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Rechts? Links? Mittendrin? „Freitag“-Verleger Jakob Augstein (links) und Kolumnist Jan Fleischhauer im Gespräch über „Die empörte Republik“.

© ZDF und Harald Schmuck

3sat-Film über Debatten-Deutschland: Mit Rechten reden?

„Die empörte Republik“: Im öffentlichen Diskurs ist vieles unversöhnlich, einiges destruktiv, alles mühsam.

Weimar war ein Wagnis. Aber wenn wir dieses Projekt, das wir im Mai 2019 angingen, ernst nehmen wollten, war Weimar auch eine Notwendigkeit.

Die thüringische Stadt lag im Nebel, als wir [Tim Klimes ist Regisseur des Films „Die empörte Republik: Jakob Augstein unterwegs durch Debatten-Deutschland“, den 3sat am Samstag um 19 Uhr 20 ausstrahlt] in den Hof von Schloss Ettersburg einbogen. Wir waren hierhergekommen, um die ersten Aufnahmen für unsere 3sat-Dokumentation „Die empörte Republik“ zu drehen.

Jakob Augstein, Verleger des „Freitag“ und Co-Autor der Dokumentation, sollte hier mit Karlheinz Weißmann auf einer Bühne sitzen, dem stellvertretenden Vorsitzenden im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, einem Weggefährten von Götz Kubitschek.

Eine Veranstaltung (Titel: „Neue Linke. Neue Rechte. Wohin treibt die Bundesrepublik?“), die im Vorfeld für heftige Reaktionen, vor allem auf Twitter, gesorgt hatte. Mit Rechten reden? Mit Weißmann reden? Geht’s noch? Drei Kilometer Luftlinie von Schloss Ettersburg entfernt liegt die Gedenkstätte des KZ Buchenwald. War das hier wirklich eine gute Idee, dieser Drehtag?

Darf man mit Rechten reden? Muss man es vielleicht sogar? Augstein und ich waren uns im Vorfeld dieses gemeinsamen Projekts nicht bei allem, hier aber besonders einig: Wir können keinen Film über den Zustand der Debatte machen und ausgerechnet das Feld aussparen, an dem sich die Nation scheidet. Wir wollten Gründe finden, warum die Diskussionen in unserer Gesellschaft seit einiger Zeit so unversöhnlich sind, wo die neue Polarisierung herrührt, welchen Anteil das Internet daran hat. Und wie wir aus diesem andauernden Krampf, der sich heute Debatte nennt, herauskommen.

Zu Anfang stand die Prämisse, dass die Zeiten sich unwiederbringlich geändert haben. Früher nahmen gesellschaftliche Debatten ihren Anfang in Redaktionsräumen, die großen Themen wurden in den Blättern aufbereitet und diskutiert, auf dass die Leserinnen und Leser sich ihre eigene Meinung bilden konnten.

So wie die deutsche Gesellschaft nach dem Weltkrieg eine repräsentative Form der Politik erlernt hatte, lernte sie eine repräsentative Form der Debatte, mit Blättern wie „FAZ“ und „Welt“ auf der einen, „Süddeutscher Zeitung“, „Taz“ und „Spiegel“ auf der anderen Seite des Spektrums.

Doch vor etwa zehn Jahren änderte sich das. Mit den Instrumenten aus dem Silicon Valley, mit Facebook, Youtube und Twitter, verschob sich das, was gemeinhin Öffentlichkeit genannt wurde. Die Diskurse öffneten sich für alle, Beiträge wurden nicht mehr nur in der Publizistik kuratiert, sondern vagabundierten durchs Netz. Seitdem ist die Diskursherrschaft der etablierten Medien weitgehend gefallen.

Diese bedeutsame Veränderung ist der Grund dafür, warum in der öffentlichen Debatte vieles so unversöhnlich, einiges so destruktiv und alles so mühsam geworden ist. Es herrscht diskursives Chaos.

Die Schriftstellerin Eva Menasse berichtete in ihrer Dankesrede anlässlich der Verleihung des Ludwig-Börne-Preises von einem Gespräch, das sie mit einem jungen Mann geführt hatte: „Wo ist eure Öffentlichkeit, fragte ich, wenn ihr unsere nicht mehr nutzt. Wo sind die digitalen Wasserstellen, die ihr aufsucht, wenn ihr reden, streiten, verhandeln müsst?“

Auf das Achselzucken des jungen Mannes erwiderte Menasse, sie sehne sich nach der guten alten Zeit, in der das Feuilleton bestrebt war, „alles, was größeren Anklang fand, zu analysieren und zu reflektieren. Man konnte daran glauben, dass es Orte gab, an denen die Zeitphänomene diskursiv aufbewahrt wurden“.

