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Medien: Der Charme von Männern mit Schrubbern

Von Curling bis Skeleton: Bei Olympia haben Randsportarten erstaunliche Zuschauerzahlen

Olympia liebt die Außenseiter. Alle vier Jahre bringen die Spiele die Hierarchie kräftig durcheinander: Biathlon, Eisschnelllauf, Rodeln und Bob, nordische und alpine Ski-Wettbewerbe bestimmen die langen Wintersporttage bei ARD und ZDF. Doch bei Olympia sieht man plötzlich Rempeleien auf kurzen Eisbahnen (Short Track), auf dem Bauch liegende Rodler (Skeleton), akrobatische Sprünge und wilde Fahrten über Buckelpisten (Snowboard, Freestyle). Die Königsdisziplin unter den Exoten aber ist Curling, der Witze-Garant am Sport- Stammtisch: schrubbende Männer, haha!

Warum Curling? „Die sind sehr klug. Die spielen den ganzen Tag.“ Eberhard Figgemeier, ZDF- Programmchef in Turin, hat eine einfache Erklärung für den Olympia-Erfolg einer Sportart, die in Deutschland von gerade mal 800 Aktiven betrieben wird. Täglich von 9 bis 22 Uhr, unterbrochen durch zwei jeweils zweistündige Pausen, tragen die Curler von Montag (13. Februar) bis Montag (20. Februar) ihre Vorrunde aus. Sie sind die idealen Lückenfüller mit dem gewaltigen Vorteil, dass ihre Wettkämpfe garantiert zur geplanten Zeit stattfinden.

Als Curling in Nagano 1998 Olympia-Premiere feierte, wirbelten heftige Winde das Programm draußen kräftig durcheinander. Drinnen schoben die Curler unverdrossen ihre ruhige Kugel übers Eis, genauer gesagt: den gut 18 Kilogramm schweren Granitstein. Schon damals „kam Curling bei den Zuschauern gut an“, erinnert sich Eurosport-Sprecherin Heike Gruner. Seitdem überträgt der Spartensender alle Europa- und Weltmeisterschaften.

Bei den letzten Winterspielen in Salt Lake City (2002) verblüffte Curling durch hohe Einschaltquoten. Dank der Zeitverschiebung waren die wichtigsten Wettkämpfe in den Vorabend und in die Primetime gerutscht und erreichten dort Zuschauerzahlen wie mancher „Tatort“ am Sonntag. „Das hatten wir in der Form nicht auf der Rechnung“, räumt ARD-Programmchef Christoph Netzel ein. Entsprechend schlecht vorbereitet seien die öffentlich-rechtlichen Sender gewesen, sagt Rainer Nittel, Leistungssportdirektor beim Deutschen Curling-Verband.

Dabei hat Curling zweifellos telegene Qualitäten: Die wichtigsten Regeln sind leicht nachvollziehbar; zumeist geht es knapp und spannend zu, denn die Entscheidung fällt erst mit den letzten beiden Steinen. Allerdings müssen fachkundige Kommentatoren die vom „Skip“, der Nummer eins in jeder Mannschaft, festgelegten Strategien erläutern können. In Turin hat die ARD mit Thomas Braml einen eigenen Reporter nur fürs Curling abgestellt, beim ZDF kümmert sich Martin Wolff außerdem noch um die Bob-Rennen.

Wenn die deutschen Curling-Herren, immerhin WM-Dritter 2005, am Montag um 19 Uhr gegen Favorit Kanada antreten müssen, werden sie wohl zeitweise das Nachsehen gegenüber dem Eiskunstlaufen haben. Denn bei der Kür der Paare sind mit Aliona Savchenko und Robin Szolkowy die einzigen deutschen Medaillenhoffnungen in dieser Disziplin am Start.

Die deutschen Curling-Damen sind gar nicht für die olympischen Spiele qualifiziert. Eurosport plant dennoch über 24 Stunden Live-Berichte; in Salt Lake City waren es nur zehn. Allerdings strahlt der Sender in 54 europäische Länder aus und nimmt deshalb auf nationale Interessen nur bedingt Rücksicht.

Die anderen Randsportarten, über die in deutlich geringerem Umfang berichtet werden wird, haben ganz eigene Probleme. Skeleton leidet unter dem populäreren Rodeln. In Freestyle und Short Track sind die Medaillenchancen gering. Und den Snowboardern setzt das Image einer Fun-Sportart zu. „Sportarten, die optisch spektakulär sind, müssen nicht gleich ein Erfolg sein“, sagt Eberhard Figgemeier vom ZDF. „Sie müssen auch mit Protagonisten einhergehen, die das Interesse des Publikums wecken.“ Daran mangelt es freilich allen Exoten. „Wir sind weit davon entfernt, den professionellen Curler anbieten zu können“, weiß Rainer Nittel. Im wahren Leben, jenseits von Olympia, sind die Curler froh, wenn sie eine Halle mit entsprechend aufbereitetem Eis finden. Der Medienrummel alle vier Jahre hat daran bisher nicht viel ändern können.

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