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Laura Karasek, 37.

© ZDF und Klaus Weddig

Laura Karasek im Interview: „Ich bin eine menschliche Operette“

Angestrengte Bescheidenheit? Dann schon lieber angeben, findet die Schriftstellerin und Moderatorin Laura Karasek. Über Sonntagsbraten mit der Familie und Schlummern am Vormittag.

Laura Karasek, 37, ist Juristin, Romanautorin und Fernsehmoderatorin. Im vergangenen Sommer startete sie auf ZDF Neo ihre Talkshow "Zart am Limit", die zweite Staffel läuft ab dem 19. März um 22.15 Uhr. Ihr aktueller Roman "Drei Wünsche" erschien bei Eichborn. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Frankfurt /Main.

Frau Karasek, es ist Ihnen bestimmt lästig, aber wir würden gerne trotzdem über Ihren 2015 verstorbenen Vater Hellmuth reden. Er war Literaturkritiker und zeitweise Herausgeber des Tagesspiegels.
Das ist kein Problem, mache ich sehr gerne. Er fehlt mir ja.

Wir erinnern uns so: Hellmuth Karasek hatte ein phänomenales Gedächtnis für Menschen und Ereignisse, verlegte jedoch alles.
Er war gut in Geschichten, Anekdoten. Diese Liebe für Poesie habe ich von ihm. Aber im Praktischen war er eher verwirrt, mein Bruder und ich nannten ihn „Konfusio“. Wenn wir in Urlaub fuhren, hat er weder Badehose noch Boxershorts eingepackt. Um nicht zugeben zu müssen, dass er alles vergessen hatte, sagte er: „Ach, das kann ich im Hotel-Shop kaufen.“

Haben Sie die Schusseligkeit von ihm geerbt?
Ja, ich verliere alles, bin ziemlich tollpatschig. Ich will mein Fahrrad am Baum anschließen, kette aber nur den Baum an. Natürlich fand ich meinen Vater wegen dieser Ungeschicklichkeiten auch süß. Und wir haben immer aufeinander aufgepasst.

Sie waren nicht sauer, als er vergessen hatte, Sie zu Ihrer Hochzeit abzuholen?
Nein. Ich weiß noch, wie ich auf ihn wartete, im Kleid und frisiert, noch ein wenig müde vom Polterabend. Meine Schwiegermutter stand unterdessen vor der Kirche, mein Vater kam, und sie fragte: „Hellmuth, was machst du hier?“ Schließlich fuhr mich meine Schwägerin. Er war völlig aufgelöst, als ich eintraf. Hat mich zum Altar geführt und die ganze Zeit geschluchzt. Das ist natürlich gemein, weil es so ansteckend ist. Er hat mich permanent gerührt. Mich bewegt auch fast alles. Ich bin eine menschliche Operette.

Hellmuth Karasek war von 1988 bis 2001 Mitglied des Literarischen Quartetts, Sie moderieren nun eine eigene Talkshow bei ZDF Neo …
… mein Vater hat viel geredet. Er konnte ein großes Wissen abrufen und wunderbar Witze erzählen. Ich rede auch gern, oft aus Verlegenheit. Stille muss man aushalten können. Ich wäre so gerne geheimnisvoll, aber leider kann ich mich nicht immer beherrschen.

Grün auf dem roten Berlinale-Teppich: Laura Karasek.
Grün auf dem roten Berlinale-Teppich: Laura Karasek.

© imago images/Future Image

Bei Ihrem Fernsehauftritt bei „TV Total“ 2013 gab Stefan Raab zu, dass er Ihr Buch gar nicht gelesen hatte und befragte Sie nur zu Sexszenen darin.
Ich wollte einmal diese Showtreppe runtergehen, das war es wert. Da waren so tolle Leute vor mir gewesen: Musiker, Komiker, Schauspieler, die ich bewunderte. Ich glaube, die Zuschauer waren schockiert. Da sitzt eine blonde junge Frau, und es geht um Sex – literarisch zwar, aber dennoch! Herrjemine! Das war für die undenkbar damals.

Nach dem Auftritt wurden Sie in den sozialen Netzwerken wüst beschimpft. Hat Ihnen das wehgetan?
Na ja, ich habe eine Hassliebe zu Social Media entwickelt. Ich bemühe mich, verschwende Zeit und kriege einfach nicht immer das zurück, was ich will, haha, aber Facebook und Instagram haben durchaus gute Seiten.

