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Verhängnisvoller Irrtum. Psychotherapeutin Hanna Rautenberg (Bibiana Beglau) stellt dem Sexualstrafträter Peter Petrowski (Till Firit) eine positive Prognose aus.

© dpa

Arte-Film mit Bibiana Beglau: „Als Opfer ist man das Letzte“

„Sieben Stunden“: Der Kampf der Hanna Rautenberg um die Rückkehr ins Leben. Ein Arte-Film als Mahnmal für Susanne Preusker

Kann die Fallhöhe in einem Menschenleben größer sein? Hanna Rautenberg (Bibiana Beglau) hat in einem bayerischen Hochsicherheitsgefängnis eine sozialtherapeutische Station aufgebaut, die sie mit strenger Umsicht regiert. Die Insassen und auch die Kollegen behandeln die Psychotherapeutin mit Respekt. In nur zehn Tagen will sie ihren Verlobten Stephan (Thomas Loibl) heiraten.

Dann das Unfassbare: Der Sexualstraftäter und Mörder Peter Petrowski (Till Firit), dem die Therapeutin in einem Gutachten eine positive Prognose gestellt hatte, nimmt sie in ihrem Büro als Geisel. In den folgenden „Sieben Stunden“, so der Titel des Arte-Films, wird er sie mehrfach vergewaltigen, demütigen, erniedrigen. Ihr Kollege Ulrich Riedel (Norman Hacker), der telefonisch mit Petrowski verhandelt, hält das einsatzbereite SEK in Schach, Riedel schließt aus den Telefonaten, dass Rautenberg die Situation und den Täter unter Kontrolle hat. Hat sie nicht, nach sieben Stunden verlässt er das Büro, wird verhaftet.

Zurück bleibt Hanna Rautenberg. Die sieben Stunden haben ihr Leben und all das, wofür sie stand, zerstört. Die positive, selbstbewusste Frau existiert nicht mehr, sie sagt, Petrowski habe sie zu seiner „Nutte“ gemacht. Was sie weiß: Sie muss sich mit aller Macht, mit aller Kraft gegen ihre Opferrolle aufbäumen: „Als Opfer ist man das Letzte.“ Sie muss ihr Trauma überwinden.

Der Täter hat das Opfer weiter fest im Griff

In der ersten Zeit nach der Tat hat sie Petrowski weiter fest im Griff. Sie sieht ihren Peiniger immer vor sich, mit dem Messer in der Küche, in der Tiefgarage, beim Schwimmen glaubt sie, von ihm in die Tiefe gezogen zu werden. Die Hochzeit mit Stephan wird zur Trauerfeier, ihr Verhältnis zu ihm nimmt nachhaltig Schaden. Wie sensibel er auch immer ist, sie braust auf, ein falscher Ton, eine missverständliche Frage, sie fährt hoch, weist ihn zurück, stellt seine Liebe in Zweifel. „Ich kann nichts mehr. Ich kann nicht mal mehr mit meinem Mann schlafen.“

Aber sie kämpft, nicht zuletzt mit Hilfe der Psychotherapeutin Vera Ehrles (Imogen Kogge). Sie stellt sich ihren Ängsten, stellt sich als Nebenklägerin ihrem Peiniger vor Gericht und klagt Anstaltsleitung, ihre Kollegen und das Sicherheitspersonal an. Auf der verbissenen Suche nach Gerechtigkeit – oder ist es Rache? – weiß sie bald Freund und Feind nicht mehr zu trennen. Ihre Ehe, die innige Beziehung zu ihrem Sohn (Pascal Hose), ihr Verhältnis zu Ulrich Riedel stehen auf der Kippe. Selbst der Gerichtsprozess, der ohne Wenn und Aber zu ihren Gunsten ausgeht, kann sie nicht beruhigen.

Das Drehbuch von Pim Richter und Christian Görlitz, der auch Regie führte, zentralisiert den individuellen Kampf der Hanna Rautenberg zurück ins Leben. Im Personal der Anstalt bekommen aber auch institutionelle Aspekte des Scheiterns der Therapie im Strafvollzug ihre Fragezeichen. Rautenberg sieht so wenig wie die Anstaltsleitung die Notwendigkeit, das Verhalten, die Arbeit im Knast infrage zu stellen. Die Vergewaltigung war eine Machtdemonstration des Täters, wurde er ermutigt, ging die Prognose am tatsächlichen Psychopathen Petrowski vorbei.

Krin Voyeurismus

All das findet in „Sieben Stunden“ nicht plakativ statt, Autor und Regisseur Görlitz löst das Problem, ein Sexualdelikt darzustellen, mit großer Klugheit auf. Er zerlegt den Vorgang, er schneidet zu den bangenden Kollegen und wartenden SEK-Polizisten, der Richter wird vortragen, was die Kamera nicht zeigen will. Der Brutalität nimmt diese Asymmetrie nichts, auch nicht der Wirkung. Der Film schaut an der Tat, am Täter, an den seelischen und körperlichen Verheerungen nicht vorbei. Vielleicht ist das Qualitätsmerkmal „authentisch“ hier falsch und richtig gesetzt. Richtig, weil dem Drama eines Menschen vor dem Psychothriller der Vorzug gegeben wird, falsch, weil die Produktion zwar einer wahren Begebenheit 2009, dem Fall der Susanne Preusker, folgt, von ihr aufgeschrieben im Buch „Sieben Stunden im April – Meine Geschichte vom Überleben“, aber im Finale von der Lebensgeschichte der Susanne Preusker abweicht. Sie hat sich im Februar das Leben genommen.

Das Martyrium der Hanna Rautenberg, wer soll das spielen, wer kann diese verletzte, wütende Frau spielen? Bibiana Beglau kann das. Sie verästelt mit intelligenter Bravour die Figur physisch und psychologisch, sie lässt sie eskalieren und kalmiert sie, es ist, als würde die Schauspielerin den Weg der Susanne Preusker beglaubigen wollen: Seht her, sie kann nicht anders. Bibiana Beglau und das Ensemble, gleichermaßen Buch und Regie, sie vermeiden jeden vordergründigen Raubbau, sie schildern und akzentuieren ein extremes Menschenschicksal. „Sieben Stunden“ will ein filmisches Mahnmal für Susanne Preusker sein.

„Sieben Stunden“, Arte, am Freitag, um 20 Uhr 15

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