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Mode: Männer sind anders

Die Berliner Mode wächst. Für Herren ist allerdings eher wenig dabei. Das könnte sich aber bald ändern.

Mode gilt immer noch als Frauenthema. Heiß diskutiert werden nur die Outfits weiblicher Stars auf den roten Teppichen rund um die Welt. Und auch wenn in letzter Zeit diverse neue Style-Magazine für Männer auf den Markt kamen, dominieren doch nach wie vor die Hochglanztitel, die sich an den weiblichen Teil der Bevölkerung richten.

Dieses Missverhältnis spiegelt sich auch in der Berliner Designerszene wider. Viele Labels machen ausschließlich Damenmode, manche bieten Kollektionen für beide Geschlechter an, aber nur wenige konzentrieren sich auf Herren.

Dabei scheint sich doch in den vergangenen Jahren das Modebewusstsein der Männer vergrößert zu haben. Woran liegt es also, dass so wenige Designer diesen Markt bedienen? Entwerfen sie für Männer nach grundsätzlich anderen Regeln als für Frauen? Und was unterscheidet männliche von weiblichen Fashion-Victims?

Gut beobachten lässt sich das Verhalten von Männern und Frauen beim Modekauf im Shop des Labels Firma in der Mulackstraße in Mitte. Der ist streng symmetrisch aufgebaut, die Damenkollektion auf der linken Seite wird genau so präsentiert wie die Herrenmode auf der rechten. Das passt gut zum klaren, fast unterkühlten Stil der Marke. Carl Tillessen und Daniela Biesenbach, die Köpfe von Firma, zählen zu den Veteranen der Berliner Mode. 1998 gründeten sie ihr Label, zuerst als reine Herrenmarke. Erst seit 2006 machen sie Damenmode.

Tillessen zufolge haben Frauen und Männer grundsätzlich verschiedene Bedürfnisse: „Frauen wollen Defizite kaschieren, Männer zweifeln weniger an sich. Die wollen eher bestimmte Dinge akzentuieren“, lautet seine überraschende Beobachtung.

Typisch sei auch, dass Männer bei Mode – ähnlich wie bei technischem Spielzeug – auf die Sonderfunktionen und Details achten. Funktionalität macht Männern Spaß, deshalb können sie sich mehr als Frauen für die innovativen Materialien begeistern, die Firma für ihre Herrenkollektionen verwenden: „Wenn man einem Mann erzählt, dass ein Stoff mit Teflon beschichtet ist, sagt er: Oh, das ist spannend. Eine Frau denkt: Ich bin bisher ganz gut ohne ausgekommen – und ich bin ja auch keine Bratpfanne.“

Außerdem, sagt Tillessen, geht es Männern zumeist darum, eine bestimmte, feste Identität auszudrücken. Frauen sind spielerischer, sie probieren gern verschiedene Rollen aus und haben daher oft auch ganz unterschiedliche Kleidungsstücke im Schrank.

Diese unterschiedlichen Ansprüche von Männern und Frauen spielen eine wichtige Rolle beim Entwerfen der Kollektionen. Zudem hat Tillessen, was die Herrenmode angeht, auch einen gewissen erzieherischen Anspruch: „Wir wollen Männer dazu bringen, modisch experimenteller zu werden.“

Das mit den klassischen Rollenbildern sieht Thoas Lindner von Butterflysoulfire ganz anders. Seit 2002 macht er zusammen mit Maria Thomas Mode. Anders als bei Firma, wo beide Partner gemeinsam Männer- und Frauenmode entwerfen, sind bei Butterflysoulfire die Kompetenzen klar getrennt. Lindner macht die Herren-, Thomas die Damenkollektion.

Trotzdem ist ihre Mode geschlechterübergreifend homogen. Das liegt nicht nur an der Geistesverwandtschaft der beiden Designer, sondern auch am Entwurfsprozess: „Ich entwerfe meine Teile zuerst, und Maria kann dann in der Damenkollektion darauf reagieren,“ erläutert Lindner. Seine Entwürfe für Männer entsprechen nicht dem klassisch maskulinen Rollenbild; er bezeichnet sie als unisex.

In der aktuellen Kollektion gibt es beispielsweise ein Strickoberteil, das auch gut als kurzes Damenkleid durchgehen könnte. Ausgerechnet das werde aber von Herrenboutiquen gern geordert, erzählt der Designer. Butterflysoulfire findet seine Kunden unter Männern, die ein eher „androgynes Rollenbild“ suchen.