Auf Instagram folgen Ihnen 17.000 Menschen.
Da kommentieren die Leute entweder total freundlich oder schicken sofort Dickpics. Mit Nachrichten wie: „Hey, bist ja eine Heiße.“ Und ganz viele Fetischisten tummeln sich da! Wenn ich im Sommer mal was Schulterfreies trage, fragen die: „Könntest du noch mal deine Achselhöhle zeigen?“ Andererseits freut mich die Komplizenschaft unter Frauen. Unbekannte schreiben mir, unterstützen mich. Früher hätte man sich nie kennengelernt, heute haben wir die Möglichkeit, uns mitzuteilen, was wir voneinander halten. Ich nutze Instagram auch, um meine Schwärmerei auszuleben.

Für wen?
Für Kathrin Weßling, Charlotte Roche, Carolin Kebekus und Martina Hill. Ich liebe Phoebe Waller-Bridge von „Fleabag“, Jennifer Aniston, Ellen deGeneres. Uns Frauen wurde viel zu lang beigebracht, wir seien stutenbissig. Unfug. Als ob es nicht Platz für viele erfolgreiche Frauen gäbe.

Beste Freundin oder viele Freundinnen?
Eine einzige Freundin muss nicht alles abdecken. Nicht jeder Mensch muss alles können. Ich bin zum Beispiel nicht diejenige, die was Gekochtes vorbeibringt. Aber ich kann stundenlang bei Liebeskummer zuhören und beruflichen Rat geben. Wenn es um Machtspiele, Gefühle, Trost geht, bin ich die Richtige. Das ist vielleicht meine Qualität: Es gibt keinen selbstgebackenen Kuchen von mir – aber dafür aufrichtigen Austausch.

Kritiker unter sich: Hellmuth Karasek (Mitte) mit Iris Radisch und Marcel Reich-Ranicki.
Kritiker unter sich: Hellmuth Karasek (Mitte) mit Iris Radisch und Marcel Reich-Ranicki.

© dpa

Auf Datingportalen wären Sie ein Star.
Die gab es leider erst, als ich schon liiert war. Gnade der frühen Geburt sozusagen.

Lesen Sie bei Freundinnen mit?
Klar, neulich habe ich einer Nachrichten diktiert, die so einen Tinder-Typen toll fand und nicht wusste, was sie ihm schreiben soll. Irgendwas Schlüpfriges, aber mit Humor! Keine Zwinkernachrichten à la: „Hey, na, du auch hier?“ Denk dir was Eigenes aus. Und niemals Emojis.

Warum nicht?
Dass Leute sich für Sexdates verabreden, indem sie eine Aubergine verschicken, ist eine unglaubliche Verkürzung und Verblödung. Schade für Sprache und Wortwitz. Allerdings funktioniert Ironie auf Social Media nur mittelgut. Neulich habe ich beim Joggen gepostet: „Ich laufe jetzt schon seit drei Minuten, wann kommt endlich dieses Runner’s High?“ Da schreiben mir Leute ernsthaft: „Halte durch, Laura, du schaffst es!“ Ohne Lach-Emoji funktioniert heute online kein Witz mehr.

Hat Ihr Vater noch Smileys verschickt?
Wenn ich am Laptop saß, fragte er: „Ist das ein Facebook?“ Er schrieb mit einem lila Füller.

Sie haben einmal gesagt, Ihr Ehemann, ein Unternehmer, erinnere Sie an Ihren Vater. Inwiefern?
Moment, ich habe auf keinen Fall meinen Vater geheiratet. Mein Mann ist strukturiert, organisiert, aufmerksam – aber dann doch ein Genussmensch.

Er kocht gern?
Können wir beide nicht. Im Gegensatz zu meinem Vater: Ossobuco, Hähnchen im Ofen, richtig aufwändige Gerichte, die ewig brauchten, da war er ehrgeizig. Crème légère? Niemals. Crème double im Achterpack und Butter! Für ihn gab es keine Diät, ich glaube, weil er im Krieg gehungert hat. Am Wochenende stand er um fünf Uhr morgens auf, um den Braten vorzubereiten. Er hat natürlich auch so gern gekocht, weil für ihn zum Abschmecken ein Glas Wein gehörte. Bei uns spielte Alkohol schon eine Rolle. Er war Teil des Lebensgefühls, des Debattierens und diente als Versicherung, am Leben zu sein.

