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Fußball-EM: Feine Träumerei

Schweiz: Rauchschwaden und die Macht der Bilder.

Die Euro im eigenen Land! Ein Traum! Die Redaktionen aller Schweizer Medien wurden Kreativcenter: Sonder-Bünde, Sonder-Ausgaben, Sonder-Sendungen, Sonder-Blogs mit Fußballstars – alles ist möglich. Nur das Heikle nicht. Das ist sonderbar, aber kein Schweizer Problem. Ein paar Träumereien.

Benedikt Weibel, von der Schweizer Regierung bestellt, um die Euro zu überwachen, träumte von einem Turnier, so schön wie die WM 2006 in Deutschland, eine Schweizer Euro 08 der Herzen. So schön war das nicht, zeigt die BBC-Dokumentation „Ein anderes Sommermärchen“. Die Euro soll verbinden, was mit Mühe zusammenfindet, träumen andere. Zum Beispiel die Gastgeberländer. Doch eine gemeinsam gestaltete Sonderausgabe der ORF-Kultursendung geriet weit kühler als der bisherige Sommer. Und der Zürcher „Tages-Anzeiger“ fand ein gemeinsames Einverständnis der beiden erst im Gotthardmassiv – bei den Arbeitern, die den längsten Bahntunnel der Welt bauen.

Traumhafte Quoten für einen zerplatzten Traum erbrachte das Ausscheiden des ersten Gastgebers im Spiel Schweiz – Türkei am Mittwochabend. Das Schweizer Fernsehen berichtet einen Marktanteil von 75,3 Prozent, kurz vor Schluss schauten 1,8 Millionen zu, ein Marktanteil von 80,6 Prozent. „Europameister der Pechvögel“ schrieb das Boulevardblatt „Blick“ am Donnerstag. Oben drüber im Titel: „Wir sind Euro“.

Ein Albtraum, über den lieber keiner spricht, ist die Allmacht der Europäischen Fußballunion (Uefa). Schließlich will man dabei sein und seine Akkreditierung nicht gefährden. Ins Stadion kommt nur, wer von der Uefa offiziell zugelassen ist. Der Verband bietet einen modernen Kamera-Fuhrpark. Er sichert die Macht über die Bilder. Nationale Fernsehanstalten könnten zwar eigene Kameras im Stadion aufstellen, doch der Alleingang wäre technisch und finanziell schwer zu bewältigen. Folglich kriegt der Verband meist, was er will – gesperrte Straßenzüge, Sponsorenvorrechte – und verspricht, wovon jeder träumt: Spiele, die zeigen, wie wunderbar Sport die Menschen verbindet. Nicht den Medienschaffenden aller zur Euro gereisten Länder, sondern dem Schweizer Sport- und Verteidigungsminister Samuel Schmid verdanken wir einen Blick hinter die Kulissen. Er klagte im Schweizer Fernsehen, wie ihn die Rauchschwaden der kroatischen Fans nach dem frühen Führungstor gegen Österreich genervt hätten. Das Fernsehpublikum hatte nichts gesehen und rieb sich die Augen. Wer war hier benebelt?

Keiner. Beide haben recht – das ist ja der Skandal. Die Uefa bot offenbar Bilder, wo die Kamera auf einen anderen Teil des Stadions geschwenkt war. Der Branchendienst „Kleinreport“ schreibt: „Wer die Fußballspiele der aktuellen Europameisterschaft am Fernsehen verfolgt, sieht nicht alles: Die Bilderauswahl trifft der Europäische Fußballverband (Uefa) als Veranstalter gleich selber und achtet darauf, dass keine ihm unliebsamen Szenen in die guten Stuben flimmern.“ Spätestens jetzt müsste ein Aufschrei durch die Medienlandschaft gehen. Wieso? Nun, ersetzen Sie mal „Europameisterschaft“ durch „Olympia“ und „Uefa“ durch „chinesische Regierung“.

Marlis Prinzing[Bern]

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