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Medien: „Die Promis wollen die Lufthoheit“

Plötzlich in Bildernot: Die deutsche People-Presse nach dem Urteil über die Paparazzi-Fotos

Letzten Montag war es wieder soweit in der Redaktionskonferenz der „Frau im Spiegel“: Beim Betrachten des aktuellen Fotoangebots seufzte die Redaktion auf. Zu sehen waren PaparazziBilder von Prinzessin Caroline von Hannover samt Familie: Die Prinzessin im blauen Bikini, der Bauchansatz von Ernst August, Caroline beim Spielen am Strand mit ihrer vierjährigen Tochter Alexandra. Klasse Material – und dennoch wussten alle Redakteurinnen und Redakteure, dass diese Bilder wohl nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken werden.

„Nur zum Gucken, nicht zum Drucken“, heißt es immer häufiger in den Boulevard-Redaktionen, wenn es um private „Abschüsse“ von Prominenten geht. Und das erst recht, seitdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 24. Juni die Grenzen der Promi-Berichterstattung neu justiert hat. Anlass waren Bilder aus dem Alltag von Prinzessin Caroline, die in den 90er Jahren in den Zeitschriften „Bunte“, „Freizeit Revue“ und „Neue Post“ veröffentlicht wurden: Caroline beim Einkaufen, beim Reiten, am Strand. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Veröffentlichung im einem Grundsatzurteil vom 15. Dezember 1999 für zulässig erklärt. Begründung: Caroline sei eine „absolute Person der Zeitgeschichte“, die auch eine Veröffentlichung von Bildern aus ihrem Alltag hinnehmen müsse, da die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse daran habe.

In dieser Auffassung sah Caroline von Monaco ihr Recht auf Achtung des Privatlebens verletzt – und bekam nun Recht. Bilder aus der Privatsphäre von in der Öffentlichkeit stehenden Personen, so die Straßburger Richter in ihrem Urteil, dürften nur dann gezeigt werden, „wenn die veröffentlichten Fotos zu einer Debatte beitragen, für die ein Allgemeininteresse geltend gemacht werden kann“. Das war bei Caroline nach Auffassung des Gerichts nicht der Fall: Sie übe kein öffentliches Amt aus, außerdem befassten sich die Bilder ausschließlich mit ihrem Privatleben.

Ein Urteil, das – sofern es Bestand hat – die deutsche Presselandschaft nachhaltig erschüttern dürfte. Denn faktisch läuft der Richterspruch darauf hinaus, dass er Prominenten aus Adel, Film, Fernsehen, Sport etc. die vollständige Kontrolle darüber ermöglicht, welche Bilder von ihnen veröffentlicht werden dürfen – und welche nicht.

„Von einem Rückschlag für die Pressefreiheit in Europa“, spricht deshalb der Verband deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) und warnt vor einer Degradierung der Presse zum reinen Hofberichterstatter. In der Tat ist die Arbeit in den Redaktionen von „Bunte“ und „Gala“ nicht einfacher geworden. Schlendert zum Beispiel jemand wie Boris Becker mit seiner Freundin händchenhaltend über den Kurfürstendamm, wäre das Bild nach deutschem Recht ohne Probleme druckbar gewesen. Nach dem Spruch aus Straßburg könnte Becker jederzeit auf Unterlassung klagen, gegebenenfalls sogar ein Schmerzensgeld für die Verletzung seines Rechts am eigenen Bild erstreiten.

„Ganz klar, die Promis wollen die Lufthoheit über ihre Fotos“, sagt Rüdiger Schäfer aus der Rechtsabteilung des Hamburger Verlages Gruner + Jahr. Und zwar über alle Fotos – auch die, die privat und ohne ihr Wissen von Paparazzi gemacht wurden. Doch genau solche Bilder lieferten der Boulevard-Presse in der Vergangenheit die Grundlage für jede Menge hübscher Klatschgeschichten: Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge beim vermuteten Seitensprung in München, Bayern-Torwart Oliver Kahn mit dem Kulturbeutel auf dem Weg zu Freundin Verena – allesamt Fotos, die nach neuem Recht wohl kassiert würden.