Nachteule am Tag: Laura Karasek.
Nachteule am Tag: Laura Karasek.

© Mike Wolff

Und Ihre Mutter …
… hat immer aufgepasst. Sie mag gar keinen Alkohol, war viel strenger als mein Vater, hat mehr dafür gesorgt, dass aus uns Kindern etwas wird, dass wir Klavier üben. Mein Vater war ein guter Gesprächspartner, doch er hat nicht über die Hausaufgaben geschaut oder sich die Namen unserer Lehrer gemerkt. Er war für die großen Fragen zu haben: Liebe, Leben, Ängste, Wünsche. Diese Kindheit in den 90er Jahren: Da schien alles noch so unverdorben, wir haben Liebesbriefe gefaxt und Kassetten mit Hörspielen aufgenommen.
Inzwischen sind Sie selbst Mutter von Zwillingen.
Da gibt’s ganz andere gesellschaftliche Zwänge. Ich habe Freundinnen mit einem kleinen Kind, die sagen: „Ich würde gerne heute Abend was trinken, aber lass uns das lieber bei mir zu Hause machen, sonst gucken mich die Leute komisch an.“ Mütter werden anders bewertet als Väter. Wir Frauen erleben noch immer viel Unterdrückung, Sexismus, Vorurteile. Ich lese das ja auch ständig: „Wer ist bei den Kindern, wenn du so viel arbeitest?“ – „Wieso trägt sie so viel Lippenstift, die hat doch was in der Birne!“ – „Du siehst gar nicht aus wie eine Mutter!“ Man muss sich dauernd rechtfertigen.

Sie haben Jura studiert, zwei Staatsexamen, sieben Jahre in einer Wirtschaftskanzlei gearbeitet. Trinken Juristen anders als Kulturschaffende?
Juristen tut man total unrecht. Es gibt lustige unter ihnen. Ich habe sie getroffen. Ehrlich! Die sind geistreich, können argumentieren, prahlen aber auch mal mit den dicksten Deals, die sie gerade gemacht haben. Ich lebe in Frankfurt, Angeberei ist da okay. Manchmal ist diese angestrengte Bescheidenheit viel anmaßender. Als ich in der Kanzlei anfing, legte man immer zwei Blackberrys auf den Tisch. Man war unersetzlich und ließ um 23 Uhr das Licht brennen, wenn man aus dem Büro ging. Der Chef sollte denken, man sei nur kurz unten eine rauchen. Bloß nicht zu Hause sein! Jacke über dem Stuhl hängen lassen.

Der Chef ist dann doch selbst daheim.
Meiner war die totale Nachteule, was ich geliebt habe. Ich halte es mit Udo Lindenberg: „Die Angebote des Vormittags sind zumeist recht unerfreulich.“ Ich schreibe und arbeite lieber nachts. In der Kanzlei hat mir das überhaupt nichts ausgemacht. Ich kann bis fünf Uhr morgens an einem Schriftsatz sitzen. Was ich hingegen grauenvoll finde: vor neun Uhr morgens aufzustehen.

Geht das mit Kleinkindern?
Meine schlafen Gott sei Dank gut. Und wenn sie im Kindergarten sind, schlummer’ ich manchmal ein bisschen. Ich bin nach wie vor lange wach und schreibe. Ich arbeite einfach gern, kann gar nicht gut chillen.

Eine der Frauen, der Laura Karasek folgt: Charlotte Roche.
Eine der Frauen, der Laura Karasek folgt: Charlotte Roche.

