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Bruce Dickinson ist Leadsänger und Chefpilot der bandeigenen Boeing. Foto: Iron Maiden

© 2008 Iron Maiden Holdings Ltd.

Dokumentarfilm über Iron Maiden: Nur Fliegen ist schöner

„Flight 666“ ist ein hinreißender Konzertfilm über die Welttour von Iron Maiden.

Die Boeing 757: zweistrahliger Stolz des American Way of Life, Symbol entgrenzter Mobilität, das aber genau wie der Jumbo Jet fossile Fortschrittsgläubigkeit verkörpert und damit etwa so zeitgemäß ist wie Pfälzer Schlachtplatten, Rohrstockzüchtigung oder, sagen wir: Iron Maiden. Die Urväter harten Rocks sind jahrelang in bandeigener Boing 757 um den Globus gejettet, als sei der Klimawandel ein flüchtiges E-Gitarren-Solo; wer ihnen dort volle 45 Tage im grandiosen Dokumentarfilm „Flight 666“ beiwohnen darf, kann nur zu einem Urteil gelangen: Iron Maiden sind auch nach 50 000 Meilen in ihrer „Ed Force One“ genannten Kerosinschleuder zukunftstauglich wie Mediationen und Veggieburger.

Iron Maiden, lange vor Maggie Thatchers Wahl zum Prime Minister unweit vom Westminster Palace gegründet und seit 40 Jahren in nahezu gleicher Besetzung auf Tour, waren aus Rockstar-Sicht bereits 2008 Fossile. Damals überzeugte der Anthropologe und Regisseur Sam Dunn seine Lieblingsband davon, ihre Welttournee begleiten zu dürfen. Und wie in den meisten seiner Genre-Analysen unterstützt vom kanadischen Filmemacher Scot McFadyen, sollte das Resultat ein Mix aus gefilmtem Fanzine und gefühlter Sozialstudie werden.

Hierzulande allenfalls in Programmkinos oder Festivalzelten sichtbar, haben die beiden Showrunner 2009 mit „Flight 666“ ein zweistündiges Juwel publizistischer Distanzlosigkeit geschliffen, das trotz ihrer spürbaren Vergötterung der Berichtsgegenstände jedoch über den Wolken nie an Bodenhaftung verliert. Mehr als ein Jahrzehnt später wird der Film endlich bei Arte gezeigt (und steht in der Arte-Mediathek).

Die für einen Konzertfilm verblüffend schlecht gemischte Tourneebegleitung handelt zwar wesentlich von der Wall of Sound turmhoch gestapelter Stromgitarren im Double-bass-Gewitter. Darunter jedoch schwingen zarte Liebesmelodien im Takt einer organischen Verbindung zwischen Sender und Empfänger, die so vermutlich kein anderes Musikgenre herzustellen vermag. Die Weltreise in 21 Städte auf vier Kontinenten zeigt schließlich keine Konzert-, sondern Messebesucher (das -innen kann man sich sparen; neun von zehn Besuchern sind Männer).

Von Mumbai über Perth (Tag 7, 10 924 Meilen) und Tokio (Tag 16, 16 277 Meilen), Los Angeles (Tag 19, 22 073 Meilen) oder São Paulo (Tag 31, 28 863 Meilen) bis nach Toronto (Tag 46, 36 192 Meilen) haben Hunderttausende zahlender Gäste nicht nur Eintrittskarten, sondern Himmelsleitern erworben. Ihr kollektives Glücksgefühl wird auch in der zweidimensionalen Fernsehversion deutlich. Noch bemerkenswerter ist da nur, mit welcher Demut sechs alternde Prediger der Church of Heavy Metal die bedingungslose Zärtlichkeit ihrer Fans in klassenlose Energie verwandeln.

Iron Maidens Boeing 757, gelenkt von Leadsänger Bruce Dickinson persönlich, kennt keine First Class für eiserne Jungfrauen, nur einen Teamspirit, den die Kameras zwar kaum unbeeinflusst lassen; Heisenbergs Unschärferelation macht schließlich auch an der heiligen Zackengitarre nicht halt. Aber wie Crew und Band auf Augenhöhe interagieren, wie ihnen die Hingabe des Publikums den Atem verschlägt, wie würdevoll sie dabei ihr schütteres Haupthaar schütteln, vor den Gigs gern Golf spielen, aber abzüglich eigenen Starruhms nicht grundlegend anders drauf sind als vier Generationen entfesselter Fans – das macht diese Zweckgemeinschaft zur Familie.

Von der darf sich die Welt vorm Stadiontor also ruhig eine Scheibe abschneiden. Zumal die „Ed Force One“ mittlerweile ausgemustert wurde. Iron Maiden aber fliegen einfach weiter. „Flight 666“ zeigt eindrücklich, warum. Jan Freitag

„Iron Maiden – Flight 666“, Arte, Freitag, 22 Uhr; Arte-Mediathek bis 23. Juli

Jan Freitag

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