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Mit dem Ende der Inflation im November 1923 sind Milliarden Reichsmark nur noch Pfennige wert. Hier werden Banknoten zur Verbrennung vorbereitet.

© Ullstein-Bild

Inflation 1923: Ein Ei für 320000000000 Mark

Ein deutsches Trauma: die Inflation von 1923. Steckt uns das in den Genen? Unser Autor schaut in die Geschichte seiner Familie

Von Andreas Austilat

Geld wird so billig wie nie. So war es vergangene Woche zu lesen, nachdem Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, verkündet hatte, der Leitzins werde gesenkt. Jetzt steht er tiefer denn je, bei 0,25 Prozent. Damit verbunden ist ein Bild, das gerade in Deutschland für einige Unruhe sorgt: Die Notenpresse wird angeworfen, weil mehr Geld in Umlauf kommen könnte, wenigstens theoretisch. Wenn Deutsche das Wort Notenpresse hören, ist schnell von einem Trauma die Rede: der großen Hyperinflation, die vor 90 Jahren mit der Einführung der Rentenmark zu Ende ging. Der Preis allein für ein Frühstücksei war da bereits auf 320 Milliarden Reichsmark geklettert, nun kostete es nur noch 32 Pfennige, dafür waren alle Sparguthaben wertlos. Nur, wer hat das schon erlebt? Meine Oma zum Beispiel, die war dabei. Draghi weiß um die Sensibilität in Deutschland, versichert stets: Die Preise sind stabil. Obwohl das Geld billiger wird, kann von Inflation keine Rede sein. Kritiker halten ihm vor, die Sparvermögen lösten sich derzeit trotzdem auf, weil sie nur noch gering verzinst werden. Doch das Geld der EZB kommt in der Realwirtschaft nicht an, statt der Preise treibt es die Aktienkurse. „Inflation“. Interessanterweise ist es kein Deutscher, sondern der britische Historiker Frederick Taylor, der kürzlich das jüngste Werk mit diesem Titel vorgelegt hat. Im Original heißt es wörtlich übersetzt: „Der Untergang des Geldes. Die deutsche Hyperinflation und die Zerstörung der Mittelschicht.“ Auch Taylor spricht von einem Trauma, das den Deutschen gewissermaßen in den Genen steckt. Das wirke bis heute nach. Augenzeugen jener Inflation sind heute rar. Zumal diese lange vor 1923 bereits im August 1914 begann, als Deutschland mit großer Begeisterung in den Ersten Weltkrieg zog.

