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Medien: Das Mitwahlfernsehen

Joachim Huber

Kurz vor der Wahl: stark. In der Wahlnacht: stark. Nach der Wahl: erst schwach, dann wieder stark. Das deutsche Fernsehen covert die Abstimmung über den 44. USPräsidenten mit großer Emphase und sehr hohem Einsatz. Die Nachrichten und die Magazine am Dienstagabend füttern das Interesse des Publikums an, kein Programm, weder öffentlich-rechtlich noch privat, will sich nachsagen lassen, dass es nicht die fähigsten und besten Leute in Washington und all den Außenstationen in den USA platziert hätte. Ganze Wahlstudios sind aufgebaut, Wahlforscher, Korrespondenten, Experten, selbst „normale“ Amerikaner werden vor Kamera und Mikrofon versammelt. Offensichtlich sind die Deutschen vom Wahlausgang abhängig, emotional sowieso, intellektuell, innenpolitisch. Die Live-Sendungen tun so, als würden die Deutschen mitwählen – und zwar John Kerry. Vor allen anderen sieht die ARD einen scharfen Trend hin zum Demokraten, harte Belege fehlen, hier wird pure Hoffnung in Fakten verwandelt. Was Punkt ein Uhr nachts überrascht: Schneller als die vorsichtigen US-Sender werden die „exit polls“ in den einzelnen Bundesstaaten in Wahlmännerstimmen übertragen. Die Kraftanstrengung der Journalisten, der Sendeteams ist enorm, selbst als die Aussicht auf ein rasches Endergebnis schwindet und die Anspannung sich im Rätselraten verliert.

Dann, in den entscheidenden Stunden am frühen Morgen, kommt der Bruch. Als jeder wissen muss, wie das Kopf-an-KopfRennen zwischen Bush und Kerry ausgeht, sind die Hauptprogramme um eine fortgesetzte Live-Berichterstattung verlegen. Keine Laufbänder, keine Sondersendung, statt dessen Serien-Herz-Schmerz und Kochrezepte. Jetzt sind die Nachrichtensender gefragt, insbesondere CNN. Der Zuschauer als Zapper bleibt Sekunde für Sekunde informiert. Noch vor der Mittagsstunde sind ARD, ZDF, RTL wieder dran. Wie sediert wirken sie, Jörg Schönenborn in der ARD, Steffen Seibert vom ZDF, der RTL-Mann Christof Lang. Und dann gehen sie in eine neue Runde. Die Sender wollen die Entscheidung, und sie wollen sie live zeigen – und verpassen sie doch bis auf RTL und n-tv. Danach Analyse über Analyse. Die Deutschen und ihr Fernsehen müssen noch einmal vier Jahre lang mit George W. Bush fertig werden.

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