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Prunk schützt vor Unrast nicht: das Bett von Nachtwandler Ludwig II. in Neuschwanstein.

© Bayrische Schlösser

Schlaftherapie in Füssen: Im Bett mit Ludwig II.

Der Bayer machte gern die Nacht zum Tag – auch deswegen haben sich Gastgeber in Füssen auf die Therapie von Schlafstörungen spezialisiert.

Vom Rücken auf die Seite. Von der Seite auf den Bauch. Und wieder zurück. Rotation um die eigene Achse. Der Schlaf lässt auf sich warten. Also raus auf den Balkon. Ein bisschen frische Luft in der winterlichen Nacht, in der das fahle Licht vom Schnee reflektiert wird.

Deutlich erkennbar zeichnet sich Schloss Neuschwanstein gegen die steil aufragende Berglandschaft Schwangaus ab. Guten Abend, gute Nacht, lieber Mondkönig.

Auch Ludwig II. litt unter Schlaflosigkeit, wandelte in der Finsternis durch seine Schlösser. Oft zog er sich dann in seine Traumwelt zurück, ließ nächtliche Ausritte und Schlittenfahrten organisieren. Ich aber stehe hier allein. Ohne tröstenden Hofstaat.

So geht das seit Jahren. Mal besser, mal schlechter. Mal schlummere ich nicht ein, bis zum Morgengrauen. Mal wache ich auf, vor dem Morgengrauen. In Füssen, so sagte man mir, könne man helfen.

Im Ostallgäu liegt die malerisch eingebettete Stadt am Fuße mächtiger Steinformationen, umflossen vom jadegrünen Wasser des Lech. Gemeinsam mit Wissenschaftlern der Ludwig-Maximilian-Universität München hat der Kneippkurort in den letzten Jahren erforscht, wie sich die Schlafqualität verbessern lässt.

Herausgekommen ist ein Programm zwischen Wasser, Bewegung, Ernährung und Heilpflanzen. „Gesunder Schlaf durch innere Ordnung.“ Drei Wochen dauert das. Drei Tage bin ich vorerst hier.

Auch tagsüber eine Wucht: Schloss Neuschwanstein.
Auch tagsüber eine Wucht: Schloss Neuschwanstein.

© dpa

In den vergangenen Jahren habe ich viel ausprobiert: Meditationsapps heruntergeladen, Ratgeberliteratur gekauft, eine Gebissschiene gegen das nächtliche Zähneknirschen besorgt.

Wie peinigend Insomnie sein kann, hat der Philosoph Theodor W. Adorno einmal beschrieben: „Entsetzen aber bereiten schlaflose Nächte, in denen die Zeit sich zusammenzieht und fruchtlos durch die Hände rinnt. (…) Ähnlich mag dem zum Tode Verurteilten die letzte Frist unaufhaltsam, ungenützt verstreichen.“

In dieser, meiner ersten Nacht hilft nichts. Der Blick fällt auf die Uhr. Es ist schon eins. Dann halb zwei, schließlich zwei. Wenn ich bis drei nicht schlafe, fährt es mir durch den Kopf, werde ich mein straffes Programm am Folgetag nicht durchhalten. Aber da ich schon einmal wach bin, kann ich die Gelegenheit nutzen, noch E-Mails zu beantworten.

Fast die Hälfte aller Menschen in Deutschland leidet unter Schlafstörungen. 80 Prozent der Berufstätigen zwischen 35 und 65 Jahren geben an, unruhig zu schlafen. Die Anforderungen an das moderne Arbeitssubjekt scheinen mit innerer Ausgeglichenheit vielfach nicht vereinbar zu sein.

Rhythmus und Rituale

Frühstück mit Psychologe. Meine erlahmte Gestik, die karge Wortwahl und die fahrige Aufmerksamkeit scheinen Sascha Maurer am Tisch des Hotelrestaurants nicht entgangen zu sein.