Thoas Lindner sieht sich mit dieser Ausrichtung in einer Nische, für die es durchaus einen Markt gibt. Sein Label sticht aus dem Feld der Männermodemacher heraus, und Lindner hat die Möglichkeit, seine Kreativität auszuleben, und genau das zu entwerfen, was er selbst toll findet. „Unsere Mode lässt sich in keine Schublade stecken. Wir machen Sachen, hinter denen wir selbst stehen.“ Lebendig soll es wirken, das ist ihnen wichtig.

Mit ihren weich fallenden Silhouetten entspricht die fast ganz in Schwarz gehaltene Kollektion so gar nicht klassischen Männermode-Idealen. Einen schlichten Anzug sucht man bei Butterflysoulfire vergebens. Dass er so entwirft, wie er entwirft, erklärt Lindner mit seinem Hintergrund. Die klassische Designerausbildung an einer Modeschule hat er nicht durchlaufen. Das empfindet er nicht als Defizit, ganz im Gegenteil: „Die Modeschulen setzen oft zu früh enge Grenzen, da heißt es von Anfang an, dieses geht nicht, jenes auch nicht, und irgendwann glauben das auch die Schüler selbst.“ Von diesen Regeln hat er sich nie beeindrucken lassen.

Ähnlich ist die Herangehensweise von Wibke Deertz. Mit ihrem Label A.D.Deertz macht sie ausschließlich Männermode. Zusammen mit Daniel Blechmann und dessen Marke Sopopular bildet sie damit eine exklusive Fraktion in der Berliner Modeszene. Sie sind derzeit die einzigen beiden jungen Herrenlabels der Stadt, nachdem von ambitionierten Marken wie IO und qed lange nichts zu hören war.

Dabei hat auch Deertz – noch unter dem Namen ADD – im Jahr 2000 mit Damenmode angefangen, dann Unisex-Kollektionen entworfen, bevor es Zeit für einen radikalen Wandel wurde. Im vergangenen Jahr benannte sie ihr Label um und spezialisierte sich auf Männerkleidung. Ihre Begründung für diesen Schritt ist bemerkenswert: „Ich kann für Männer freier entwerfen, denn bei Damenmode beeinflusst immer auch mein eigenes Körperbild die Entwürfe.“ Ein festes Rollenbild hat sie nicht im Kopf, wenn sie ihre Kollektionen entwickelt. Diese Freiheit rührt auch daher, dass sie wie Thoas Lindner keine klassische Modeausbildung hinter sich hat. Sie studierte bildende Kunst in Washington DC und Utrecht.

„Ich orientiere mich an dem, was meine Bekannten tragen“, erklärt sie. Sie folgt also ebenfalls keinen vorgegebenen Rollenmodellen, sondern bezieht ihre Inspiration aus der persönlichen Umgebung. Entsprechend unprätentiös fallen ihre Entwürfe aus: Ihre Kollektionen verbinden lässige Streetwear-Einflüsse mit subtilen Designideen. Sicher ist sie sich, dass in der Männermode entscheidende Veränderungen bevorstehen. „Heute gehen ganz andere Männer auf Modeschulen, von denen man das nicht erwarten würde.“ Sie geht davon aus, dass es schon bald mehr Männerlabels geben wird. Außerdem seien die Männer, zumindest in Trendbezirken wie Mitte, inzwischen modebewusster und damit offener für innovative Herrenkleidung.

Carl Tillessen ist derselben Meinung: „Früher haben Männer mit ihrer Kleidung auch ihren Karrierestatus zum Ausdruck gebracht. Die passende Uniform war der klassische Herrenanzug.“ Heute, da die traditionelle Berufslaufbahn an Bedeutung verloren hat, bieten sich stattdessen andere Identifikationsmodelle an. „Ein Mann kann sich heute auch darüber definieren, dass er ein guter Vater oder einfach ein guter Kerl ist“, sagt Tillessen. Und diese neuen Wertmaßstäbe spiegeln sich in der Kleidung.

Männern stehen heute vielfältige Rollenvorbilder zur Verfügung, nicht nur das des beruflich erfolgreichen Machers. Darin ähneln sie mittlerweile den Frauen. Doch ein grundlegender Unterschied ist geblieben: Hat sich ein Mann seine Rolle ausgesucht, bleibt er ihr meistens ein Leben lang treu – und damit der entsprechenden Uniform.

Mehr unter: www.firma.net, www.btsf.com und www.addeertz.com

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