In den Chefredaktionen der deutschen People- und Boulevardblätter ist das Urteil mit Befremden aufgenommen worden. „Es war schon immer so, dass die Fürstenfamilie darüber bestimmen wollte, wann sie das Licht anknipst und wann sie es ausschaltet“, sagt Tonio Montel, Chefredakteur von „Die Aktuelle“. Sein Blatt hatte sich in den vergangenen Monaten bei der Berichterstattung um Oliver Kahn mit privaten Fotos und Exklusiv-Storys hervorgetan. Dabei wird es laut Tonio Montel auch bleiben: „Natürlich sind wir dagegen, dass Paparazzi ihre Opfer regelrecht verfolgen. Aber: Wenn jemand der Öffentlichkeit ein heiles Familienleben vorspielt und dann bei einem Seitensprung beobachtet wird, werden wir das weiterhin dokumentieren.“

Karin Schlautmann, Chefredakteurin von „Frau im Spiegel“, betont, es könne nicht sein, „dass sich die Prominenten in Zukunft die Art und Weise der Berichterstattung aussuchen dürfen“.

In der Tat nutzen immer mehr Stars aus dem Showbizz die Magazine längst für Public Relations in eigener Sache. Sie bieten freiwillig Home-Storys an, wenn sie gerade einen Film promoten wollen, oder verkaufen gar ihre Hochzeit exklusiv an eine Illustrierte – und entwerfen mit Hilfe der Presse ein sauberes, ein perfektes Image, das sich hinterher trefflich vermarkten lässt.

Nicht ganz so schwarz sieht „Gala“Chefredakteur Peter Lewandowski: „Objektiv gesehen ist das Urteil natürlich ein Eingriff in die Pressefreiheit. Für die ,Gala’ wird sich jedoch nicht viel verändern, weil wir die Intimsphäre von Prominenten immer schon respektiert haben." Eine ganz breite Brust hat jetzt der Hamburger Rechtsanwalt Matthias Prinz, der Prinzessin Caroline in Straßburg vertreten hat: „Hier von einem schwarzen Tag für die Pressefreiheit zu sprechen, halte ich für übertrieben.“ In seinen Augen haben die Richter in ihrem Urteil lediglich bei der gebotenen Güterabwägung „die Gewichtung der reinen Unterhaltungspresse verringert“. Prinz: „Die Rechtsprechung hat Persönlichkeiten in der Vergangenheit regelrecht ,gelabeld‘. Die bekamen wie eine Chiquita-Banane ihren Kleber verpasst, der da lautet: Person der Zeitgeschichte.“ In Zukunft müsse dagegen bei jedem Foto im Einzelfall genau geprüft werden, inwieweit das Bild von allgemeinem öffentlichen Interesse ist, sagt Prinz.

Doch wie soll diese Überprüfung stattfinden? Vor einer genauen Definition, was letztlich bedeutsam für die öffentliche Debatte ist, haben sich die Richter in Straßburg gedrückt. Millionen Menschen in Deutschland kaufen sich Woche für Woche die bunten People-Magazine am Kiosk, eben weil sie wissen wollen, ob Oliver Kahn zu seiner Familie zurückkehrt, wie krank Klausjürgen Wussow in Wahrheit ist und ob Sabine Christiansen ihren neuen Lebensgefährten heiratet oder nicht. Auf welchem Niveau auch immer – aber ein Thema ist das allemal.

Noch bleibt den Blättern eine Gnadenfrist. Das Bundesjustizministerium in Berlin ist dabei, das Urteil zu prüfen. Innerhalb von drei Monaten kann die beklagte Bundesrepublik die Verweisung der Rechtssache an die große Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte beantragen.

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