Er ist Mitte 50, seine sanfte, buddhahafte Ausstrahlung beruhigt. „Wie haben Sie geschlafen?“ Die Augenringe über meiner Kaffeetasse geben die Antwort. Ein klassischer Patient sei ich. Hektischer Job. Entgrenzte Arbeits-, unregelmäßige Schlafzeiten. Viel Verantwortungsgefühl. Keine Schlafhygiene.

Seine Ausführungen sind mit R-Worten gespickt: Rhythmus, Rituale, Regelmäßigkeit, Reflektion, Ressourcen, Regulation. Und ganz wichtig: Rüstzeug, psychisches Rüstzeug.

Denn Chronos, der Hüter der Zeit, gibt er mir zum Abschied noch mit, habe nur tagsüber eine Funktion. „Am Tag löse ich die Probleme, in der Nacht löse ich mich von den Problemen.“ Das Tages-Ich nickt brav. Nur wie verklickere ich das meinem Nacht-Ich?

Die Stadt Füssen will schläfrig machen - mit einem extra aufgelegten Programm.
Die Stadt Füssen will schläfrig machen - mit einem extra aufgelegten Programm.

© Promo

Vor dem Fenster maunzt die Hotelkatze in der Sonne. Hinaus in die Allgäuer Schlossparks, wo Gesundheitspädagogin Claudia Ziegler die Wanderstiefel schon geschnürt hat. Eine zweistündige achtsame Bewegungseinheit um den Schwansee.

Um die Gedankenkreisel zu stoppen, helfe es, sich beim Laufen im Außen zu verankern. Ihr Rezept: In der Natur nach herzförmigen Objekten suchen. Da, ein Stein. Hier, eine gebogene Wurzel.

Dann die Serpentinen hinauf zum Pindarplatz, wo der Blick auf den 62 Meter tiefen Alpsee fällt. Sein Wasser schimmert in fantastischen Blautönen. König Ludwig II. soll ihn oft durchschwommen haben. Zwei Kilometer am Stück. Er scheute das kühle Nass nie, und doch beendete es später sein Leben.

Nasse Füsse und Schlaffibel

Der Hydrotherapeut Sebastian Kneipp predigte: „Im Wasser liegt Heil; es ist das einfachste, wohlfeilste und – recht angewandt – das sicherste Heilmittel.“ Kaltes Wasser am Morgen kurbelt den Kreislauf an.

Und hilft beim Einschlafen, erklärt Ziegler. Ob Wassertreten, das kalte Fußbad, der Knieguss. Die Körpertemperatur sinkt, die Energie verschiebt sich weg vom Kopf. Immerhin: Nasse Füße habe ich bereits.

Die Schneeschmelze hat den englischen Landschaftspark in ein Meer aus Pfützen verwandelt. Vorbei an mächtigen Bäumen, die beim Wanderer den Eindruck von Größe und Weite der Anlage erzeugen sollen, schlittern wir achtsam zurück zum Parkplatz.

Die Beine brennen von innen und sind nass von außen, als ich ins Bett steige. Zweiter Versuch. Mit Kneipp und ohne Smartphone. Das liegt im Bad. Auch, weil das blaue Bildschirmlicht dem Körper Tagesanbruch signalisieren soll.

So steht es in der hoteleigenen Schlaffibel. Und: Keine Deckenlampen mehr, nur sanftes Licht von unten. Der Höhlenmensch in uns erkenne Lagerfeuer und Abendrot darin: „Das rötlich gedämpfte Licht des Sonnenuntergangs trifft auf Ihre Augen. Die Photorezeptoren der Netzhaut. Die Zirbeldrüse schüttet Schlafhormone aus. Sie werden müde. Die Augen fallen zu.“

Vier Stunden später sind sie wieder auf. Die Affenbande rast durch den Kopf. Götter der Nacht, was wollt Ihr denn noch?

Ach, herrje. Wer kann bei diesem Mond schon ordentlich ruhen?
Ach, herrje. Wer kann bei diesem Mond schon ordentlich ruhen?

© Promo

Frühstück mit Arzt. Für viele sei Schlaf heute kein Geschenk mehr, eher eine lästige Pflicht, sagt er. Wie das mit unangenehmen Dingen so ist, soll die Regeneration vor allem eins sein: kontrollierbar und effizient organisiert. Licht aus, dann muss es auch klappen.

