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Intakte Familie? Mutter Silke (Gabriela Maria Schmeide, links) und Tochter Fiona (Gro Swantje Kohlhof, rechts) sind glücklich, wieder zusammen zu sein. Doch Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) traut ihnen nicht.

© Radio Bremen

ARD-Krimi um eine verlorene Tochter: Fiona, ein Fragezeichen

Der „Tatort: Die Wiederkehr“ handelt vom Glück und Unglück, das Familie heißt. Der Krimi setzt nicht auf Action, sondern auf das Innenleben seiner Figuren

So nach 20 Minuten, spätestens nach einer halben Stunde muss der Zuschauer erschrocken feststellen: „Die Wiederkehr“ ist ein „Tatort“ fern jedes gesellschaftspolitischen Aufrisses, kein SEK, keine Blutbäder, keine Polizisten in schwerster Midlife-Krise, eine Verfolgungsjagd nur zu Fuß – kann das ein Krimi von der 20-Uhr-15-Gewichtsklasse am Sonntag sein?

„Alle glücklichen Familien gleichen einander. Jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich“, heißt es in „Anna Karenina“. Familie Althoff kennt eigentlich nur Unglück. Vor zehn Jahren verschwand Tochter Fiona. Damals konnten die Bremer Kommissare Inga Lürsen (Sabine Postel) und Stedefreund (Oliver Mommsen) das Mädchen nicht finden und verdächtigten den Vater als Mörder, der sich dann das Leben nahm.

Verlorene Tochter taucht zehn Jahre später wieder auf

2015 taucht Fiona Althoff (Gro Swantje Kohlhof) als junge Punk-Frau bei ihrer Familie wieder auf. Ihre Mutter Silke (Gabriela Maria Schmeide) erhebt neue schwere Vorwürfe gegen die Polizisten: Tochter nicht gefunden, Vater in den Tod getrieben. Lürsen und Stedefreund grübeln, ob sie nicht schlimm versagt hatten. Aber fahnden müssen sie auch, Fiona Althoff sagt, sie sei entführt und misshandelt worden. Schuldgefühle dürfen die Kommissare nicht an der Pflichterfüllung hindern: Wer hat Fiona entführt, was ist damals wirklich geschehen? Parallel wird eine Tür weiter in die Familie Althoff geblickt. Da müsste das pure Glück ausbrechen, die verschwundene Tochter ist ja zurückgekehrt. Fiona aber bringt die gewohnte Statik ins Schwanken. Das Dreieck aus Mutter, Schwester Kathrin (Amelie Kiefer) und Bruder Jan (Levin Liam) weitet sich zum Parallelogramm aus Kräften und Gegenkräften, aus Anziehung und Abstoßung. Und, klar, Fiona war zwar zehn Jahre weg, doch nicht zehn Jahre nicht von dieser Welt. Die Ermittlungen der Kommissare und die Ermittlungen in der Familie kreuzen sich. Das Vergangene wird gegenwärtig, das Vergangene ist nur scheinbar vergangen. Die Althoffs werden, was sie schon 2005 waren: ein Drama.

Ob auch das Drehbuch ein Drama war? Im Presseheft heißt es, Felice Götze und Sabine Radebold seien für die Drehbuchvorlage verantwortlich, das Drehbuch geschrieben hätten Matthias Tuchmann und Stefanie Veith. Die zwei, die vier haben sich ein 1000-Teile-Puzzle ausgedacht, der Fall wird über kleine und kleinste Schritte seiner Lösung zugeführt. Der Zuschauer darf auch nicht zwei Minuten wegnicken, sonst wird er sich nicht mehr zurechtfinden. Es ist kein Wunder, dass der Gerichtsmediziner Dr. Katzmann (Matthias Brenner) eine sehr gewichtige Rolle spielt. Es gibt um Details, um DNA-Proben und deren Zuordnung. Haarfein, haarklein, haargenau, dieser Krimi setzt auf Miniatur.

Florian Baymeyer dreht seinen neunten Bremer "Tatort"

Und es geht um Gefühle, um verletzte, falsche und unterdrückte, um eine Innenschau der Figuren. Da braucht es schon einen gewieften Regisseur wie Florian Baxmeyer. Er hat mit der „Wiederkehr“ seinen neunten „Tatort“ für Radio Bremen inszeniert. Er kennt die Kommissarin-Lüders-Darstellerin Sabine Postel, die ihrerseits zum 31. Mal in dieser Rolle antritt. Angefasster denn je ist sie, es plagt sie die Frage, ob sie Vater Althoff mit ihren Verhörmethoden in den Tod getrieben hat. Das will so präzise wie differenziert gespielt sein, jene innere Unsicherheit, die die Sicherheit der Fahndung nicht gefährden darf. Baxmeyer weiß, was Postel kann, Postel weiß, was dieser Regisseur kann: Innenräume inszenieren, Innenleben ausleuchten, Inneres zeigen, ohne sich in Äußerlichkeiten zu verlieren. Der äußere Aufwand in diesem „Tatort“ ist klein, der innere enorm.

Gabriela Maria Schmeide gibt mit Mutter Althoff quasi den Gegen- wie den Ergänzungspart. Eine getriebene Frau, eine Gefangene ihrer selbst, die nach ihrem und dem Glück ihrer Familie, ihrer Kinder strebt. Die Schmiede hat das Kapital, ihre Figur aufzumachen wie zu verschließen. Physiognomie und Psychologie werden zur Menschendarstellung verfugt.

Gro Swantje Kohlhof (Fiona), Levin Liam (Jan), Amelie Kiefer (Kathrin) bilden den Jugend-Cast, auch hier ist das schattierte Spiel aus Eigen- und Gegeninteressen gegeben. „Die Wiederkehr“ überzeugt im Aufblättern einer Familienchronik, die eben bezeugt, dass jede unglückliche Familie auf eine andere Art und Weise unglücklich ist.

„Tatort: Die Wiederkehr“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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