von Hass auf der Plattform geführt haben, seitdem er sie übernommen hat. Herr Musk hat nach einem Grund gesucht, um anderen die Schuld für sein eigenes Versagen als CEO zu geben.

Aber wir alle wissen, dass er seit der Übernahme der Plattform Neonazis, weiße Rassisten und bekannte Verbreiter von Desinformationen mit offenen Armen bei X willkommen heißt. Jetzt hat Herr Musk beschlossen, dass Ye, der eine unrühmliche Erfolgsbilanz bei der Veröffentlichung von Hassreden hat, es verdient, auf seiner Plattform zu sein.

Die Rückkehr des Rappers Ye, früher bekannt als Kanye West, zu X/Twitter ist aus Sicht von Imran Ahmed symptomatisch für den Umgang des Konzerns mit Hass und Rassismus.

© dpa/AP/Ashley Landis

Sie haben ermittelt, dass Twitter in 99 Prozent der Fälle von Hassrede inaktiv bleibt. Worin sehen Sie den Grund dafür, und was geschieht im restlichen einen Prozent der Fälle? 
Untersuchungen des CCDH zu 100 Twitter-Blue-Abonnenten, die Hassrede-Postings veröffentlicht haben, zeigen, dass die Plattform nur in einem Fall tätig wurde. Das deutet darauf hin, dass die Plattform ihnen erlaubt, ungestraft gegen ihre Regeln zu verstoßen. Ihre giftigen Tweets werden sogar algorithmisch verstärkt.

In dem einen Fall, in dem Twitter einen hasserfüllten Tweet entfernte, stellten die Forscher fest, dass das Konto, von dem er getwittert wurde, weiterhin aktiv ist. Die mangelnde Verantwortung von Twitter für die Entfernung von Hassreden ist nicht überraschend.

Wieso nicht?
Frühere Studien des CCDH haben sich mit antijüdischem und antimuslimischem Hass auf Twitter befasst und festgestellt, dass die Plattform bei 89 beziehungsweise 97 Prozent der Beiträge nicht reagiert hat. Es ist klar, dass Herrn Musk die Bürger- und Menschenrechte von Schwarzen, Juden, Muslimen und LGBTQ+-Menschen oder die Verbreitung von Desinformationen einfach egal sind, solange er an jedem Twitter-Blue-Abonnenten seine acht Dollar im Monat verdienen kann.

Durch unsere Forschung hält das CCDH den Plattformen der sozialen Medien öffentlich den Spiegel vor und fordert sie auf, sich zu überlegen, ob ihnen das Spiegelbild, das sie darin sehen, gefällt oder nicht.

Imran Ahmed

Musk beschuldigt Sie und Ihre Organisation, für seine Konkurrenten oder ausländische Regierungen zu arbeiten. Wie wird das Center for Countering Digital Hate finanziert, und wie stellen Sie sicher, dass Sie unabhängig bleiben?
Herr Musk hat diese Beschuldigungen geäußert, obwohl wir auch kritische Berichte über seine Konkurrenten veröffentlicht haben. Das CCDH ist eine gemeinnützige Nichtregierungsorganisation – wir werden weder von Social-Media-Unternehmen noch von Regierungen finanziert. Wir sind eine gemeinnützige Einrichtung, die sowohl von philanthropischen Organisationen als auch von Mitgliedern der Öffentlichkeit finanziert wird.

Hassrede in Sozialen Medien ist ein Problem, das weit über X/Twitter hinausgeht, worauf auch Ihre Organisation in ihren Veröffentlichungen hingewiesen hat. Inwieweit gehen andere Plattformen wie Facebook, TikTok, Instagram und andere überhaupt gegen Hassrede vor?
Das CCDH setzt sich dafür ein, dass alle Social-Media-Plattformen zur Rechenschaft gezogen werden und für ihre Geschäftsentscheidungen verantwortlich sind. Unsere Ergebnisse haben gezeigt, dass es bei Facebook, Instagram, TikTok, Twitter und YouTube keinen Schutz vor antimuslimischem Hass gibt. Außerdem haben wir eine Analyse der Anti-LGBTQ+-Rhetorik auf Facebook und Twitter durchgeführt, ausgelöst durch das Gesetz „Don’t Say Gay or Trans“ in Florida.

Mit welchen Ergebnissen?
Durch unsere Forschung hält das CCDH den Plattformen der sozialen Medien öffentlich den Spiegel vor und fordert sie auf, sich zu überlegen, ob ihnen das Spiegelbild, das sie darin sehen, gefällt oder nicht.

Und?
Wenn anderen Verantwortlichen aufgezeigt wird, dass es Probleme mit ihren Plattformen gibt, arbeiten sie daran, diese zu beheben. Nach der Veröffentlichung unseres Berichts „Hidden Hate“ (Versteckter Hass) im Jahr 2022, aus dem hervorging, dass Instagram bei neun von zehn Berichten über den Missbrauch von Frauen in Direktnachrichten nicht reagierte, führte die Plattform beispielsweise neue digitale Werkzeuge zum Blockieren von Missbrauch ein. Das Nachrichtenportal Vox, das über diese Änderung berichtete, nannte unseren Hidden-Hate-Bericht als einen der Gründe, warum Instagram diese Änderung vorgenommen hat.

Inwieweit könnte dies als Modell für X/Twitter dienen?
Herrn Musk gefiel es nicht, was er in dem Spiegel sah, den wir ihm vorgehalten haben. Aber anstatt Verantwortung zu übernehmen und das Problem zuzugeben, versucht er, den Spiegel zu verklagen.

Musk scheint vor allem Ihre Organisation anzugreifen, obwohl auch andere seine mangelnden Maßnahmen gegen Hassreden kritisieren. Warum hat er gerade Sie im Visier?
Wir glauben, dass Herr Musk das CCDH ins Visier nimmt, weil wir die Wahrheit über die Verbreitung von Hass und Lügen auf X unter seiner Leitung aufdecken, was sich auf seinen Gewinn auswirkt. Er will seine Kritiker zum Schweigen bringen, damit er der Giftigkeit weiterhin ein Megafon geben kann, während er die Konsequenzen vermeidet. Das CCDH wird jedoch weiterhin Social-Media-Plattformen, einschließlich Herrn Musk und X, die Hass und Desinformation online verbreiten, gegenüber der Öffentlichkeit zur Rechenschaft ziehen.

Wie gehen Sie damit um, dass Elon Musk sie vor Gericht bringen will?
Wir sind der Ansicht, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, über die Verbreitung von Hass und Desinformation auf den sozialen Medienplattformen, die unser Leben, unsere Kultur und unsere Politik prägen, informiert zu werden. Wir glauben, dass dieser Kampf größer ist als das CCDH und wir haben nicht die Absicht, unsere unabhängigen Recherchen einzustellen. Herr Musk wird uns nicht zum Schweigen zwingen.

Was sind Ihre nächsten Schritte?
Unser Ziel ist es, globale Standards für die Reform der sozialen Medien zu schaffen. Die Auswirkungen sind real – auf Menschen, Gemeinschaften und die Demokratie. Wir brauchen eine Gesetzgebung, die sich mit den Systemen befasst, die Hass und gefährliche Fehlinformationen rund um den Globus verstärken.

Die CCDH wird sich für einen soliden Rechts- und Regulierungsrahmen einsetzen, um die die willkürlichen Tendenzen der Milliardäre im Silicon Valley in Schach zu halten – auf der Grundlage von Sicherheit durch Technik, Transparenz, Rechenschaftspflicht und Verantwortung.

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