Die Kriegsgegner Großbritannien und Frankreich versorgten sich auf den internationalen Finanzmärkten mit Krediten – vor allem in den vorläufig neutralen USA. Das Kaiserreich deckte seinen Finanzbedarf bei der eigenen Bevölkerung – mit der neuen Kriegsanleihe. Patriotisch gesinnte Deutsche erwarben die Papiere, nach Ablauf sollten sie nicht nur ihr Geld zurückbekommen, sondern zusätzlich bis zu fünf Prozent Zinsen. Gleichzeitig gab die Reichsbank den Goldstandard auf. Bis dahin hatte Deutschland, wie alle anderen Industrienationen damals auch, garantiert, dass sein zirkulierendes Papiergeld durch hinterlegtes Gold gedeckt sei. Zu diesem Zeitpunkt lag der Kurs des Dollars bei eins zu 4,20 Reichsmark. Ich bin nicht sicher, was meine Oma, und sie könnte mir tatsächlich ein Inflationstrauma vererbt haben, von all dem mitkriegte. Fragen kann ich sie nicht, sie ist 1987 in ihrem 90. Lebensjahr verstorben. Bis dahin hat sie jedoch einiges erzählt, und ich war alt genug, ihr zuzuhören. Außerdem hat sie ein paar Banknoten hinterlassen, Reichsmark-Scheine mit sehr vielen Nullen. Frida Jahn, wie sie vor ihrer Heirat hieß, war bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges 17 Jahre alt und gelernte Kaltmamsell, was einer Fleischfachverkäuferin nicht direkt entspricht, aber sie hat in einer Metzgerei gearbeitet. Sie war ohne Frage patriotisch. Schon, weil sie einen Matrosen zum Freund hatte, damals etwas Besonderes. Sogar Kinder trugen voller Stolz Matrosenanzüge. Allerdings ging ihr Seemann gleich im ersten Gefecht 1914 bei Helgoland unter. Sein Mützenband besaß sie noch ziemlich lange. Ob sie Kriegsanleihen kaufte, weiß ich nicht. Ziemlich sicher hat sie welche gedruckt. 1916 fing Frida nämlich in der Reichsdruckerei an, als es nicht mehr so viel Fleisch zu verkaufen gab. Der Betrieb befindet sich heute noch in Kreuzberg, er heißt inzwischen Bundesdruckerei. Gedruckt wurden Geldscheine und Briefmarken, auch Staatspapiere. Nebenbei lernte sie dort Erich Austilat kennen, meinen Opa. Doch der wurde zum Kanonier umgeschult und in den Krieg geschickt. Er versprach, jeden Tag zu schreiben. Im Reichstag erklärte derweil der konservative Abgeordnete Karl Helfferich, wie man sich das mit der Rückzahlung vorzustellen hatte: „So wie die Dinge liegen, bleibt vorläufig nur der Weg, die endgültige Regelung der Kriegskosten durch die Mittel des Kredits auf die Zukunft zu schieben.“ Dann würde der unterlegene Gegner zahlen müssen. Natürlich sah der Gegner das umgekehrt genauso. Obwohl die Nahrungsmittelversorgung in Deutschland im Winter 1916/17 vor dem Zusammenbruch stand, hielt der deutsche Optimismus erstaunlich lange an. Im September 1918 wurde die neunte und letzte Kriegsanleihe erfolgreich verkauft. Der Wert der Mark hatte sich im Verhältnis zum Dollar auf 8,20 zu eins beinahe halbiert. Zwei Monate später war der Krieg verloren. Deutschland hatte er ungefähr 160 Milliarden Goldmark – also Vorkriegsmark – gekostet. Dazu kam die Rechnung, die der Gegner aufstellte. Allein Frankreich hatte die Besetzung und Verwüstung weiter Teile seines Landes hinnehmen müssen. Entsprechend hart waren die Friedensbedingungen. Die Handelsflotte war abzugeben, Eisenbahnen ebenso, Kohlen und Holz auch, Deutschland wurde 13 Prozent kleiner. Über die Höhe des zu leistenden Schadenersatzes wurde jahrelang gefeilscht, was nicht zur Beruhigung der Lage beitrug. Und dann waren da noch sieben bis acht Millionen Männer. Die wollten nach Hause, gern wieder einen normalen Job, und sie waren immer noch bewaffnet. Unter ihnen Erich Austilat, verwundet, verlaust und lungenkrank. Er hatte nicht jeden Tag, aber ziemlich oft geschrieben und heiratete Frida. Es gab nicht viele Politiker in Deutschland, die es in jener Zeit an die Macht drängte. Monarchisten und Reaktionäre hatten versichert, der Krieg sei verloren – auch wenn sie das schnell wieder vergaßen. Der Kaiser floh ins Exil. Den Sozialdemokraten fiel die Macht zu, weil sie sonst keiner haben wollte. Ihren Anhängern hatten sie immer versprochen, es würde ihnen besser gehen, wenn Arbeitervertreter das Sagen hätten. Es waren denn auch weder Polizei noch Militär, die die junge Republik zwei Jahre später vor einem rechten Umsturz retteten. Es waren Arbeiter, Angestellte und Beamte, die einfach nicht mehr zur Arbeit gingen, als Wolfgang Kapp mit seinen Freikorpsleuten die Regierung in Berlin verhaften und stürzen wollte. Fünf Tage später verschwand Kapp. Blieb das schwer einzulösende Versprechen, es würde den Arbeitern besser gehen. Die frühen Nachkriegsjahre brachten für sie einige Wohltaten: Die Mietpreisbremse wurde erfunden, der Acht-Stunden-Tag eingeführt (bei Sechs-Tage-Woche), die Löhne erhöht. Das Geld dafür wurde rund um die Uhr gedruckt. Frida, die jetzt Austilat hieß, arbeitete inzwischen auch Nachtschicht. Sebastian Haffner, Chronist jener Jahre und 1920 13 Jahre alt, bezahlte für seine erste