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Medien: Ahnungslos ins Krisengebiet Das Risiko freier Journalisten ist besonders hoch – weil die Vorbereitung fehlt

März 2003: Auf Bagdad fielen die ersten Bomben, und der Journalist war nicht aufzuhalten. Seine Vorbereitungen auf den Einsatz im Kriegsgebiet waren jedoch erschreckend dürftig.

März 2003: Auf Bagdad fielen die ersten Bomben, und der Journalist war nicht aufzuhalten. Seine Vorbereitungen auf den Einsatz im Kriegsgebiet waren jedoch erschreckend dürftig. Er rief beim Deutschen Journalistenverband an. Den Flug habe er schon gebucht, sagte der Journalist und bat eindringlich, ihm zu sagen, was er denn nun tun müsse, um im Irak zu überleben. Viel Zeit blieb dem Reporter nicht, erinnert sich Hendrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen Journalistenverbandes (DJV). Bereits zwei Tage später ging der Flieger, der den Journalisten nach Bagdad bringen sollte. „Wir konnten ihm nur einige Telefonnummern im Ausland geben und ihm alles Gute wünschen“, sagt Zörner. Für mehr war keine Zeit. Aber von seinen Plänen ließ sich der Mann nicht abbringen, „das stand gar nicht zur Debatte“, so Zörner.

Der Journalist hat frei gearbeitet. Er hat den Flug privat bezahlt und ist ohne einen festen Auftrag gereist. Ins Kriegsgebiet will nicht jeder, schon gar nicht jeder Festangestellte – deshalb ist bei freien Journalisten die Bereitschaft, auf gut Glück und eigenes Risiko loszufahren und vor Ort Bilder und Geschichten zu bekommen, groß.

Die freie Journalistin Karen Fischer und der Techniker Christian Struwe galten als erfahren. Mehrfach schon hatten sie in Afghanistan für die Deutsche Welle berichtet. Als sie am Samstag von Unbekannten im Norden des Landes erschossen wurden, waren sie ohne Auftrag auf einer Recherchereise unterwegs.

Selten zuvor waren Journalisten, die in Kriegsgebieten arbeiten, so gefährdet wie heute. „Spätestens seit dem Irakkrieg haben wir feststellen müssen, dass Journalisten zunehmend zu Zielscheiben werden. Die Bereitschaft, Journalisten als unbeteiligte Beobachter zu akzeptieren, lässt nach“, sagt Hendrik Zörner vom DJV. Umso wichtiger sei es, dass sich Journalisten sorgfältig auf ihre Einsätze in Kriegs- und Krisenregionen vorbereiteten.

Dafür gibt es in Deutschland nur eine Möglichkeit. Das Verteidigungsministerium bietet gemeinsam mit der Berufsgenossenschaft Druck und Papierverarbeitung ein Seminar zum Schutz und Verhalten in Krisenregionen an. Eine Woche lang simulieren Soldaten auf einem Truppenübungsplatz in Hammelburg Krieg: Journalisten üben, wie sie sich im Falle einer Geiselnahme oder einer Schießerei verhalten sollen, wie sie Minen und Sprengfallen erkennen und wie sie schwere Verletzungen versorgen können. Seit drei Jahren trägt die Berufsgenossenschaft das Angebot mit. Der Grund: Todesfälle und Verletzungen von Journalisten haben sich gehäuft; Bundeswehreinsätze nahmen weltweit zu. 2003 haben knapp 120 Journalisten in Hammelburg das Verhalten im Kriegsfall trainiert, ein Jahr später waren es 97, vergangenes Jahr gar nur 84 Journalisten. Die Kosten trägt die Berufsgenossenschaft, 1000 Euro zahlt sie für jeden Ausbildungsplatz. Wer nicht in der Genossenschaft ist, zahlt 346 Euro selbst. Ein Risiko bleibt immer, wenn Journalisten in Kriegsgebieten arbeiten. Aber dieses Risiko können Journalisten halbwegs klein halten.

„Trotzdem ist die Ausbildung von Journalisten für Auslandseinsätze insgesamt schlechter geworden“, sagt Dieter Prinz von der Berufsgenossenschaft. Das Problem seien die freien Journalisten, die unter immensem Konkurrenzdruck arbeiteten. Die hektische Suche nach Bildern und Geschichten ist so groß, dass viele auf die Vorbereitung verzichten. Ihre wirtschaftlich miserable Situation lässt anderes nicht zu.

Von den freien Journalisten, die Zörner kennengelernt hat, gab es keinen einzigen, der es nach seiner Rückkehr abgelehnt habe, erneut kurzfristig in ein Kriegsgebiet zu fahren.

Eine Mitschuld für die hohe Risikobereitschaft freier Journalisten sieht der Deutsche Journalistenverband bei den Medienhäusern. Einige von ihnen seien dafür bekannt, „Journalisten in Kriegsgebieten zu verheizen“, beklagt Zörner. Diese Medienunternehmen würden nicht mehr festangestellte Mitarbeiter oder freie Journalisten mit einem Auftrag losschicken, sondern von freien vor Ort Berichte einkaufen.

Von dem Journalisten, der 2003 überstürzt nach Bagdad gereist war, hat Hendrik Zörner nie wieder etwas gehört. Er weiß nicht, ob der Reporter ums Leben gekommen oder nach Deutschland zurückgekehrt ist. Oder weiterhin im Irak arbeitet und als freier Journalist deutsche Medien beliefert. Auf eigenes Risiko.

Alice Bota

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