© dpa

In Ihrem Roman haben Sie auch die Frühgeburt Ihrer Zwillinge verarbeitet.
Meine Kinder stehen ansonsten nicht in der Öffentlichkeit. Aber ich finde es wichtig, dass man auch Tiefpunkte thematisiert. Und wir hatten wahnsinnig schwere Stunden auf der Neonatologie. Da schrieben mir Freundinnen ernsthaft: „Ja, am Anfang fand ich es auch hart mit den Kindern, so wenig Schlaf.“ Verdammt noch mal, mir ging es nicht schlecht, weil ich unter Schlafentzug litt und nicht zum Pilates-Kurs konnte, sondern weil ich Zwillinge mit Schläuchen in der Nase und Magensonden betreute. Und übrigens, mein Vater hat gerade Krebs bekommen. Ich wollte einfach den Frauen, die Ähnliches erlebt haben, sagen: „Ihr seid nicht allein.“ Es ist eben nicht selbstverständlich, ein gesundes Kind auf die Welt zu bringen. Das Thema Mutterschaft wird bei uns generell zu sehr glattgebügelt.

Wie meinen Sie das?
Alle posten diese Fotos, ach, es ist so schön, schwanger zu sein. Nein! Es kann auch verdammt schwierig sein. Viele können gar nicht so leicht schwanger werden. Auch das steht in meinem Roman: Was macht so ein Kinderwunsch mit einer Beziehung? Wir müssten alle viel ehrlicher mit Schwächen und Defiziten umgehen. Nicht immer stark oder unnahbar tun. Der Mensch ist ein widersprüchliches Wesen – er hat Abgründe, er hat Ängste.

Sie schrieben: „Ich war wütend aufs Frausein. Ich war wütend auf die Natur und auf meinen Magen.“
Einer Schwangeren fehlt die Geschwindigkeit. Mein Körper war gekidnappt, ich habe mich selber nicht erkannt. Mir war schwindlig und dauernd schlecht. Aber ich würde es wieder tun. Das Ergebnis zählt.

Die Geburt der Kinder und der Tod Ihres Vaters haben Sie dazu gebracht, Ihre berufliche Karriere zu hinterfragen?
Ich habe gedacht, ich kann nicht ewig mit meinen Träumen warten. Bei meinem Vater ging es so schnell. Diese kurze Spanne zwischen „Ich stehe noch voll im Saft“ und „Ich bin todkrank und zerfalle“. Das waren wenige Wochen. Ich werde die Sorgen aller Eltern, Liebenden und Verletzten für immer verstehen. Zum Glück hatte mein Vater beruflich ein unglaublich erfülltes Leben.

Hilft ihren Freundinnen beim Tindern: Laura Karasek.
Hilft ihren Freundinnen beim Tindern: Laura Karasek.

© picture alliance/dpa

Musste er erst sterben, damit Sie in die Medien gehen?
Ich glaube, die Sehnsucht war immer da. Natürlich brennt mein Herz von Hause aus nicht für das Bürgerliche Gesetzbuch. Wie schade, dass mein Vater meine Fernsehkarriere nicht mehr miterlebt. Eine eigene Sendung! Das hätte ihm gefallen. Ich würde ihn manchmal gern um Rat bitten, ihn fragen, ob er stolz ist.

Er hat angeblich schon geweint, als Sie ihm mittelmäßig Chopin vorgespielt haben.
Wir hatten dieses besondere Füreinander, dass wir uns einander viel verziehen haben. Kein Mensch hat mich so sehr verletzt wie mein Vater. Er konnte laut sein und einen messerscharf treffen: „Ah, was für ein Dreck!“ Man dachte, oh Gott, ich bin der dümmste Mensch auf der Welt. Aber er hat mich auch angehimmelt und vergöttert – das war für die Jungs aus meiner Klasse damals eher von Nachteil. Zu Hause wurde mir schließlich applaudiert. Ich finde es auch traurig wegen der Enkel. Ich hätte ihn gern als Großvater gesehen, wie er ihnen vorliest. Oder wäre mit ihm und den Kindern in die Oper und in Konzerte gegangen. Ich bin schon als Vierjährige mit ihm zu den Salzburger Festspielen gereist.

Durch ihn haben Sie später Take That kennengelernt.
Und die Backstreet Boys! Ich habe ihn schamlos ausgenutzt. Nein, Quatsch, es hat einfach Spaß gemacht, ihn zu begleiten. Man muss als Kind die Zeit mit seinen Eltern nutzen – leider merkt man oft erst spät, wie begrenzt sie ist. Auch wenn er emotional war oder laut. Für mich war er der Größte! Es nervt, dass er nicht mehr da ist.

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