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Medien: Die Quoten-Gangster

Der Film „Gladbeck“ rekonstruiert die Geiselnahme mit entfesselten Medien und fasziniertem Publikum

Die Fernsehnation erinnert sich: Im August 1988 gab es eine Reality-Show mit zweifacher Todesfolge. Die Bankräuber Rösner und Degowski nahmen Geiseln, erpressten Lösegeld und flüchteten – mit den Geiseln. Doch statt der kühnen Sondereinsatzkommandos, der schlauen Profiler und gewieften Polizeipsychologen, die wir sonst aus dem Fernsehen kennen, war es eine ganz andere Truppe, die den Kontakt mit den Kidnappern aufrechterhielt: hochmotivierte Fotografen und Reporter, auf der Jagd nicht nach den Tätern, sondern nach dem besten Bild und dem coolsten Spruch. Beides lieferten sie der faszinierten Fernsehnation, drei Tage lang und live.

Jetzt, achtzehn Jahre später, können wir Zuschauer die Bilder noch mal sehen – aus einer Distanz, die von der Zeit und von den Gedanken, die man sich hat machen können, gestiftet wird. Michael Gramberg hat das Geiseldrama für die Reihe „Die großen Kriminalfälle“ rekonstruiert, und er führt vor, dass dieses Drama nicht nur der Fall Rösner/Degowski, sondern auch ein Fall der Kripo und ein Fall der entfesselten Journalistenmeute gewesen ist. Niemand kommt heil raus aus der Geschichte, nicht mal wir unschuldigen Zuschauer auf dem Fernsehsofa. Denn unsere Lust, live dabei zu sein, wenn Kriminelle rauben, flüchten und töten, steckt letztlich hinter den Entgleisungen der Journaille und streckenweise sogar hinter der Skrupellosigkeit der Gangster, die ihre Chance, als Helden eines Krimis in die Fernsehgeschichte einzugehen, wahrnahmen und sichtlich genossen.

„Gladbeck“ ist ja nun selber wieder Fernsehen, der Film bezieht seinen Stoff aus einem Verbrechen, das im Fernsehen gezeigt wurde, während es geschah und geht so mit dem eigenen Medium ins Gericht, mit dem verfluchten Regelkreis aus Voyeurismus, Exhibitionismus, Paparazzismus und Ruhmsucht. Er macht das sehr ruhig, sehr bestimmt und schonungslos. Die Journalisten von damals überschritten die Grenze zur Kumpanei mit den Mördern: Sie behinderten die Kripo und umlagerten die Gangster. Das ging bis zu der Frage: „Können wir irgendwas für Sie tun?“ und der Bereitschaft eines Journalisten, in das Fluchtauto zu steigen und es zu chauffieren – alles original mitgeschnitten und diesmal kühl-kritisch fürs Fernsehen aufbereitet.

Gramberg hat die 1988 beteiligten Journalisten erneut vor die Kamera gebeten und lässt sie ihr Tun kommentieren. Sie stehen Rede und Antwort – nicht nur gealtert, auch geläutert: Es war falsch, was wir taten. Auch die Polizisten reden, sogar der Innenminister. Sie sind, wie Ordnungshüter und Politiker meist, weniger bereit zur Selbstkritik, entschuldigen ihr unbegreiflich passives, gleichwohl pannenreiches Verhalten mit den Umständen. Aber man spürt, wie unwohl es ihnen dabei ist. Rösner und Degowski, nach eigenem Bekunden zum Selbstmord nach Tötung der Geiseln entschlossen: „Ich scheiß auf mein Leben“, sitzen für immer im Gefängnis. Der Vater des erschossenen Jungen klagt vor der Kamera die Polizei an. Die Mutter der ebenfalls getöteten achtzehnjährigen Silke Bischoff wollte kein Augenfutter sein. Aber ihre Stimme erhebt sie im Film. Sie kann nicht vergessen. „Warum hat man so was bloß getan? Es bleibt immer in mir drin.“

„Gladbeck“ ist auch ein Film über unsere Öffentlichkeit, über die Freiheit der Medien und den Anspruch des Publikums auf prompte Information. Wenn man ihn gesehen hat, versteht man jene unbeliebten Stimmen, die, unter gewissen strengen Bedingungen, diese Freiheit auch mal einschränken wollen.

„Gladbeck – Dokument einer Geiselnahme“, ARD, 21 Uhr

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