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Medien: Fernsehfußball: Eckkneipe und Dampfradio

Heute ist Samstag, und heute gibt es keinen Fußball. Das gibt uns endlich einmal die Gelegenheit, ruhig und gelassen, abseits der üblichen Tagesaufregungen, über den Lauf der Dinge nachzudenken.

Heute ist Samstag, und heute gibt es keinen Fußball. Das gibt uns endlich einmal die Gelegenheit, ruhig und gelassen, abseits der üblichen Tagesaufregungen, über den Lauf der Dinge nachzudenken. Und dabei wird eines immer deutlicher.

Leo Kirch und alle um Kirch herum können machen, was sie wollen: Die Veränderungen, die ihre Form von Fernsehfußball mit sich bringen, sind immer anders, als sie sich das vorstellen. Die Live-Spiele und die Live-Konferenz auf Premiere World haben nicht zu einer ungeheuren Steigerung der Premiere World-Abonnenten geführt, sondern zu einer Renaissance des guten alten Kneipenfußballs. Leo Kirch, der nichts lieber möchte, als den modernen Zeitgenossen isoliert in seinem Fernsehzimmer zu verkabeln, bereitete den Boden für eine Form von Gemeinsinn, die man gar nicht mehr so richtig kannte: die Wiederbelebung der Eckkneipe, der direkten Kommunikation, des ursprünglichen Solidaritätsgefühls. Es gibt kaum ein suggestiveres Sinnbild für die Existenzberechtigung einer durchschnittlichen Gastwirtschaft, als den Schankraum für eine Fußballübertragung im Fernsehen zur Verfügung zu stellen. Da schlägt bei Kirch etwas Konservatives durch, was ihm gar nicht mehr so klar war.

Anstatt nun daraus die Konsequenzen zu ziehen und den Bedürfnissen des Publikums Rechnung zu tragen, geht Kirch einen Schritt weiter und tut das, was man wahrscheinlich "bedingungslose Offensive" nennen muss - eine alte deutsche Tradition übrigens, den einmal eingeschlagenen Weg nicht nur nicht zu verlassen, sondern ihm im Gegenteil immer trutziger zu folgen. Um endlich auch die private, die Familienaufmerksamkeit, auf Premiere World zu lenken, soll nun die Sendung "ran" auf Sat 1, die zur traditionellen "Sportschau"-Zeit an der Schnittstelle zwischen Nachmittag und Abend bewegte Bilder von den Bundesligastadien zeigt, auf 20 Uhr 15 verlegt werden - weit weg vom Abpfiff auf den Spielfeldern also.

Die Rechnung sieht wohl so aus: Alle, denen die Aktualität unter den Nägeln brennt, und das ist die absolute, wenn nicht die verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit der Fußballinteressierten - alle müssen jetzt Premiere World gucken. Nicht nur die, die immer mal wieder gern in die Kneipe ausbüchsen. Sondern vor allem diejenigen, die von zu Hause nicht fort dürfen und sich bisher mit "ran" behalfen. Und die Sache um 20 Uhr 15 dann ist die klassische Samstagabend-Showtime, mit der man Gottschalk Konkurrenz machen könnte, und wo Fußball nur ein beliebiger Themenhintergrund ist, der immer mal wieder durchkommt.

Dass Kirch damit die Bundesliga-Berichterstattung auf Sat 1, die Zusammenfassung des Spieltags, praktisch preisgibt, ist vermutlich knallhart kalkuliert. Kein ernsthafter Fußballinteressierter wird sich am Samstagabend diese Show antun, schon jetzt ist "ran" mehr oder weniger bloß ein notwendiges Übel - viel zu lang, viel zu viel Werbung dazwischen, viel zu wenig fachspezifisch. In der neuen Konzeption fehlt dem Übel aber auch noch die Notwendigkeit.

Ob das endlich zu den erstrebten Abonnentenzahlen für Premiere World führt?

Ganz unten, im Keller, sitzt die ARD und spielt Mäuschen. Jetzt könnte sie einmal etwas richtig machen. Denn der gewohnte alte "Sportschau"-Platz, die ideale Zeit zwischen Abpfiff und Abend, wird wieder frei. So wie die Kirch-Gruppe die gute alte Eckkneipe unterschätzt hat, so könnte sie jetzt auch die gute alte "Sportschau" unterschätzen. Was der mündige Bürger am Samstag um 18 Uhr will, das steht geradezu anthropologisch fest, ist knappe, präzise Information, höchstens eine Stunde. Und weil Kirch die bewegten Bilder monopolisiert hat, müsste die "Sportschau" sich etwas einfallen lassen, ihre Chance zu nutzen.

Ein Vorschlag schwebte schon im Raum, der zu den kühnsten Hoffnungen berechtigte: eine der herausragenden, verbliebenen Stärken der ARD, die Hörfunk-Konferenzreportage am Nachmittag, könnte in die "Sportschau" des Fernsehens überführt werden. Da sind etliche Möglichkeiten denkbar - selbst Harald Schmidt hat in seiner immer schillernder werdenden Fernsehshow schon vorgeführt, was man alles machen, wie man dranbleiben kann, auch wenn die Mattscheibe minutenlang schwarz ist. Oder Günther Jauch und Marcel Reif, die 75 Minuten lang ein Fußballspiel übertrugen, das gar nicht stattfand, damals in Madrid beim Zusammenbruch des Tores. Die Atemlosigkeit der Hörfunkreporter, die atmosphärisch dichte Vermittlung des Geschehens, die Dringlichkeit ihrer Bilder, die oft suggestiver sind als die bloß abgefilmten der Fernsehkameras: Hier läge vieles brach.

Wie die Hörfunk-Dramaturgie ästhetisch ins Fernsehen zu überführen wäre - da hätten all die Absolventen der Medienstudiengänge einmal Gelegenheit, ihre Fähigkeiten zu testen. Allein: Als letzte Meldung verlautete, dass die Sport-Gewaltigen beim ARD-Fernsehen nun doch selber die Berichterstattung übernehmen wollen und die Hörfunkspezialisten draußen bleiben sollen. Warum macht die ARD immer wieder denselben Fehler? Immer geht es um Proporz, immer geht es um die Macht, nie geht es um die Fähigkeiten. Nützt eure Ressourcen! Stellt die Sinnfrage offensiv!

Helmut Böttiger

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