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Aufstrebend. Elegant tänzelt Abdel die Abwehrspieler aus.

© Arte

Fußballer-Doku auf Arte: 963 Euro im Monat

Er könnte ja „ganz schnell das große Geld machen“: Eine Arte-Doku blickt hinter die Kulissen des Fußballgeschäfts.

Der Havre Athletic Club (HAC) zählt zu den ältesten Fußballclubs in Frankreich. Womöglich ist er sogar der älteste. Legendär ist sein Ausbildungszentrum. Größen wie Paul Pogba, Weltmeister mit der französischen Nationalmannschaft und heute bei Manchester United, schafften von hier aus den Sprung in die Elite der Fußballprofis. Abdel, ein junger Mann mit algerischem Migrationshintergrund, will es den großen Vorbildern nachmachen. Doch das ist nicht so einfach. Talent allein reicht nicht.
Der Franzose Fabrice Macaux hat den jungen Außenstürmer über längere Zeit mit der Kamera begleitet („Fußball um jeden Preis“, Mittwoch, Arte, 21 Uhr 50).

Dabei gelingen ihm ungewöhnlich präzise Beobachtungen aus dem Spielverlauf, die man in Sportdokumentationen selten sieht. Währen wir seinen Atem durch ein Körpermikrophon hören, brilliert der wieselflinke junge Mann als Dribbelkünstler. Wie ein Jojo klebt der Ball an seinem Fuß. Elegant tänzelt Abdel die Abwehrspieler aus und netzt ein. Eine Szene für Fußballästheten. Zum Zungeschnalzen.

Doch dann die ernüchternde Stunde der Wahrheit. Vereinsführung und Trainer teilen Abdel in dürren Worten mit, dass er nach fünfjähriger Ausbildung keinen Profivertrag erhalten wird. Begründung: Der Junge ist „in seinen Leistungen nicht konstant genug“. Pro Saison baut er einmal Mist.

Manchmal verschläft er sogar das Training. Abdels Vater, der nebendran sitzt, versteigt sich in Ausflüchte, sucht die Schuld bei anderen. Der Junge selbst hört schweigend zu, ist am Boden zerstört. Ein Traum scheint geplatzt. Streiflichter auf die Familie zeigen, dass Abdels Mutter schwerbehindert ist. Die Hoffnungen der Familie richten sich auf die Karriere des jungen Sportlers. Auch der Spielerberater, der ein lukratives Geschäft wittert, macht Druck. Abdel kann mit dieser Situation nur schwer umgehen. Oft wirkt er lethargisch und nicht fokussiert.

Das latente Problem islamistischer Radikalisierung

Ein Moment zu Beginn des Films veranschaulicht diesen Stimmungswandel. Zu Halbzeitpause, als das Team zurückliegt, faltet der Trainer in der Kabine alle zusammen. Auch Abdel bekommt sein Fett weg. Wie schwer es ist, jetzt den Schalter umzulegen, kann man physisch spüren. Doch Abdel gelingt dann tatsächlich noch ein Traumtor. Im nächsten Moment regnen dicke Hagelkörner auf den Fußballplatz nieder: Ein Wechselbad der Gefühle.

Behutsam zieht die Dokumentation größere Kreise. Wie tickt eigentlich dieser Junge, wenn er nicht gegen den Ball tritt? Der Film zeigt ihn, während er mit Kumpels aus demselben Milieu abhängt. Dabei scheint die Zeit immer länger zu werden. Im Literaturunterricht fragt die Lehrerin einmal, was Prosa sei. „Etwas mit Schwulsein?“, antwortet Abdels Mitschüler. Solche Szenen beobachtet der Film beiläufig und ohne sie zu kommentieren. Sie verdeutlichen: Die Welt jenseits des Fußballfeldes ist für junge Männer wie Abdel – meist Kinder von Zuwanderern aus der zweiten Generation – nur begrenzt strukturiert.

Hier wurzelt das Problem der mangelnden Beständigkeit. „Wenn du jung bist“, sagt der Trainer, „kapierst du nicht, dass Fußball im Kopf passiert“. Aber was passiert in Abdels Kopf? Er könnte ja „ganz schnell das große Geld machen“, sagt er einmal mit Anspielung auf das Drogengeschäft. Das latente Problem islamistischer Radikalisierung wird nicht direkt thematisiert. Man kann es in der sensibel beobachtenden Dokumentation jedoch erahnen. Am Ende deutet sich ein Happy End an. Dank der Vermittlung des Trainers unterschreibt Abdel vor der Kamera einen Vertrag für das B-Team eines korsischen Erstligisten. 963 Euro im Monat bringt ihm das Engagement.

Mit Blick auf das Salär eines Cristiano Ronaldo ist da noch sehr viel Luft nach oben. Doch der Film blickt eben mal nicht auf die abgehobene Welt der Superstars, sondern auf normale Jungs, die von diesem üppigen Kuchen ein klein wenig abhaben möchten. Und das gelingt der Dokumentation auf Arte über weite Strecken ziemlich gut.

Manfred Riepe

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