Zigarette 50 Pfennige, ein Dollar war mittlerweile 42 Mark wert, zehnmal so viel wie zu Beginn des Krieges. Das Erstaunliche war, dass das deutsche Bruttosozialprodukt zunächst keineswegs sank, im Gegenteil. Zwar war die Mark im Ausland immer weniger wert, dafür boomte der Export. Während Großbritannien und Frankreich eisern sparten, um ihre Kriegskredite an die USA zurückzuzahlen – Frankreich wandte dafür die Hälfte seiner Staatsausgaben auf, wie der Historiker Frederick Taylor vorrechnet –, herrschte in Deutschland nahezu Vollbeschäftigung. Im Ausland wurde gestritten, wie arm Deutschland, das hartnäckig alle Schuldzahlungen verschleppte, eigentlich sei. Nicht besonders, konstatierten drei britische Offiziere, die sich 1919 zum Zwecke der Recherche im Adlon einquartierten und für ihre harten britischen Pfund fürstlich bewirtet wurden. „Es gibt alles“, schrieben sie in ihr Memo und gingen ins Kabarett, „wo eine Menge von Männern und Frauen tanzten und extrem teuren Wein tranken.“ Es gab Verlierer. Die Kriegswitwen und -waisen, die Invaliden, die einbeinig, blind oder als „Zitterer“ – so nannte man die im Trommelfeuer Traumatisierten – bettelnd in den Straßen standen. Auch die, die von ihren Ersparnissen zehrten, die täglich weniger wert wurden. Vor allem die Mittelschicht, die Bildungsbürger mit ihren Bankkonten. Sie hatten Grund, diese Republik zu hassen, wie Taylor schreibt. Und es gab Gewinner: Wer über Sachwerte verfügte, wer Schulden machte, die sich von allein auflösten, wer in Aktien der boomenden Unternehmen spekulierte. Es war besser, sich möglichst rasch von seinem Geld zu trennen. Berlin stieg zur Partymetropole auf, eine Stadt, in der scheinbar alles erlaubt war (sogar das Nackttanzverbot fiel), die Mieten niedrig und die Amüsierbereitschaft groß waren. Ausländer, die über harte Währungen verfügten, berichteten, wie billig hier alles wäre. Deutschland wurde vorgeworfen, die Inflation laufen zu lassen. Tatsächlich gab es kaum einen Grund, deutsche Anleihen zu kaufen und die Währung zu stützen. Vor allem, wenn all jene, die versuchten, irgendetwas zu ändern, von Attentätern ermordet wurden: so der Wirtschaftsfachmann Matthias Erzberger, dann Außenminister Walter Rathenau. Allein von Januar bis Oktober 1922 fiel der Kurs der Mark für einen Dollar von knapp 200 auf 4439 Reichsmark. Im Januar 1923 besetzten französische Truppen das Ruhrgebiet als Pfand. Die deutsche Regierung forderte die Bewohner zum Boykott der Besatzer auf. Löhne sollten ebenso weitergezahlt werden wie Verluste der Firmen. Gleichzeitig ging im übrigen Reich mit dem Ausbleiben der Ruhrkohle die Produktion runter. Nun stieg auch die Arbeitslosigkeit. Im Juni kostete ein Ei 800 Reichsmark. Sebastian Haffners Vater, ein Oberregierungsrat, bekam sein Gehalt monatlich. Am jeweiligen Ersten bezahlte er sofort Monatskarte und Miete. Im Morgengrauen ging man zum Großmarkt. „Riesige Käse, ganze Schinken, Kartoffeln zentnerweise wurden in ein Taxi geladen … Noch vor Schulanfang kehrten wir nach Hause zurück, mehr oder weniger für eine einmonatige Belagerung versorgt. Und das war das Ende. Es gab einen Monat lang kein weiteres Geld.“ Wer etwas zum Tauschen hatte, tauschte. Frida bekam von ihrem Erich 80 Gramm Leberwurst zum Geburtstag. Die Wurst hatte er für sein Eisernes Kreuz eingetauscht, den Orden, den er gekriegt hatte, kurz bevor er 1918 lahm geschossen aus der Schlacht in den Argonnen getragen worden war. Frida druckte jetzt an ihrem Arbeitsplatz sehr viel Geld. 130 Druckereien waren damit im Sommer 1923 beschäftigt. Manchmal stempelten sie auf die fertigen Bögen einen neuen Wert, bevor das Geld in Waschkörben davongetragen wurde. „Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen“ wurde einer der populärsten Schlager jener Zeit. Spekulanten kauften solche Häuschen und machten ein Vermögen. Anfang 1923 eröffnete die Flugverbindung Berlin–London. Der Flug dauerte acht Stunden, die Passagiere saßen hinter Seidenvorhängen, bekamen jeder einen Lunchkorb und eine Flasche Wein für die Dame oder eine kleine Flasche Whisky für den Herrn. Die Regierung Gustav Stresemanns stellte den „Ruhrkampf“ ein, er wurde dafür von der Rechten als „Verräter“ beschimpft. Der noch ziemlich unbekannte Adolf Hitler rief am 8. November, zum fünften Jahrestag des Kriegsendes, in München zum Putsch auf – und scheiterte. Am 17. November wurde die Rentenmark eingeführt. Der Dollar stand inzwischen bei eins zu 4,2 Billionen Mark. Den Plan hatte ausgerechnet jener Karl Helfferich entworfen, der im Krieg den Verlierern alle Kosten aufbürden wollte. Die Rentenmark war gedeckt durch Hypotheken und Grundschulden auf Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe. Sie wurde zum Kurs von eins zu einer Billion gegen Reichsmark getauscht und blieb erstaunlicherweise stabil. Die Schulden, die das Deutsche Reich bei seinem Volk hatte, sie betrugen jetzt nur noch 16 Pfennige.

