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Medien: Goethe und Radau

Wer will, kann Thilo Sarrazin beikommen – das immerhin hat „Hart aber fair“ gezeigt

Das Gen gibt es wirklich. Es heißt Thilo Sarrazin und hat die führenden Talkshows der TV-Republik infiltriert. „Beckmann“, „Hart aber fair“, „Maybrit Illner“, kein Ende ist absehbar. „Hart aber fair“ am Mittwoch hat im Vergleich zu „Beckmann“ am Montag mehr geleistet. Überraschend geleistet, weil im Studio via Gästeliste die großen Gebläse für Rücken- und Gegenwind, für Radau und Rabatz aufgestellt schienen. Also Arnulf Baring, Historiker und Publizist, in enger und lauter Solidarität mit Sarrazin, Moderator Michel Friedman, die WDR-Journalistin Asli Sevindim und der SPD-Politiker Rudolf Dressler auf der Anti-Sarrazin-Barrikade.

Mehr als eine halbe Stunde Sendezeit verging mit dröhnenden Bekenntnissen, wer wo steht; Sevindim nannte den Buchautor „beleidigend“, Friedman „gewalttätig“ und „respektlos“, die Senioren Baring und Dressler waren selbst dazu zu müde. Sarrazin hielt seinen Satz „Wenn Sie mein Buch gelesen hätten, dann …“ wie eine heilige Monstranz in die Runde. Moderator Frank Plasberg wollte immer auf die „Methode Sarrazin“ eingehen und vergaß es immer wieder. Erst mussten die Großbegriffe wie „Rassismus“ abgearbeitet werden. Atemlosigkeit bis zur Schnapp-Atmung sollte sich einstellen – tatsächlich war es ein Rollenspiel.

Das Merkwürdige, wenn nicht Fragwürdige an der Sarrazin-Debatte ist – jedenfalls in den Talkshows mit seiner Präsenz – das Hamsterrad von Inhalt und Dramaturgie. Überzeichnete Wiederholungen im Für und Wider, beleidigendes und beleidigtes Popanz-Gehabe, Unterstellungen, Stilfragen wichtiger als Sachfragen, Moderatoren verteilen Haltungsnoten, suchen Gut und Böse zu identifizieren, wo nur Falsch und Richtig Erkenntnisgewinn bedeuten könnten – ist das nicht die Karikatur einer Diskussion?

Auch „Hart aber fair“ ging streng in diese Richtung, allein im zweiten Teil wurde abgebogen. Weil die Wahrheit immer konkret ist, konnten Plasberg und sein Team jetzt Punkte machen bei der Aufarbeitung der Sarrazinschen Methode. Untersucht wurde seine Rechnung, in Deutschland würden bei Fortschreibung der aktuellen Bevölkerungsentwicklung in 120 Jahren mehr als 71 Prozent Migranten leben. Das Statistische Bundesamt förderte nach der Sarrazinschen Logik zutage, dass 2010 über 230 Millionen Menschen in Deutschland leben müssten. Gerade mal 80 Millionen sind es tatsächlich.

Wer will, kann Sarrazin beikommen, er muss es wollen wie die Plasberg-Truppe, er muss sich anstrengen. Intelligent, dialektisch auch die Schlusspointe, als Sarrazins Angst, bald schon würde „Wanderers Nachtlied“ im Migranten-Deutschland vergessen sein, mit der Wirklichkeit an existierenden Goethe-Gymnasien konterkariert wurde. Deutsche Lehrer, deutsche Schüler haben den richtigen Autoren des Gedichtes nur selten präsent. Einzelne, geglückte Momente in einer Talkshow, die in ihrem Ablauf, mit ihrem Ertrag bereits über sich hinauswies und mit 4,13 Millionen Zuschauern auch überm Schnitt lag. Aber was wird in zwei Wochen sein? Hat nur ein integrationsunwilliger Autor mit Nebenberuf Bundesbanker mehrere hunderttausend Exemplare seines Spaltpilzes verkauft? Alle Empörungsdemokraten waren einmal empört? Der Muezzin ruft, der Jung-Migrant aus Arabien verkauft lieber Glückspillen an der Ecke statt sein Glück in der Schule zu suchen? Und Kirsten Heisig, die streitbare, an Lösungen statt an Problemen interessierte und am Leben verzweifelte Richterin, ist vergessen. Vielleicht ist diese Prognose zu düster, zu weinerlich. Stimmt sie doch, dann hätte der ach so intelligente Thilo Sarrazin allein zweierlei geschafft – den Anfang und das Ende einer Debatte. Joachim Huber

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