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Schönschreiber? Der Historiker Golo Mann (Edgar Selge, li.) soll die Biographie über den Krupp-Generalbevollmächtigten Berthold Beitz (Sven-Eric Bechtolf) schreiben.

© WDR/Wolfgang Ennenbach

Berthold Beitz und Golo Mann: Schuld aus Stahl

„Das Geheimnis der Freiheit“ zeigt den Kruppmanager Berthold Beitz im Kampf mit der Vergangenheit.

Film, Oper und Fernsehen entdeckten Hitlers Waffenschmiede nach dem Krieg als Spielort der Leidenschaften. Luchino Visconti schuf 1969 den mythensüchtigen Film „Die Verdammten“, der französische Regisseur Patrice Chereau ließ 1976 zu Bayreuth in Wagners „Ring des Nibelungen“ die bei den Riesen verschuldeten Götter in Szenenbildern und Attitüden ähnlich den Kruppgewaltigen auftreten.

Da konnte auch die dreiteilige ZDF-Produktion „Krupp – eine deutsche Familie“ (2009) nichts ausrichten. So sehr sich Iris Berben in der Rolle der Konzernobermutti Bertha Krupp um Promi-Familiennormalität bemühte. Die Familie mit dem in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilten Alfried Krupp an der Spitze ließ sich medial nicht zu einem unterhaltenden „Gala“–Niebelheim verzwergen.

Jetzt schafft es der ARD-Film „Das Geheimnis der Freiheit“ in perfekt nachkonstruierter Villa-Hügel-Kulisse mit einer auf Spannung bedachten Inszenierung (Regie: Dror Zahavi, Buch: Sebastian Orlac) den Stoff zu einem lehrreichen, spannenden 90-Minüter über die scheiternde Bewältigung der NaziVergangenheit in den Nachkriegsjahren zu machen [„Das Geheimnis der Freiheit“, ARD, Mittwoch, 20 Uhr 15].

Dabei helfen überzeugende Darsteller: Sven-Eric Bechtolf in der Rolle des Krupp-Generalbevollmächtigten Berthold Beitz und Edgar Selge als Thomas-Mann-Sohn Golo Mann. Das von allen Biopic-Zwängen klug befreite Drehbuch lässt zwei Männer spielen, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten.

Hier der stolze Beitz, aus kleinen Verhältnissen kommend, in jungen Jahren zum engsten Vertrauten des Konzernchefs Alfried Krupp geworden und nach dessen Tod 1967 die Macht der übrigen Familie über den Konzern brechend. Und dort Golo Mann, zweitältester, ungeliebter Sohn des Dichterfürsten Thomas Mann.

Ein konservativer Historiker, Strauß-Unterstützer und Todesstrafe-fürTerroristen-Befürworter. Die Linke mag ihn nicht, Adorno verhindert die Berufung des im Krieg Emigrierten auf einen Geschichtslehrstuhl der Frankfurter Uni.

Produktion des KZ-Mord-Gases Zyklon-B

Krupp und Beitz lernen sich im Film anlässlich der Hundert-Jahr-Feier der Degussa kennen. Als historischer Festredner engagiert, hat Mann keine Unterwürfigkeit vor seinem Honorarzahler erkennen lassen. Zugleich aber schwieg er von den Gespenstern in der Degussa-Geschichte: der Fremdarbeiterausbeutung und der Verwicklung in die Produktion des KZ-Mord-Gases Zyklon-B.

So einen kann Beitz, der stolz darauf ist, keine Bücher zu lesen, gebrauchen. Als intellektuellen Geschichtssänger, der bei aller nicht vertuschbarer Schuld der Waffenschmiede und ihres nach dem Krieg verurteilten Lenkers Alfried Krupp die stahlharte Faszination und Verantwortung eines vor Arbeit glühenden und verglühenden Patriarchen in seinem biographischen Lied nicht übersehen wird.

Beitz überredet Golo Mann (unterstützt von üppiger Bezahlung), Krupps Biographie zu schreiben. Der Film kreist sein Thema ein: Kann der Kriegsgeneration eine innere Befreiung von der Vergangenheit gelingen?

Nicht als Schulfunk, sondern als massentauglicher und dennoch dramaturgisch neuartiger TV-Versuch über ein schwieriges Thema. SS-Uniformen (mit einer Ausnahme) bleiben im Fundus, bekennende Unterhaltungsjunkies werden nicht weggeschickt.