Haffner beschrieb die Hyperinflation später als einen „gigantischen karnevalistischen Totentanz, in dem nicht nur das Geld, in dem alle Werte entwertet wurden“. Allerdings begannen nun auch fünf Jahre, die später als die „Goldenen Zwanziger“ bezeichnet wurden, und die Haffner die einzigen echten Friedensjahre seiner Generation nannte. Waren die Deutschen nun traumatisiert? Der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze sagt: Nicht die Hyperinflation, sondern die 1929 einsetzende Depression brachte Hitler an die Macht. Nachdem die deutsche Regierung aus Angst vor der Inflation auf äußerster Sparsamkeit beharrte, bis sechs Millionen Arbeitslose auf der Straße standen. Und heute? Würde ein Ausscheren aus dem Euro Ländern wie Spanien oder Griechenland eine Hyperinflation bescheren? Oder führt das Festhalten in die Depression bei anhaltend hoher Massenarbeitslosigkeit? Ich habe es versäumt, meine Oma zu fragen, welche Katastrophe des 20. Jahrhunderts für sie die schlimmste gewesen war. Ihr Geld hat sie noch oft verloren. Zuletzt in den 1970ern, als ihr ein windiger Anlageverkäufer Investmentfonds andrehte, die inflationssicher sein sollten, sich jedoch als Schwindel erwiesen. Wenn sie mir eine Freude machen wollte, hat sie mir immer ein Fresspaket mitgegeben. Ich hätte auch einen Geldschein genommen, sie tat lieber Leberwurst rein.

Frederick Taylor , Autor von „Inflation“ (Siedler-Verlag), liest und diskutiert am 20.11. um 19 Uhr 30 in der Urania

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