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Was weiß Nellie (Lena Urzendowsky, rechts) über den vermeintlichen Selbstmord ihrer Freundin Luise? Das wollen die Kommissare Janneke (Margarita Broich) und Brix (Wolfram Koch) herausfinden.

© Bettina Müller/HR/ARD

Frankfurter „Tatort“: Toxisches Romandebüt

Der erneut sehr spezielle Frankfurter „Tatort“ spielt in der Verlagsbranche. Es geht dabei auch um - Mutterliebe.

Der Blick ist frontal in die Kamera gerichtet. Sie hält den Blick, während sie rezitiert: „Egal wie es anfängt, für mich endet es immer gleich, genau hier: Friss oder stirb.“ Nach dieser Einstellung geht die Kamera in eine Profilansicht und zeigt von der Seite, wie die junge Frau, an einem Tisch sitzend, ein Glas vor sich, aus einem Buch vorliest. Die dritte Einstellung zeigt sie schließlich vom hinteren Ende des Raumes, der voller Menschen ist, die ihr zuhören. Hinter ihr, in großen Lettern, das Cover des Buches, aus dem sie auf dieser Lesung vorträgt: „Luna frisst oder stirbt“.

Es ist ihr Buch, ihr erstes, und es ist ihre Buchpremiere: Mit der 19-jährigen Luise Nathan (Jana McKinnon) legt nach Verlagsmeinung eine absolut vielversprechende neue literarische Stimme ihren Erstling vor. Beifall nach Ende der Lesung, vorne, in Reihe eins, die stolze Mutter, Friedericke Nathan (Nicole Marischka), und der nicht minder stolze Verleger, Roland Häbler (Clemens Schick).

Nur wenige Kameraeinstellungen später, am darauffolgenden Abend, liegt Luise Nathan tot unter einer der Brücken, unten am Main-Ufer, und die Frankfurter Hauptkommissare Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) sehen, als gerade ein Zug über die Main-Brücke donnert, nach oben in den dunklen Abendhimmel. „Hat sie da eben ihren eigenen Abgang anmoderiert?“, fragt Janneke Brix.

Der Romantitel ist der Fernsehfolgentitel dieses neuen „Tatorts“ aus Hessen: „Luna frisst oder stirbt“. Alles deutet – zunächst – darauf hin, was Brix noch am Tatort kurz und konzise formuliert, als sie vor der toten jungen Frau stehen: Suizid. Die Nachwuchsautorin hat sich dem Anschein nach das Leben genommen, unmittelbar nach Erscheinen ihres ersten Buches. Doch warum nur? Konnte sie dem hohen Erwartungsdruck, der auf jeder Neuerscheinung von Verlagsseite liegt, nicht standhalten? („Tatort: Luna frisst oder stirbt“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15)

Gab es zuvor Schwierigkeiten mit dem Verlag, etwa mit dem ziemlich fahrigen Lektor Marvin Gess (Thomas Prenn)? Oder folgte Luise Nathan der Protagonistin ihres Romans, Luna, die sich überlegt, sich das Leben zu nehmen? Wie groß ist die Parallele zwischen der realen Luise und der fiktiven Luna? Fragen, vor denen Janneke und Brix stehen.

„Luna frisst oder stirbt“ – von Katharina Bischof nach dem von ihr und Johanna Thalmann verfassten Drehbuch in Szene gesetzt – nimmt in seiner Narration recht bald eine Haltung ein, die das reale Geschehen und die fiktionale Handlung des Romandebüts teils parallelisiert oder aber miteinander alternieren und ineinander übergehen lässt.

Einmal, da liest Hauptkommissarin Janneke – sie und Brix haben sich zum Lesen des Debüts verdonnert – eine Passage laut vor, rezitiert sie, und in diesem Moment gehen die Bilder über in das fiktional Erzählte, in das Leben von Luna, die unter ihrer Mutter leidet, unter der sozialen Benachteiligung, die sie ständig erfährt.

Die Stimmen der Kommissarin und der – toten – Nachwuchsautorin überlappen sich im Off. Das ist ein Kunstgriff, der zuweilen kurzfristig für Verwirrung sorgen kann, da nicht immer sofort erkennbar sein mag, auf welcher Erzählebene man sich gerade befindet.

Es war kein Suizid

Die inszenierten literarischen Stellen zeigen zunächst noch die Autorin Luise als Luna, doch bald schon tritt an ihre Stelle ihre Freundin Nellie Kunze (Lena Urzendowsky), zu deren sozial schwacher Familie mit der unbeherrschten Mutter Jessie Kunze (Tinka Fürst) Jannekes und Brix’ Ermittlungen bald führen.

Da ist auch längst schon offenkundig, was die ganze Zeit bereits in der Luft lag: Es war kein Suizid. Die junge Autorin wurde nach der feierlichen Buchpremiere ermordet.

„Luna frisst oder stirbt“ ist sehr eigen. Das haben die „Tatorte“ aus Frankfurt immer mal wieder so an sich. So kunstgriffig und originell die Verknüpfung der beiden narrativen Ebenen sein mag, so anstrengend, vielleicht auch angestrengt wirkt sie mitunter an manchen Stellen.

Erst spät, sehr spät, wird richtig klar, worum es hier neben all den anderen Subthemen den halben Film lang eigentlich geht – neben all dem sozialen Engagement sowohl von Luise Nathan als auch ihrer Mutter, der Frankfurter Stadträtin für Soziales; neben all den Eitelkeiten und Untiefen der Verlagsbranche, den Unsicherheiten von Schreibenden: Es geht auch um Mutterliebe. Um übertriebene, um omnipräsente und um zu nachlässige, um abwesende Mutterliebe. Und darum, wohin diese auch führen kann.

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