Ja, wir sind da, wo Fernsehen gerne west: bei Gespenstern, weinenden Männern, schönen Frauen, furchterregenden Müttern, scheiternden Lebensplänen, bei Weisheiten von alten Griechen, bei voller Dröhnung eben.

Man kann sich aus dieser Krupp-FilmBonbonniere herausnehmen, was man will, ohne Reue zu empfinden. Wie Beitz auf der Suche nach Beteiligungen am klammen Kruppkonzern beim persischen Schah (Hassan Lazouane) und dessen pikfeiner Gattin (Mona Pirzad) frechdächsisch zum Ziel kommt. Wie er die gierige Familie, besonders den Verschwender Arndt von Bohlen (Anian Zollner), abblitzen lässt.

Das ist bestes, manchmal komisches Boulevardtheater. Dazu gehören auch die Szenen in der Zürcher Villa des Mann-Clans, in denen Katia Mann (wunderbar böse: Erni Mangold), als dementes Gespenst ihrer selbst, Golo ironische Verachtung zukommen lässt.

„Soll ich dir sie schenken?“

Heiterkeit vergeht allerdings in den Szenen, die sich mit Krieg, Schuld, Mut und menschlichen Abgründen beschäftigen. Bei einer Veranstaltung von 1977 anlässlich des Besuchs von Bundeskanzler Helmut Schmidt (Bernhard Schütz) als erstem Bundeskanzler in Auschwitz, mitten im „Deutschen Herbst“ also, brechen die inneren Dämme des Verdrängers Beitz.

Dabei hatte er Jahre zuvor erfahren, dass er von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem für seine Rettung von Juden in Polen als „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet wurde. Stolz war er nie. Die er nicht retten konnte – es sind so schrecklich viele – überrennen stets seine inneren Abwehrschranken.

Eine Jüdin mit zwei Koffern tagträumt der mächtige Manager mitten im realen Leben. Beitz läuft der Erscheinung hinter her, bricht zusammen. Von Kanzler Schmidt will er nach dessen Auschwitzbesuch wissen, wie er den Stress des RAF-Terrors aushalte. Und der antwortet: „Mit Cola, Zigaretten und Disziplin. Was anderes haben wir doch nicht gelernt.“

Mit Hilfe seiner Frau Else (Judith Rosmair) findet Beitz heraus, dass es sich bei der Erscheinung um eine ehemalige Sekretärin aus dem nazibesetzten Osten mit dem Namen Anna (Maya Gorkin) handelt, die ein SS-Mann aus einem Transportzug nach Auschwitz herausgeholt hat, in dem die Mutter der Jüdin eingesperrt bleibt. Der betrunkene Nazi-Scherge bietet sie feil: „Soll ich dir sie schenken?“

Beitz gelingt es, Anna aus der Gewalt des Totenkopf-Mannes zu befreien, die Mutter aber nicht. Die Antwort der Geretteten ist schrecklich: „Herr Direktor, wenn es erlaubt ist, würde ich gerne mit meiner Mutter weiterfahren.“ In den Tod.

Beitz sucht Hilfe bei dem Geisterversteher Golo, selbst vom Kontrollverlust über die Vergangenheit bedroht. Die Szenen mit den nächtlichen Telefongesprächen zwischen Mann und Beitz gehören zur Spitzenklasse der schauspielerischen Fernsehkunst. Da wird viel geweint, da wird viel unterdrückt.

Beitz-Darsteller Bechtolf schafft das Paradox, sich gefasst in die Fassungslosigkeit und wieder zurückzuspielen. Selge gelingt es beeindruckend, Ernst und Liebenswürdigkeit zu vereinen und so dem innerlich blockierten Manager Brücken zu bauen.

Allerdings vergeblich: Keine aufklärerische Einsicht ist zu stark, um die Verblendungen der Beitz-Figur zu lösen. Der Herr der drei Kruppschen Logoringe hat seine Vergangenheit zum Privatbesitz erklärt und mit harter Arbeit und unbedingter Nibelungentreue zu Alfried Krupp umschlossen. Die glühenden Hochöfen faszinieren ihn mehr als alle Reflektion.

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