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Gegensätze. Milliardärstochter Isabella (Lisa Vicari) aus Heidelberg und Nachwuchsboxer Ossi (Dennis Mojen) aus dem Mannheimer Unterschichtsmilieu = „Isi & Ossi“.

© Netflix

Interview mit Oliver Kienle: „Frauen sind bei uns untererzählt“

Drehbuchautor Oliver Kienle über Stereotypen, Macker, Com-Roms und seinen ersten Netflix-Film "Isi & Ossi".

Herr Kienle, Glückwunsch, Sie haben das Drehbuch für den ersten deutschen Netflix-Film „Isi & Ossi“ geschrieben und Regie geführt. Zufall oder zwangsläufig?

Tatsächlich irgendwie zwangsläufig: Wir wollten „Isi und Ossi“ als Kinofilm machen und hatten die ersten Kontakte zu Sendern und Filmförderungen. Was mich dabei angestrengt hat, war, dass schon wieder nur über die Frauenfiguren diskutiert wurde, wie bei meinen vorherigen Projekten „Die Vierhändige“ und „Bad Banks“: „Ist diese Frau sympathisch?“, „Kann man das nachvollziehen?“, als müsste man jedes Verhalten von Frauen ständig erklären oder entschuldigen. Dazu war es unklar, wann produziert werden kann, ob die Finanzierung stehen wird. Netflix hatte mich da schon länger angefragt, ob wir nicht zusammenarbeiten wollten. Am Freitag habe ich das Drehbuch geschickt, am Montag kam das Ja, nach einer Woche stand die Finanzierung. So schnell und entschlossen hab ich das noch nie erlebt.

Sie sagten, es gehe bei jedem Projekt um die Frauenfiguren. Wie das?

Da ist die Unsicherheit am größten, die Angst, etwas falsch zu machen. Die deutsche Film- und Fernsehlandschaft ist da ja bekanntlich hintendran. Das erinnert teilweise an das Frauenbild, dass die US-amerikanischen Filme in den 80er, 90er Jahren hatten. Frauen sind bei uns nach wie vor untererzählt. Was sie für mich als Autor ja noch spannender macht – siehe „Bad Banks“, wo eben die Machtspiele der Frauen anders als die geläufigen Mechanismen der Männer ablaufen. Wir erleben endlich eine Revolution der Frauenfiguren und die Angst, etwas falsch zu machen, sollte nicht dazu führen, dass man sie erst gar nicht erzählt.

Oliver Kienle, 38, Drehbuchautor („Bad Banks“), mit „Isi & Ossi“ hat Kienle den ersten deutschen Netflix-Film geschrieben, der am Freitag startet.

© Natalie Schaaf

In welche Fallen kann der Autor geraten, wenn er Frauenrollen schreiben will?

Ein Indiz ist für mich, wenn man sich fragt: Darf die das? Bei einer stimmigen Figur, egal welchen Geschlechts, fragt man sich das gar nicht. Wenn man den Background einer Figur genau entwickelt, wird der Zuschauer die Figur als authentisch empfinden, ohne dass man die Figur erklären oder entschuldigen muss. Ich plädiere dafür, nicht eine Frauenfigur zu etablieren, um eine Frauenfigur zu haben. Sondern all die Kraft darauf zu verwenden, authentische, psychologisch, stimmige Figuren zu entwickeln.

„Bad Banks“ ist gefriertruhenkaltes Serienfernsehen, „Isi & Ossi“ eine lichthelle Komödie. Das musste jetzt sein, dieser Wechsel? Unabhängig von allen Männer- und Frauenfragen.

Ich hätte sicher schon früher Komödie gemacht, wenn ich das richtige Thema gehabt hätte. Vielleicht kam mir auch die Fortsetzung von „Bad Banks“ dazwischen, von der wir ja eine ganze Weile nicht wussten, ob sie kommen wird, und ich auch ehrlich gesagt unsicher war, dass sie beim ZDF das richtige Zielpublikum findet.

„Bad Banks“ war also eine überraschend beglückende Erfahrung mit dem öffentlich-rechtlichen System?

