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Mord oder Selbstmord? Am 18. Januar 2015 stirbt der ermittelnde argentinische Staatsanwalt Alberto Nisman.

© ZDF/brindicci, marcos

Doku „Nisman – Tod eines Staatsanwalts“: Das ungesühnte Attentat

Eine Doku-Serie erzählt vom Terroranschlag auf das jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires 1994. Für den Politthriller hat das ZDF mit Netflix kooperiert.

Das folgenschwerste Attentat in der jüngeren Geschichte Südamerikas ist bis heute nicht aufgeklärt, geschweige denn gesühnt worden: 85 Menschen starben am 18. Juli 1994 bei einem Bombenanschlag auf die Zentrale der jüdischen Gemeinde Argentiniens (Amia) in Buenos Aires. Die Geschichte der Ermittlungen führt hinein in die Welt der Geheimdienste und spiegelt zugleich den Zustand eines politisch zerrissenen Landes, in dem bis 1983 eine Militärjunta herrschte.

Als Drahtzieher des Anschlags gilt die vom Iran finanzierte Hisbollah, gerichtsfest bewiesen ist das nicht. Der Fall nahm am 18. Januar 2015 eine tragische Wende, als der Sonderermittler Alberto Nisman in seiner Wohnung in Buenos Aires erschossen aufgefunden wurde. Vier Tage zuvor hatte er angekündigt, Staatspräsidentin Cristina Kirchner zu verklagen. Sie sei ein Bündnis mit den Terroristen eingegangen, um die Beteiligung Irans an dem Amia-Anschlag zu verschleiern. Für die einen ist klar, dass Nisman ermordet wurde, die anderen vertreten die Selbstmord-Theorie.

Was Argentinien bis heute erschüttert, fasst die sechsteilige Dokumentation „Nisman – Tod eines Staatsanwalts“ [Netflix, ZDF Mediathek, ZDFinfo, Freitag um 20 Uhr 15] im Stile einer horizontal erzählten Krimi-Serie zusammen. Das ZDF hat hier mit Netflix kooperiert. Zahlreiche Interviews mit Ermittlern, Agenten, Politikern, Journalisten und Angehörigen, Ermittlungsmaterial wie Telefonmitschnitte, Videos und Fotos vom Tatort, Bilder von Überwachungskameras, Gerichtsaufnahmen, Rekonstruktionen und TV-Ausschnitte werden zu einem rund sechsstündigen Polit-Thriller montiert. Eine vielschichtige Fleißarbeit zu einem staatlichen Versagen, das fassungslos macht.

Teils verwirrende Zeitsprünge

Autor Justin Webster sorgt mit Zeitsprüngen und Interview-Statements für Spannungsbögen, die packend, bisweilen auch verwirrend sind. Die immer neuen Wendungen, Widersprüche und ins Leere führenden Handlungsfäden würde man dem Autor eines fiktionalen Drehbuchs vorwerfen, letztlich findet Webster eine dem realen Durcheinander entsprechende Form.

Etwas zu kurz kommen in dieser Krimi-Dramaturgie Hintergründe über Argentiniens politische Entwicklung seit der Diktatur, das jüdische Leben in dem Land und die internationale Dimension des Falls, der möglicherweise im Zusammenhang mit Irans Atomprogramm steht. Außerdem tritt die Aufarbeitung des ersten Verbrechens, des Amia-Anschlags von 1994, gegenüber den minutiös geschilderten Ermittlungen im Fall von Nismans Tod deutlich zurück. Der Amia-Prozess endete 2004 mit dem Freispruch von vier argentinischen Polizisten, die ein für den Anschlag präpariertes Auto an den Selbstmordattentäter übergeben haben sollen. Ein Mitangeklagter war allerdings von einem Bundesrichter für diese Aussage bezahlt worden.

Staatsanwalt Nisman wollte 2005 den Namen des Hisbollah-Attentäters herausgefunden haben. Er setzte einen internationalen Haftbefehl gegen acht Iraner durch, über die man in der Serie wenig erfährt. Argentinische und israelische Medien berichteten jüngst, dass der von den USA getötete iranische General Soleimani auch für den Amia-Anschlag verantwortlich gewesen sei. Hier ist von Soleimani nicht die Rede.

Die Regierung von Cristina Kirchner handelte mit dem Iran 2013 ein Memorandum aus, das die Einsetzung einer „Wahrheitskommission“ zum Amia-Anschlag vorsah. Ob die Wahrheit jemals ans Licht kommen wird, daran zweifeln viele. „Die tatsächlichen Verbrechen werden nicht untersucht. Wir verzetteln uns, verlieren uns in Nebensächlichkeiten", sagt Staatsanwalt Luis Moreno Ocampo, der Mitte der 1980er Jahre den Prozess gegen Mitglieder der Junta geführt hatte.

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