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Medien: Die Journalisten sind schuld

Münster ist überall: Immer mehr Verleger lagern Lokalredaktionen aus

Selten, dass Münster in Westfalen bundesweite Schlagzeilen macht, aber am 19. Januar war es geschafft. Der Verlag Lensing-Wolff hatte 17 Redakteure sowie zwei weitere Mitarbeiter der „Münsterschen Zeitung“ (MZ) von der Arbeit freigestellt. Der Lokal- und Sportteil des Blattes wird seither von einer neuen Redaktion produziert, die in einer dafür gegründeten GmbH angestellt ist.

Während der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) die Aktion „unmenschlich“ nannte, verteidigten die Verleger Florian und Lambert Lensing-Wolff die Redaktionsauswechslung als Zukunftssicherung für die Zeitung. „Wir mussten handeln und ein neues Redaktionsteam beauftragen, um die MZ vor einem Aus zu bewahren“, erklärten die Verleger. „Wir haben in Münster Jahr für Jahr 1000 Abonnenten verloren, da mussten wir diesen radikalen Schnitt machen“, sagte Lambert Lensing-Wolff.

Als die „Münstersche Zeitung“ vom Dortmunder Verlag Lensing-Wolff („Ruhr-Nachrichten“) übernommen wurde, hat sie ihr Berliner Format auf das der „Westfälischen Nachrichten“ (Verlag Aschendorff) vergrößert, wird aber bis heute die „kleine Zeitung“ genannt. Von der Auflage her ist das zutreffend: In der Stadt Münster kaufen die „WN“ rund 43 000, die „MZ“ etwa 17 000 Exemplare. Solche Konkurrenz ist für Nordrhein-Westfalen nicht außergewöhnlich, denn im Gegensatz zu weiten Regionen des übrigen Bundesgebietes ist hier der Wettbewerb zwischen Zeitungen immer noch eher die Regel als die Ausnahme.

Bei den Vorgängen in Münster finden sich all jene Maßnahmen wieder, die Verlage ergriffen haben, um den Folgen der vor 15 Jahren auch bei regionalen und lokalen Abonnementzeitungen zunächst nur verhalten eingetretenen Auflagenverluste und dem Rückgang der Anzeigenerlöse seit 2001 zu begegnen. Was den Fall Münster aber so spektakulär macht, ist die grimmige Entschlossenheit, mit einem scheinbaren Neuanfang eine festgefahrene Wettbewerbssituation zu verändern und die Ursachen dafür ausschließlich den Journalisten anzulasten.

Die Aktion in Münster hat ihre Vorläufer. Die „Schwäbische Zeitung“ machte den Anfang, als sie ihre mehr als zwanzig Lokalausgaben in jeweils eigene GmbHs ausgliederte; dem Beispiel folgten die „Sächsische Zeitung“ (Dresden) und die „Passauer Neue Presse“, die für jeweils mehrere ihrer Bezirksausgaben eigene Verlage gründeten. Bei der Auslagerung von journalistischen Aufgaben durch Beauftragung von Firmen, Lokalseiten für die verlagseigenen Ausgaben zu liefern, ging die „Rhein-Zeitung“ (Koblenz) schon vor mehreren Jahren voran. Inzwischen ist das an vielen Standorten gängige Praxis. Auffallend dabei, dass die genannten Zeitungen in ihren jeweiligen Verbreitungsgebieten überwiegend Alleinanbieter sind und deshalb erhöhter Wettbewerbsdruck kaum hinter solchen Entscheidungen gestanden hat. Vielmehr waren es bei ihnen und den zahlreichen Verlagen, die ihnen auf dem Weg der Auftragsvergabe an externe journalistische Dienstleister folgten, vor allem Überlegungen zur Kostenersparnis. Das korrespondiert mit eingeschränkter oder fehlender Tarifbindung und Mitbestimmung.

Man kann das mit weiteren negativen Folgen saldieren: Werden journalistische Aufgaben ausgelagert, ist es durchaus möglich, dass die berufliche Motivation zurückgeht und sich die Verbundenheit mit der öffentlichen Aufgabe lockert, die Zeitungen wahrnehmen sollten. Aus fremdbezogenen Seiten bei manchmal auch noch unterschiedlicher Provenienz lässt sich kaum ein in sich geschlossenes, anspruchsvolles Blatt zusammenstellen.

Für die „MZ“ als „kleine Zeitung“ bleibt die Lage bedrohlich. Ein Blick in die Pressegeschichte zeigt, dass es seit 1955 nur den „Zweitzeitungen“ in Köln, Fulda und Gelnhausen gelungen ist, den von der Auflage her zunächst stärkeren lokalen/regionalen Konkurrenten zu überholen. Bei der Hauruck-Aktion der Verleger Lensing-Wolff kommt hinzu, wie sehr mit dem „neuen Kurs“ das örtliche Ansehen der Zeitung beschädigt wurde. Die Gefahr ist groß, dass auch Münster, nach dem Scheitern der „MZ“, zu den „Ein-ZeitungsStädten“ in Deutschland gehören wird.

Der Autor ist Zeitungswissenschaftler, lehrt als Honorarprofessor in Hannover und hat zuletzt das Standardwerk „Zeitungen in Deutschland“ veröffentlicht.

Walter J. Schütz

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