Ein Sturm der Entrüstung brach über ihn herein

Man konnte davon ausgehen, so Menasse, dass diese gedachten Zwischenlager von den Entscheidern, den Vordenkern, den Oppositionellen und all denen, die einfach nur verstehen und sich verständigen wollten, regelmäßig aufgesucht worden seien.

Doch es ist eben auch eine der Realitäten der Nullerjahre, dass es diese gesamtgesellschaftlichen Zwischenlager nicht mehr gibt. Es gibt auch nicht mehr die eine, nicht „unsere“ Öffentlichkeit. Es gibt Dutzende von Öffentlichkeiten, mindestens.

Und auch deshalb, und so sind wir wieder bei Weißmann und unserem Film, ist es anstrengender geworden, mit Rechten zu reden. Denn mit dem Internet haben sie ihre eigene Gegenöffentlichkeit erschaffen, sie können ihre Auftritte selbst einordnen, sie können ihren Nachrichten den eigenen Spin mitgeben, sich die Welt formen, wie sie ihnen gefällt.

Es ist ohne Frage leichter, nicht mit Rechten zu reden. Weniger mühsam, weniger konfliktreich. Aber ist es deshalb richtig, sie aus der gemeinsamen Öffentlichkeit auszuschließen?

Nein, so dachten wir. Was wir in den Wochen nach Ettersburg lernen mussten: Wir waren mit dieser Ansicht weithin allein. Denn die Personalie Weißmann, mitunter auch die Personalie Augstein (denn er hatte sich ja mit Weißmann auf eine Bühne gesetzt), sollte in den nächsten Wochen und Monaten der noch folgenden Dreharbeiten eine schwere Hypothek für unser Projekt werden. Aus dem linken Lager wollten plötzlich viele nicht mehr mit uns reden.

Jan Fleischhauer, damals „Spiegel“-, jetzt „Focus“-Kolumnist, mit dem wir neben „Welt“-Herausgeber Stefan Aust, der Ex-Europaabgeordneten Julia Reda (Die Grünen) und anderen, ebenfalls für diesen Film geredet haben, hatte etwas Ähnliches erlebt, nachdem er den Geburtstag des zuletzt verschwörungstheoretisierenden Ex-„Spiegel“-Redakteurs Matthias Matussek besucht hatte.

„Der Nationalsozialismus (…) hat Diskussionen nicht gern.“

Ein Sturm der Entrüstung brach über ihn herein, der Hashtag #MitRechtenFeiern trendete, Fleischhauer antwortete mit einer „Spiegel Online“-Kolumne und überschrieb sie mit dem Kampfbegriff „Kontaktschuld“, die Linke wetterte weiter. Die Folge: eine Scheindebatte, zwei diskursive Einbahnstraßen, aber kein wirklicher Austausch.

Kürzlich machte auf Twitter ein Text der „Frankfurter Zeitung“ vom August 1929 (!) die Runde, er war überschrieben mit der Zeile: „Was die Nationalsozialisten wollen“.

Es lohnt, ihn heute noch einmal sehr genau zu lesen: „Der Nationalsozialismus (…) hat Diskussionen nicht gern. Es wäre ihm lieber, wenn er diktatorisch verfügen könnte, dass er recht habe. (…) Debatten haben die unangenehme Eigenschaft, dass die Redner gezwungen werden, die Konsequenzen ihrer eigenen Gedanken zu ziehen. Sie müssen aus dem Nebel heraustreten.“ Das gilt auch heute noch, ein knappes Jahrhundert später. Nur, weil wir die Augen vor den Rechten verschließen, gehen sie nicht weg. Nur, weil wir nicht mit ihnen reden, hören sie nicht auf, überhaupt zu reden.

Sie sitzen bereits in unseren Parlamenten. Also zeigen wir ihnen zumindest, dass es in unserer Öffentlichkeit nicht so gemütlich für sie zugeht, wie in ihrer eigenen.

Zweieinhalb Monate nachdem wir mit Karlheinz Weißmann in Ettersburg gedreht hatten, zog er die Freigabe für sein Interview übrigens zurück. Er könne nicht mit einer fairen Präsentation seiner Auffassungen rechnen, schrieb er knapp und ohne weitere Erklärung per Mail.

Tim Klimeš

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