Da hat mich Martin Beyer ertappt. Als Arzt hat er die Studien zum Schlafprogramm begleitet. Ergrautes Haar, sportlicher Typ, einnehmender Charakter.

Ausgeschlafen sitzt er an diesem Morgen im Café am Hopfensee und redet über Chronotypen, die biologische Uhr in uns. Über die Ränder seiner Brille mustert er mich: „Sind Sie Lerche oder Eule?“ – „Ich bin müde.“

Die Menschheit habe dem individuellen Schlafbedürfnis den Krieg erklärt, fährt Beyer fort. Viele Mythen kursierten dabei: „Acht Stunden Schlaf sind Norm.“

Quatsch sei das, sechs bis sieben Stunden reichen vielen. Stattdessen werde der Schlaf in wirtschaftliche und gesellschaftliche Vorgaben gepresst. Die wenigsten könnten heute nach ihrem Biorhythmus arbeiten. Vielleicht, schießt es mir durch den Kopf, bin ich ja eine Eule? Ein kleiner Mondkönig, wie Ludwig.

Also hinauf zum Schloss. Das Prunkbett Seiner Majestät im neogotischen Stil ist mit blauer Seide versehen. Bestickt mit Löwen, Schwänen, Kronen und Lilien.

Am Baldachin über Ludwigs Bett haben 15 Holzschnitzer vier Jahre lang gearbeitet. Auf dem Waschtisch spendet ein versilberter Schwan Wasser.

Bei aller Burgenromantik wollte der König jedoch nicht auf die neuesten technischen Raffinessen verzichten, ließ eine batteriebetriebene Klingelanlage und Telefonleitungen installieren. Ende des 19. Jahrhunderts machte die Elektrifizierung die Nacht zum Tage. Und was macht das mit uns Menschen?

Ein Kopfkissen mit Zirbelholzduft

Eine Nacht habe ich noch. Finale. Schlussspurt. Klimax. Beinahe die Hälfte aller Teilnehmer einer Studie haben auch ein halbes Jahr nach Beendigung des Programms angegeben, deutlich besser zu schlafen.

Also Rückenlage einnehmen. Sie gilt unter Schlafforschern als Königsposition. Die gerade und entspannte Haltung schont Kopf, Nacken und Wirbelsäule. Schmerzhafte Verspannungen werden vorgebeugt.

Ich hatte heute Bewegung und frische Luft, einen Saunabesuch mit Aufguss, nur Salat zum Abendbrot, der Kräutertee steht durchgezogen neben dem Bett, die Raumtemperatur ist auf unter 20 Grad gesenkt. Die wichtigsten Sorgen für den kommenden Tag sind notiert. Ich durfte mir sogar aus der Kopfkissenkollektion des Hotels ein Polster mit Zirbenholzduft aussuchen.

Der Druck steigt. Es ist schon eins. Dann halb zwei. Und schließlich zwei. Ich ziehe das Ohropax aus den Gehörgängen, reiße die Schlafmaske von den Augen. Weit öffne ich die Balkontür.

Da sind wir wieder. Die Dunkelheit und der Mond, die schweren Augenlider und das Gähnen. Guten Abend, gute Nacht, lieber Mondkönig. Bereit für ein Abenteuer?

HINKOMMEN
Mit der Bahn nach Füssen ab 30 Euro. Mit dem Flugzeug ab Berlin nach Innsbruck ab 40 Euro.

UNTERKOMMEN
Wellness-Hotel Sommer, Doppelzimmer pro Nacht ab 230 Euro. Hotel Filser, Doppelzimmer pro Nacht ab 130 Euro.

RUMKOMMEN
Besuch Schloss Neuschwanstein inklusive Audioguide, 13 Euro für Erwachsene. Führung in der historischen Altstadt für Gruppen bis 25 Personen, pauschal 80 Euro. Weitere Informationen zum Präventionsprogramm „Gesunder Schlaf durch innere Ordnung“ auf www.fuessen.de.

Die Reise wurde unterstützt von Füssen Tourismus und Marketing.

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