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Beispiellose Selbstvermarktung. Walt Disney Anfang der 30er Jahre inmitten von Micky-Maus-Artikeln. Die Erfindung von Micky Maus löste eine ungeheure Merchandising-Welle aus.

© arte

Arte-Doku über Walt Disney: Als Clark Gable weinte

Synonym der Kulturindustrie: Eine Arte-Dokumentation blickt auf „Walt Disney – Der Zauberer“.

Mit dem ersten abendfüllenden Zeichentrickfilm „Schneewittchen“ gelang den Disney-Studios 1937 etwas nicht für möglich gehaltenes. Cartoons, so zeigt die New Yorker Regisseurin Sarah Colt in ihrer aufwendigen zweiteiligen Dokumentation („Walt Disney – Der Zauberer“, Sonntag, Arte, 21 Uhr 45), waren bis dahin nur Füllsel im Vorprogramm. Der Humor dieser Trickfilme war fies und brutal. Mit „Schneewittchen“ schuf Disney etwas völlig anderes. Seine gezeichneten Welten überrumpelten und verblüfften das Publikum. Sie waren auf nie gekannte Weise realistisch. Sie berührten das Herz. Sogar Clark Gable weinte während der Uraufführung im Carthay Circle Theater von Los Angeles.

Doch diese Innovation, so verdeutlicht der nuancierte Blick hinter die Kulissen der Disney-Werkstatt, forderte einen hohen Preis. Über 600 Mitarbeiter, die meisten von ihnen schlecht bezahlt, produzierten die 200 000 Einzelbilder von „Schneewittchen“ im Akkord. Frauen zeichneten in Zwölf-Stunden-Schichten. Manche von ihnen wurden dabei blind.

Walt Disney und sein Bruder Roy, so zeigt die Dokumentation, avancierten zu Ausbeutern im Stil des Manchester-Kapitalismus. Der wochenlange Streik, mit dem Kreativ-Arbeiter im Frühjahr 1941 humanere Bedingungen erstritten, erlebte der Selfmade Man als persönlichen Affront.

Die Herr-Knecht-Beziehung zwischen Weißen und Schwarzen

Von diesem Bruch in seiner rasanten Erfolgsgeschichte sollte er sich nicht mehr erholen. Mit „Pinocchio“, „Dumbo“, „Bambi“ und der ästhetisch revolutionären audiovisuellen Synergie „Fantasia“ hatte er Anfang der 1940er Jahre seinen künstlerischen Zenit überschritten. Von nun an, so zeigt die vielstimmige Doku, in der Filmhistoriker, Künstler und Ex-Mitarbeiter skurrile Anekdoten beisteuern, erschöpfte sich Disneys Kreativität in einer beispiellosen Selbstvermarktung.

Bereits seine Naturfilme aus der Reihe True-Life Adventures erschienen wie sentimentale Trickfilme – nur eben mit lebenden Tieren. Über das süßliche Musical „Onkel Remus' Wunderland“, in dem Disney die Leibeigenschaft in den Südstaaten verkitschte, spottete seinerzeit die New York Times: Die Herr-Knecht-Beziehung zwischen Weißen und Schwarzen würde so liebevoll ausgemalt, dass man auf die Idee kommen könne, Abraham Lincoln hätte mit der Abschaffung der Sklaverei „einen Fehler gemacht“.

Die materialreiche Dokumentation richtet im zweiten Teil den Fokus auf die Expansion des Disney-Universums in das neue Medium Fernsehen. In den 1950er Jahren hatte der Maus-Erfinder auch erfolgreiche TV-Shows wie den Western „Davy Crockett“ produziert. Aus diesem Grund finanzierte der Sender ABC ein gewagtes neuartiges Projekt: Erlebnisparks. Hier konnte man Frauen mit drei Brüsten sehen. Disneyland dagegen war antiseptisch: eine begehbare Kulisse von „Schneewittchen“.

Disney wurde zum Synonym der Kulturindustrie. Die gegenwärtige Phase, in welcher der Disney-Konzern zu einem der größten Medienunternehmen weltweit avancierte, berücksichtigt der Zweiteiler nicht mehr.

Manfred Riepe

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