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Kult in Ost und West: „Dirty Dancing“ inspiriert Tänzer nach wie vor.

© Axel Thiede

Auch 35 Jahre später noch Kult: Getanzter Sex

Eine Arte-Dokumentation erinnert daran, wie „Dirty Dancing“ Ost und West einander näherbrachte.

Auf der Filmmesse in Cannes lief 1987 unter dem Radar der Presse eine offenbar völlig unscheinbare amerikanische Independentproduktion. Eine romantische Liebesgeschichte über eine junge Frau aus der jüdischen Oberschicht, die sich in einen tanzenden Kellner verliebt, der in einem Hotel als Animateur arbeitet. Der Film, realisiert von einem schwulen Regisseur nach dem Drehbuch der jüdischen Autorin Eleanor Bergstein, kam bei den Verleihern nicht an. Spätestens mit „Flashdance“ war die Tanzfilm-Welle seit 1983 ja längst abgeebbt.

Allein Beate Bender, Ehefrau eines kleinen Frankfurter Verleihers, der unter anderem „Schulmädchenreport“ in die Kinos brachte, sah das anders. Sie überredete ihren Mann dazu, in ein paar Kopien zu investieren. Schließlich war der Hauptdarsteller Patrick Swayze in Deutschland durch die Serie „Fackeln im Sturm“ ja bereits bekannt.

[„Die Zeit meines Lebens. ‚Dirty Dancing‘ in Ost und West“, Arte, Sonntag, 23 Uhr 30]

Der Erfolg sprengte alle Erwartungen. Mit 8,7 Millionen Kinobesuchern rangiert der 1987 angelaufene Film „Dirty Dancing“ bis heute unter den 50 größten Kassenerfolgen in Westdeutschland. In der DDR, wo er zwei Jahre später startete, sahen ihn prozentual betrachtet sogar noch viel mehr Menschen.

In seiner Dokumentation zeichnet Frank Zintner die abenteuerliche Entstehung dieser Low-Budget-Produktion nach. Vor allem aber geht es um die eigentümlich subversive Wirkungsgeschichte der vermeintlich banalen Lovestory. Patrick Swayze und seine Partnerin Jennifer Grey verkörpern Romeo und Julia. Die Leidenschaft ihrer unmöglichen Liebe drückt sich aus in jenem prickelnd erotischen Tanzstil, der vom kubanischen Mambo inspiriert ist. Dabei kommen beide sich nicht nur nahe, sondern sehr nahe. Genau das wurde zum Alleinstellungsmerkmal des Films.

Den Nerv des Zeitgeists getroffen

Der getanzte Sex in „Dirty Dancing“ traf, völlig unerwartet, einen Nerv des Zeitgeistes. Und zwar in West und Ost gleichermaßen. Zwar pflegte man in der DDR mit der FKK-Kultur einen recht freizügigen Umgang mit Nacktheit und auch mit Sexualität. Doch die Verbindung zwischen erotischen Tanzschritten mit westlicher Popkultur verdichtete sich zu einer Sehnsucht nach Freiheit, die sich schon bald verwirklichen sollte.

Dieses vibrierende Gefühl vermittelt ein Archivfilm des legendären DDR-Magazins „Elf 99“. Besucher, die im Ost-Berliner Kino International zum wiederholten Mal „Dirty Dancing“ schauen wollten, performten auf die Bitte der Kameraleute spontan Tanzszenen aus dem Film – und zwar mit atemberaubender Präzision. Als ob die Mauer einfach weggetanzt worden wäre.

Die Situation im demokratischen Westen war nicht direkt vergleichbar. Doch die ausgelassene Partystimmung der 1980er Jahre wurde bekanntlich getrübt durch den früheren Bundeskanzler Helmut Kohl, der mit seiner Forderung nach einer „geistig-moralischen Wende“ die Rückkehr zur biederen Moral der 1950er-Jahre propagierte. „Dirty Dancing“, die liebenswürdige Sauerei, wirkte in diesem Klima schon wie eine Provokation.

Vor der Kamera berichten Tanzlehrer aus dem Osten und aus dem Westen, wie ihr Angebot eines Dirty-Dancing-Tanzkurses völlig unerwartet für hysterischen Andrang sorgte. Allein das Versprechen, „schmutzig“ zu tanzen, wirkte wie Magie pur. Menschen unter dem geteilten Himmel schienen auf nichts anderes gewartet zu haben, als sich auf der Tanzfläche etwas intensiver anzufassen.

Trotz einer gefloppten Fortsetzung ist „Dirty Dancing“ heute Kult. Open-Air- Vorstellungen am Dresdner Elbufer sind alljährlich ausverkauft. In die Jahre gekommene Zuschauer erinnern sich vor der Kamera mit feuchten Augen, wie sie den Film zum ersten Mal sahen. „Dirty Dancing“ for ever.

Manfred Riepe

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