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Medien: Arte-Doku blättert in der "Akte Joel"

Fünf Personen sitzen da und versuchen, miteinander zu reden. Das Gespräch hakt und stockt, Lächeln erscheint fehl am Platz, alle Beteiligten sind verkrampft.

Fünf Personen sitzen da und versuchen, miteinander zu reden. Das Gespräch hakt und stockt, Lächeln erscheint fehl am Platz, alle Beteiligten sind verkrampft. Kein Wunder, versuchen sie doch, einen historischen Abgrund zu überwinden, der ihre beiden Familien trennt. Ist Schuld erblich? Wieviel Verantwortung trägt noch die dritte Generation? Immerhin, sie setzen sich an einen Tisch, die Enkel der Firmengründer Joel und Neckermann. Das ist ein Anfang.

1928. In Würzburg lebt die großbürgerlich-katholische Unternehmersfamilie Neckermann, im nicht weit entfernten Nürnberg gründet der junge Karl Amson Joel ein Textilversandhaus. Er hat Erfolg damit. Während der junge Josef Neckermann der Reiter-SA beitritt, verleumdet Julius Streicher im "Stürmer" die jüdische Familie Joel. Sie verlässt Nürnberg und geht nach Berlin.

Schon 1935 streckt der ehrgeizige Josef Neckermann die Hand aus nach dem Joelschen Imperium und macht sich gedankenlos zum "Ariseur". Er bezahlt nicht einmal den viel zu geringen Kaufpreis an den enteigneten Karl Joel. Der flieht mit seiner Familie 1938 in letzter Minute über Zürich und Kuba nach New York. Seine Enkel sind Musiker geworden, der eine, Billy Joel, wird Popstar, der andere dirigiert Opern in Wien.

Nach dem Krieg prozessiert Joel gegen Neckermann um den nie gezahlten Kaufpreis. Der handelt einen Vergleich aus, der nicht im entferntesten dem Wert dessen entspricht, was er dem jüdischen Kollegen nahm. Schuldgefühle? Fehlanzeige. Dass er Zwangsarbeiter beschäftigte, in Theresienstadt, Auschwitz und im Getto Lodz für sich nähen ließ, hat ihn nicht weiter bedrückt.

Beate Thalberg erzählt diese beiden Familiengeschichten wie die zwei Seiten derselben deutschen Geschichte (Arte, 20 Uhr 45). Auch sie kann nicht locker und souverän mit dem sorgsam gesammelten Material hantieren. Aber es gelingt ihr, das jahrzehntelange Schweigen zu brechen. Und die Enkel erkennen: die Erinnerung lebt, die Schuld bleibt bestehen. Auseinandersetzung ist besser als Schweigen.

Mechthild Zschau

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