Ich habe mich schon gefragt, wann kommt die ZDF-Keule, wann muss ich kämpfen? Ich hatte Vorurteile, ich bin ja Teil des Publikums, was quasi kein öffentlich-rechtliches Fernsehen mehr sieht. Die Keule kam aber nicht. Die ZDF-Redakteurin Caroline von Senden war ein guter Partner. Und ich kann nicht behaupten, dass „Bad Banks“ mit Netflix toller gewesen wäre. Was mit dem Streaming-Dienst toller gewesen wäre: eine noch größere internationale Reichweite. „Isi & Ossi“ startet zeitgleich in 190 Ländern.

„Isi & Ossi“, Buch, Regie, 190 Länder – sind Sie an Netflix verloren?

Ich habe dem ZDF „Bad Banks“ zu verdanken, das vergesse ich nicht. Ich werde weiterhin für alle arbeiten, selbstredend auch für ARD und ZDF, wenn sie das von mir wollen, was mich ausmacht. Da gibt es tatsächlich einen Unterschied zu Netflix. Die wollen einen als Talent gewinnen, welches Projekt man dann macht, steht erst an zweiter Stelle. Mit „Isi & Ossi“ konnte ich genau das machen, was ich wollte, mit einem klaren Auftrag und einer ganz klaren jungen Zielgruppe. Ich werde zukünftig keine Konzepte, keine Pitches, keine Exposés mehr schreiben. Weil ich gelernt habe: Glaub’ nicht an das Verkaufen einer Idee. Das ist Bullshitting. Eine Idee ist kein gutes Drehbuch wie ein Witz keine gute Geschichte sein muss. Je schneller du das Drehbuch schreibst, desto schneller findest du heraus, ob etwas als Film oder als Serie taugt. Ich habe dieses Jahr zwei Folgen für eine Serie geschrieben. Das lasse ich jetzt liegen, vielleicht schreibe ich in zehn Jahren weiter.

Sie sind für mich der „Bad Banks“-Kreateur. Jetzt habe ich „Isi & Ossi“ gesehen – und konnte es gar nicht glauben. Lachfernsehen der reinsten Sorte.

Ich glaube an die Zielgruppe…

…ich bin 61. Darf ich noch zugucken?

Sie dürfen, müssen aber nicht. Ich arbeite hier für die Zielgruppe. Wenn andere es nicht mögen, hab’ ich es richtig gemacht. Wenn ich eine klassische Sinfonie komponiere, versuche ich damit auch nicht, Hip Hop-Fans zu begeistern.

Der Film spielt in Heidelberg und in Mannheim. Die Heidelberger sind Milliardäre, die Mannheimer sind Macker. Also treffen Milliardärstochter und Mackersohn aufeinander. Coming of Age, Clash of Cultures, Abstoßung, Anziehung, ein Film wie ein Rap. Habe ich was vergessen?

Es geht nicht um Arm und Reich, es geht um Chancengleichheit. Isi und Ossi sind zwei Menschen, die als Babys hätten vertauscht werden können, dann wäre Isi als Proll-Tochter groß geworden und Ossi als Elitensohn. Denen wurde eingetrichtert, was sie sein sollen, sein müssen, sein können – bis sie aneinander erkennen, was für beide in der gesunden Mitte, also nicht im jeweiligen Ghetto geht.

Und nicht die x-te Romantic Comedy? Genauso habe ich „Isi & Ossi“ gesehen.

Es ist kein Rom-Com, sondern eine Com-Rom.

Com-Rom?

Die klassische Romantic Comedy ist mehr so ein klassisches amerikanisches Ding aus den 90er Jahren. Im internationalen Kino macht man das kaum noch. Das deutsche Mainstream-Publikum mag es aber immer noch. Die Com-Rom dagegen ist eine Komödie mit einem Schuss Romantik und einer kleinen Liebesgeschichte. „How to be single“, „Bridesmaids“ nur zum Beispiel.

„Bad Banks“, dritte Staffel?

Hm.

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